x
Loading
+ -
Neuanfang. (02/2025)

«Kaffee verbindet uns mit der ganzen Welt.»

Interview: Christian Heuss

Janina Grabs erforscht, wie globale Lieferketten von Kaffee, Kakao und Co. nachhaltiger werden können. Wie Zertifikate, Mindeststandards und andere Massnahmen tatsächlich wirken, erklärt die Politikwissenschaftlerin im Gespräch.

Junge Professorin umgeben von tropischen Pflanzen im Tropenhaus des Botanischen Gartens Basel
Janina Grabs erforscht, wie globale Wertschöpfungsketten funktionieren und wer an ihnen verdient. (Foto: Universität Basel, Christian Flierl)

UNI NOVA: Frau Grabs, wie sind Sie als Politologin zur Nachhaltigkeitsforschung gekommen?

Janina Grabs: Mich hat schon im Studium fasziniert, dass Menschen Produkte anbauen, die uns hier in Mitteleuropa eine gute Ernährung ermöglichen, selbst aber oft kein existenzsicherndes Einkommen bieten. In meiner Bachelorarbeit in Kanada ging es um Ernährungssicherheit in Russland. Ich habe damals gemerkt: Die Schnittstelle von Landwirtschaft, globalen Märkten und sozialer Gerechtigkeit interessiert mich besonders – und zwar in Sektoren, die eng mit der Umwelt verbunden sind.

Wollten Sie schon immer Wissenschaftlerin werden?

Eigentlich nicht. Mein ursprünglicher Berufswunsch war, bei der UNO oder dem Welternährungsprogramm FAO zu arbeiten, um globale Probleme direkt anzugehen. Das Mercator-Kolleg für internationale Aufgaben hat mir die Türen zu spannenden Stationen geöffnet: Bei der EU-Kommission in Brüssel arbeitete ich im Bereich Agrarpolitik, in Costa Rica bei der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ an Entwicklungsprojekten. Dort habe ich gemerkt, dass mir die Unabhängigkeit der Wissenschaft wichtig ist – und die Möglichkeit, Fragen kritisch zu durchdringen, bevor man Lösungen anbietet.

Sie haben keinen bäuerlichen Hintergrund. Woher kommt das Interesse an landwirtschaftlichen Themen?

Über Menschenrechtsthemen – das Recht auf Nahrung – und schon früh über Fairtrade. Für meine Matura habe ich einen Vortrag zu Max Havelaar und Bananenhandel gehalten. Mich interessiert, wie Produkte entstehen, wie globale Wertschöpfungsketten funktionieren und wer an ihnen verdient.

Kaffee wurde Ihr erstes grosses Forschungsthema. Zufall?

Ja. In Costa Rica arbeitete ich an einem Projekt, das Kaffee klimaneutral gestalten sollte. Daraus entstand meine Dissertation an der Uni Münster über Nachhaltigkeit und Zertifizierung. Kaffee ist ein faszinierendes Produkt: Er wird in über 50 Ländern angebaut, oft von Kleinbauern, und gelangt relativ unverarbeitet zu uns – eine direkte Verbindung zwischen Produzenten im Süden und Konsumentinnen im Norden.

Was interessiert Sie an globalen Lieferketten besonders?

Die Frage, wie sich ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit verbinden lassen. Oft wird Verantwortung an die Bäuerinnen und Bauern delegiert – Waldschutz, weniger Pestizide –, ohne dass faire Preise gezahlt werden. Mich interessiert, wie Macht und Wertschöpfung verteilt sind, wer wie viel Verantwortung übernimmt und wie Produzentinnen und Produzenten ein existenzsicherndes Einkommen erzielen können.

Welche Verantwortung tragen Konsumentinnen und Konsumenten?

Sie können die Nachfrage beeinflussen – etwa nach Bio- oder Fairtrade-Produkten. Aber man darf Verantwortung nicht allein beim Individuum abladen. Wer es sich leisten kann, sollte bewusst wählen. Wer jeden Franken umdrehen muss, sollte nicht zusätzlich unter moralischen Druck geraten. Wichtig ist auch das Kollektiv: Wenn viele gezielt nachhaltiger einkaufen, können sozial agierende Unternehmen Marktanteile gewinnen. Strukturelle Veränderungen aber brauchen politische Mindeststandards, die für alle gelten.

Sie haben die Wirkung von Zertifikaten wie Fairtrade untersucht. Ihr Fazit?

Zertifizierung wirkt vor allem dann, wenn Mindestpreise und Prämien garantiert sind. Es gibt aber Labels mit hohen Anforderungen und geringen Prämien. Zudem wird heute mehr zertifizierter Kaffee produziert, als der Markt abnimmt – die Bohnen landen dann ohne den von den Bäuerinnen und Bauern geleisteten Mehrwert im konventionellen Handel.

Was passiert, wenn die Nachfrage nach Nischenprodukten wie z.B. Kakao aus Fairtrade-Produktion rasant steigt und sie in den Massenmarkt kommen?

Das sogenannte Mainstreaming kann dazu führen, dass die Nachfrage schneller ansteigt als die vorhandenen Produktionskapazitäten. Um die Nachfrage zu befriedigen, werden Standards gesenkt und Bäuerinnen und Bauern machen nur den ersten Mindestschritt Richtung Nachhaltigkeit. Die Frage ist dann: Lieber viele, die ein bisschen nachhaltiger produzieren, oder wenige, die sehr weit gehen?

Und was ist Ihre Antwort?

Das ist tatsächlich eine normative Frage – und je nach Perspektive fällt die Antwort unterschiedlich aus. Mir ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, wie sich Begriffe wie «Nachhaltigkeit» im Mainstream verändern, und dass wir darauf achten, ambitionierte Standards nicht aus dem Blick zu verlieren.

Manche Firmen setzen auf eigene Nachhaltigkeitsprogramme statt auf externe Labels. Chance oder Greenwashing?

Beides ist möglich. Interne Programme können näher an der Realität sein, sind aber oft weniger transparent. Wir vergleichen diese Ansätze mit etablierten Zertifikaten und prüfen, wie weit sie gehen und ob sie vor Ort überprüft werden.

Ihr SNF-Starting-Grant-Projekt in Basel befasst sich mit politischer Regulierung. Worum geht es?

Wir untersuchen, wie Unternehmen, Politik und Produzenten auf neue EU-Regeln reagieren – etwa die Entwaldungsregulierung, die Rückverfolgbarkeit bis zur einzelnen Parzelle verlangt. Wenn ein Feld nach 2020 entwaldet wurde, darf der Kaffee von dort nicht mehr in die EU eingeführt werden. Das schafft Anreize für Waldschutz. Es kann aber auch bedeuten, dass Produzentinnen und Produzenten aus Gebieten, die sich am Rand von Tropenwäldern befinden, keine Abnehmer mehr für ihr Produkt finden, da Importeure tendenziell Risiken scheuen. Daneben analysieren wir die Sorgfaltspflicht-Richtlinie, die Unternehmen verpflichtet, Menschenrechts- und Umweltverstösse in ihren Lieferketten zu adressieren. Uns interessiert, wie Erwartungen an solche Gesetze Entscheidungen von Unternehmen oder Produzenten beeinflussen – und was passiert, wenn sie verschoben oder abgeschwächt werden.

Wie gehen Sie methodisch vor?

Wir führen Interviews mit Unternehmen, Behörden und NGOs, erheben Umfragen und führen auch Experimente mit hypothetischen Szenarien durch. In Kolumbien und der Côte d’Ivoire beobachten wir langfristig, wie sich Regeln zu Entwaldung, Kinderarbeit und Einkommen auf Kleinbäuerinnen und -bauern auswirken. Wir wollen verstehen, ob Gesetze tatsächlich Veränderungen auslösen – oder ob auch freiwillige Massnahmen unter dem Eindruck künftiger Regulierung entstehen.

Ihre drei Hauptprodukte – Kaffee, Kakao, Palmöl – haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Gemeinsam ist, dass sie im globalen Süden angebaut werden, oft von Kleinbauern, und soziale wie ökologische Risiken bergen. Kakao ist fast ausschliesslich kleinbäuerlich, beim Kaffee etwa zwei Drittel, bei Palmöl ein Drittel. Probleme reichen von Kinderarbeit im Kakao bis zu Zwangsarbeit auf Palmölplantagen.

Wie bewahren Sie Unabhängigkeit in einem Feld, in dem viele Akteure Interessen haben?

Wir nehmen keine Unternehmensmandate an, arbeiten aber in Multi-Stakeholder-Foren mit, wenn die Unabhängigkeit institutionell gesichert ist. Gleiches gilt für NGOs: Austausch ja, Vereinnahmung nein. So können wir glaubwürdig bleiben – sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft.

Verlieren Sie manchmal die Zuversicht?

Als Mensch schon, etwa bei der Klimakrise. Als Forscherin motiviert mich das, zu verstehen, warum Massnahmen scheitern – und Beispiele zu finden, die zeigen, dass faire Geschäftsmodelle möglich sind. Etwa Kaffeeröstereien, die radikal transparent arbeiten, oder Kooperativen, die Gewinne mit Produzentinnen und Produzenten teilen. Solche Pioniere beweisen, dass Wandel auch unter schwierigen Bedingungen möglich ist.

Hat sich Ihr Konsumverhalten verändert?

Ja. Ich gebe mehr für Lebensmittel aus, achte auf Herkunft und Produktionsbedingungen und suche das Gespräch mit Produzenten – im Wissen, dass hinter jedem Produkt Menschen stehen, die davon leben müssen. Dieses Bewusstsein begleitet mich inzwischen bei jedem Supermarktgang.

Janina Grabs ist Politikwissenschaftlerin, Associate Professorin und Leiterin des Fachbereichs Nachhaltigkeitsforschung der Universität Basel. Ihre Forschung untersucht die Regulierung globaler Agrarlieferketten mit Fokus auf Kaffee, Kakao und Palmöl. Sie analysiert, wie öffentliche Politik und private Standards zu mehr Nachhaltigkeit in Produktion und Handel beitragen können.


Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2025).

nach oben