x
Loading
+ -
Neuanfang. (02/2025)

Was Eltern schafft.

Text: Noëmi Kern

Ein Kind ändert das Leben grundlegend. Seit Jahren sinkt jedoch die Geburtenrate. Ist der Druck auf Eltern zu gross? Und könnte es helfen, Familienmodelle neu zu denken?

Babyschuhe auf Fell
(Foto: Andreas Zimmermann, Bettina Brotbek)

Will ich ein Kind? Traue ich mir die Elternrolle zu? Und bin ich bereit für diese Verantwortung? Solche Fragen stellen sich die meisten Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Doch anders als bei einem Jobwechsel oder beim Umzug in eine andere Stadt kann man nicht ausprobieren, wie es sich anfühlt, ein eigenes Kind zu haben. Die amerikanische Philosophin Laurie Ann Paul spricht von einer transformativen, existenziellen Erfahrung. Elternwerden sei so radikal und einzigartig, dass es sich im Vorfeld unserer Vorstellungskraft entzieht. Rationale Vorhersagen wie bei anderen Entscheidungen seien daher nicht möglich.

Druck des Systems

«Die Entscheidung beinhaltet ein existenzielles Risiko und beeinflusst das eigene Leben für lange Zeit grundlegend», sagt auch Sabine Hohl. Die Professorin für Philosophie an der Universität Basel beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Elternschaft und wie diese in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird. Sie hinterfragt die Bedingungen für Elternschaft, welche Rolle biologische Verwandtschaft spielt, welche Rechte und Pflichten damit verbunden sind und ob auch drei oder vier Eltern pro Kind möglich sein sollten.

Wer ein Kind bekommt, geht eine grosse Verantwortung ein. Die Bereitschaft dazu ist für Sabine Hohl der zentrale Punkt: Wenn jemand diese Verantwortung annehme, sollten weder Geschlecht noch sexuelle Orientierung der Anerkennung als Elternteil im Weg stehen, findet sie.

«Die Vorstellungen davon, was eine Familie ist, sind auch heute noch stark geprägt von Normen und Idealvorstellungen», sagt sie. Das erzeuge sehr viel Druck auf Eltern. An die Elternrolle sind viele Erwartungen geknüpft; eigene, aber sicher auch massgeblich von der Gesellschaft beeinflusste.

Für Frauen bedeutet ein Kind noch mehr als für Männer eine grosse Umstellung. «Von ihnen wird erwartet, dass sie in der Familienphase im Dienste anderer stehen und verschiedene Rollen ausfüllen», so die Philosophin. Sie sollen sich als «gute Mutter» um die Kinder kümmern und auch erwerbstätig sein. Wie weit dieser Druck von der Gesellschaft komme und wo die Mütter ihn sich selber machen, lasse sich nicht klar trennen. «Wir sind ja alle sehr stark geprägt von unserem Umfeld und übernehmen die Vorstellungen, denen wir entsprechen wollen.»

Gleiches gilt für die Väter: Sie nehmen zwar eine aktivere Rolle in der Familie ein als früher, sind aber mit der Erwartung konfrontiert, im Berufsleben weiterhin volle Leistung zu bringen. «Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufsleben muss für beide Elternteile möglich sein», betont Hohl.

Neue Varianten zulassen

Mit ihrer Forschung will die Philosophin dazu anregen, sich von fixen Vorstellungen dessen, was eine Familie sei, zu lösen. «Wir neigen dazu, die Eltern für alles verantwortlich zu machen, was ihre Kinder tun und was ihnen widerfährt. Das kann eine Last sein, die einigen zu gross erscheint», stellt sie fest. Verschiedene Optionen von Elternschaft liessen sich unterschiedlich gestalten, was zu mehr Freiheit führe.

Die Forscherin nennt das Modell der Co-Elternschaft als Beispiel, das von einigen bereits gelebt wird: Zwei Menschen tun sich zusammen, um ein Kind zu bekommen und gemeinsam grosszuziehen, ohne in einer romantischen Beziehung zu sein. Eine gute Freundschaft könne eine ebenso gute Basis sein. «Beziehungen gehen auseinander, Ehen werden geschieden, die elterliche Verantwortung aber wird weiterhin gemeinsam wahrgenommen. Die Elternrolle beruht also auf Rechten und Pflichten, die unabhängig vom Beziehungsstatus der Eltern bestehen.»

Man solle daher Elternschaft und Paarbeziehung so gut es geht getrennt voneinander betrachten und regeln. Auch die biologische Verwandtschaft solle keine Voraussetzung dafür sein, wer als Elternteil anerkannt ist. «Ich glaube, es braucht neue Möglichkeiten, die auch einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen bekommen», sagt Sabine Hohl.

Sie sieht in der Co-Elternschaft den Vorteil, dass sich die Beteiligten schon vorher viel ausführlicher darüber austauschen müssten, was es bedeutet, gemeinsam ein Kind zu haben: Wie sieht das Zusammenleben aus? Wie ist die Betreuung geregelt? Wer trägt welche Kosten?

Auch eine «Elternschaft light» hält die Philosophin für prüfenswert. «Wir sind nicht gezwungen, jedem Elternteil das gleiche Bündel aus Rechten und Pflichten zu geben.» Nach geltendem Recht ist es möglich, dass jemand zwar ein Besuchs-, aber kein Sorgerecht hat. Sie schlägt als Erweiterung vor, dass mehr als zwei Personen ein Besuchs- oder auch Sorgerecht für ein Kind erhalten können. Sabine Hohl weiss, dass solche Ideen auf Skepsis oder gar Ablehnung stossen können.

«Ich will überhaupt nicht kleinreden, wie komplex das sein kann. Trotzdem würde ich dafür plädieren, dass man rechtlich zum Beispiel drei Elternteile erlauben würde.» So liesse sich die grosse Verantwortung, die Elternschaft mit sich bringt, auf mehrere Schultern verteilen. «Dabei würde niemandem etwas genommen, vielmehr könnte es eine Chance sein für alle Beteiligten.»

Mit dem medizinischen Fortschritt werden sich künftig weitere Fragen ergeben – gesellschaftlich, ethisch und juristisch. Die Philosophin ist überzeugt, dass sich die Vorstellung dessen, was «normale» Elternschaft ist, wandeln wird. «Wenn wir offen sind für neue Modelle, kann Elternschaft zu einer facettenreichen Form werden.»


Weitere Artikel dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2025).

nach oben