x
Loading
+ -
Neuanfang. (02/2025)

Entwicklungshilfe aus Afrika.

Interview: Urs Hafner

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte das zerstörte Westeuropa einen erfolgreichen Neustart. Dieser wäre ohne afrikanische Rohstoffe nicht möglich gewesen, sagt die Historikerin Danelle van Zyl-Hermann.

Arbeitsschuhe auf rotem Sand und Schotter
(Foto: Andreas Zimmermann, Bettina Brotbek)

UNI NOVA: Europa lag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. Dank der Unterstützung der Vereinigten Staaten kam der Wiederaufbau in Gang. Sie sagen: Das stimmt so nicht.

Danelle van Zyl-Hermann: Ja, so einfach, wie es in den Schulbüchern steht, war es nicht. Zwar hat der Marshallplan mit seinen Milliarden von Dollars Westeuropa wiederbelebt, wobei die USA im beginnenden Kalten Krieg gegen die Sowjetunion ideologische Ziele verfolgten. Nicht weniger wichtig für Westeuropa war indes die Hilfe aus Afrika. Ohne Afrika hätte Europa nicht seine wirtschaftliche Dynamik entfalten können, die es noch heute prägt.

Wie sah die afrikanische Entwicklungshilfe aus?

Sie erfolgte mit Rohstoffen – und unfreiwillig. Ich untersuche drei Fälle: die heutigen Kongo, Elfenbeinküste und Simbabwe. Sie wurden schon vor dem Zweiten Weltkrieg von Belgien, Frankreich und Grossbritannien kontrolliert und waren auch nach dem Krieg deren Kolonien.

Welche Rohstoffe brauchte Europa?

Alle. Ich habe mich auf Kupfer, Holz und Asbest konzentriert, weil sie für den Wiederaufbau zentral waren. Kupfer war nach dem Krieg das wichtigste Metall für die Infrastruktur, die Industrie, besonders die Rüstungsindustrie, und für Bahnanlagen, Telekommunikation und Elektrik im Wohnungsbau. Bis 1939 waren die USA der Hauptlieferant gewesen, nun brauchten sie das Metall selbst. In Europa besass nur die Sowjetunion Kupfer, aber der Westen wollte sich nicht vom Kommunismus abhängig machen.

Wieso waren Holz und ausgerechnet das giftige Asbest wichtig?

Europa war vor allem auf Hartholz angewiesen, besonders für den Abbau der Kohle, des wichtigsten Energieträgers. Die Minengänge wurden mit Pfeilern aus tropischen Hölzern gesichert. Das hitze- und säurebeständige Asbest galt als Wundermaterial schlechthin – für Zement, Isoliermaterialien, Farben und Kleidung, etwa für Feuerwehrkleider. Europa hatte selbst kein Asbest. Dass der Stoff giftig ist, wussten einige Firmen schon um 1950, es wurde aber erst 1980 zum öffentlichen Thema.

Deutschland war völlig zerstört und schuf dennoch das vielzitierte Wirtschaftswunder. Der Kriegsverlierer hatte aber keine Kolonien.

Was genau mit den afrikanischen Rohstoffen in Europa geschah, wer was selbst brauchte und verkaufte, wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich kaufte auch Deutschland mit den US-Dollars des Marshallplans in Belgien Kupfer ein, das aus dem Kongo kam.

Gelang es Afrika, irgendwie von Europas Rohstoffhunger zu profitieren?

Nein. Die Afrikaner und Afrikanerinnen wussten natürlich, dass sie ausgebeutet wurden. Ihr erstes Ziel war jedoch politische Unabhängigkeit. Das hatten sie von den Kolonialmächten gelernt: Nur wer die politische Macht hat, kann entscheiden. Um 1960 gelang es vielen Ländern, das koloniale Joch abzuwerfen.

Afrika ermöglichte also 1945 Europas Neustart. Stellen Sie die Geschichte auf den Kopf?

Gewöhnlich heisst es, Europa habe nach dem Krieg in Afrika investiert, sowohl mit der Modernisierung in den Kolonien als auch mit seiner Entwicklungshilfe. Aber wie hätte das zerstörte Europa in Afrika Gelder einschiessen können? Es musste zuerst selbst auf die Beine kommen – mit Hilfe aus Afrika. Ja, ich fordere die gängigen Erzählungen heraus. Ich kehre die Perspektive um.

Hat Europa Afrika schon immer ausgebeutet?

Das ist zu einfach und macht Afrika zum reinen Opfer. Vom transatlantischen Sklavenhandel profitierten ja auch die Amerikas sowie afrikanische und arabische Eliten. Aus der Perspektive Afrikas aber ist der Zweite Weltkrieg tatsächlich kein Bruch, der Begriff Nachkriegszeit ist dort nicht geläufig. Afrika lieferte weiterhin Rohstoffe. Die USA bauten ihre Atombomben, die sie auf Japan abwarfen, mit Uran aus Zentralafrika.

Wenn der Westen keinen Zugriff auf Afrikas Rohstoffe gehabt hätte, wäre dann das beispiellose Wirtschaftswachstum nicht gestartet worden – und stünden wir heute nicht vor der Klimakatastrophe?

Ja, der westliche Zugriff auf die Rohstoffe beschleunigte die Industrieproduktion und die Konsumkultur, die der Klimakrise zugrunde liegen. Und auch der «grüne» Ausweg aus der Krise, von der Afrika stärker betroffen ist als der Westen, ist ohne afrikanische Rohstoffe, besonders Lithium, nicht möglich.

Danelle van Zyl-Hermann ist Sozialhistorikerin an der Universität Basel mit Spezialgebiet Südafrika und Kenia vom 20. Jahrhundert bis heute. Zurzeit untersucht sie Afrikas Rolle beim Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.


Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2025).

nach oben