Unisonar S7|EP3: Von Gurus, Sekten und der Kraft der Überzeugung
Ein charismatischer Anführer und begeisterte Anhänger*innen: Was gemeinhin als Sekte bekannt ist, wird in den Religionswissenschaften als neue religiöse Bewegungen bezeichnet. Wie sich diese Bewegungen auszeichnen, wie manipulativ die Strukturen darin tatsächlich sind und weshalb der Begriff «Sekte» irreführend sei, erklärt die Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger.
Viele Gemeinschaften werden vorschnell als «Sekte» bezeichnet und damit in gewisser Weise auch abgestempelt. Doch dieser Begriff ist laut Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger problematisch. Er transportiert eine wertende Konnotation und erschwert eine sachliche Analyse. Sie nennt diese Gemeinschaften «neue religiöse Bewegungen».
Neue religiöse Bewegungen, so Renger, sind meist jüngeren Datums und entstanden häufig in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, etwa im 19. oder 20. Jahrhundert. Beispiele wie Scientology oder Hare Krishna zeigen, wie unterschiedlich solche Bewegungen sein können – in ihrer Entstehung, Lehre und Struktur. Gemeinsam ist ihnen oft eine starke Abgrenzung von der Mehrheitskultur und eine alternative Sinnstiftung, die vom religiösen Mainstream deutlich abweicht.
Ein zentrales Merkmal vieler solcher Bewegungen ist das Charisma ihrer Gründer*innen. Renger verweist auf Max Webers Theorie der charismatischen Herrschaft, bei der die Legitimität nicht durch Institutionen, sondern durch die persönliche Ausstrahlung entsteht.
Am Beispiel der Osho-Bewegung wird deutlich, wie ein charismatischer Führer ein geheimes Wissen beansprucht, das ihn mit dem Göttlichen in Verbindung bringe. Osho kombinierte antike griechische Philosophie, buddhistische Inhalte, moderne europäische Philosophie sowie Elemente des Hinduismus. Eine Mischung, die «gerade den Intellektuellen, die kamen, irgendwie zugesagt» habe, so Renger. Hinzu kam eine offene Haltung zur Sexualität, was in der Zeit der sexuellen Befreiung extrem wirksam gewesen sei.
Zwischen Gemeinschaft und Kontrolle
Renger betont, dass neue religiöse Bewegungen unterschiedlich stark hierarchisch oder autoritär organisiert sein können. Während manche Gemeinschaften vor allem spirituelle Orientierung bieten, zeigen andere, wie zum Beispiel die Sonnentempler, autoritäre Züge: «Konsequente Isolation oder extreme Kontrolle der Mitglieder und exklusive Wahrheitsansprüche sind zentrale Merkmale», so Renger. Dennoch sei der Begriff der neuen religiösen Bewegung weiterhin nützlich, um solche Gruppen zu erfassen, auch wenn sie sich selbst gar nicht als religiös verstehen.
Manipulation oder Mitgestaltung?
Auf die Frage, ob solche Bewegungen manipulativ seien, antwortet Renger vorsichtig: «Ich finde,[der Begriff Manipulation sollte in diesem Zusammenhang vorsichtig verwendet werden.» Er sei ähnlich problematisch wie der Begriff Sekte, da er ein vereinfachtes Opfer-Täter-Schema nahelege.
Statt von Manipulation spricht sie lieber von Interaktion unter asymmetrischen Machtverhältnissen. «Mitglieder werden zwar geprägt, aber zugleich sind sie sehr aktiv. Sie deuten mit, sie setzen die Lehren mit, sie gestalten Gemeinschaft mit.» Diese Dynamik erkläre, warum sich Menschen nicht einfach blenden lassen, sondern aktiv an der Entwicklung und Stabilisierung solcher Bewegungen mitwirken.
Der lange Weg hinaus
Auch der Ausstieg aus einer solchen Gemeinschaft – die sogenannte Dekonversion – ist ein vielschichtiger Prozess. «Gemeinschaften wirken häufig wie eine Ersatzfamilie», sagt Renger. Wer austritt, verlässt also nicht nur ein Glaubenssystem, sondern oft auch ein soziales Netz.
Kritik werde in vielen Gruppen sanktioniert, wodurch Mitglieder häufig länger bleiben, als sie eigentlich möchten. Dennoch findet über Zeit oft eine Reflexion statt. Es brauche also Geduld, Verständnis und das Wissen, dass Mitglieder nicht einfach nur Opfer sind.