Den Schweinehund überlisten.
Text: Angelika Jacobs
Mehr Sport zu treiben ist ein guter Vorsatz. Im Weg stehen aber Stress, schlechtes Wetter oder die ungewaschenen Sportkleider. Ein Beratungsangebot der Sportwissenschaften soll helfen, dass es nicht beim Vorsatz bleibt. Ein Selbstversuch.
Ein modernes Sitzungszimmer mit weissen Tischen und gradlinig designten Stühlen. Durch das Fenster sehe ich draussen Schwimmerinnen und Schwimmer das Becken des Gartenbads St. Jakob in Basel durchpflügen. Training an der frischen Luft an diesem Frühsommerabend. So etwas regelmässig nach Feierabend in den Alltag einzubauen wäre schon schön, denke ich. Die Realistin in meinem Kopf merkt jedoch gleich an: «Du hast doch gar keine Zeit dafür.» Recht hat sie, die Spielverderberin. Leider.
Als berufstätige Mutter mit hohem Teilzeitpensum gehöre ich zu einer sportlich unterversorgten Gruppe. Auch deshalb sitze ich nun in diesem Raum am Departement Sport, Bewegung und Gesundheit DSBG – in Sichtweite des besagten Schwimmbeckens. Als es in der Redaktionssitzung darum ging, wer das Angebot des neuen Zentrums für Bewegungsberatung für UNI NOVA testet, war ich die Kandidatin Nummer eins.
Der Dozent Patrick Carigiet begrüsst die Teilnehmerinnen – in diesem Kursdurchgang sind wir alle Frauen. Wir stellen uns reihum vor, dann erklärt Carigiet das Grundkonzept der kostenlosen Beratung des DSBG. Das Prinzip stammt aus der Reha und soll im Rahmen eines Forschungsprojekts nun auch für die allgemeine Sportberatung getestet werden. «Motivation-Volition – Lebensstil-integrierte sportliche Aktivität» oder MoVo-Lisa heisst der Ansatz, der uns Anwesenden helfen soll, das Ziel von mehr Bewegung zu erreichen. Ob das in unserem persönlichen Fall gelingt, werden wir in den kommenden Monaten im Zuge einer Umfrage beantworten.
Nicht nur wollen, sondern machen
«Oft ist nicht die Motivation das Problem, sondern die Umsetzung, um Sport nachhaltig in den Alltag einzubauen», so Carigiet, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am DSBG arbeitet und als ausgebildeter Coach den Kurs leitet. «Mehr bewegen» ist als Ziel allerdings noch zu unkonkret: Carigiet lässt uns unsere Gründe für den Wunsch nach mehr Sport genauer formulieren. Da kommt einiges zusammen: Stress abbauen, Rücken- und Gelenkschmerzen reduzieren oder vorbeugen, fitter werden, sich gut fühlen oder das Gewicht regulieren sind einige der Ziele. Im nächsten Schritt sammeln wir Sportarten, die sich eignen könnten, um unsere Ziele zu erreichen.
Bis zum zweiten Kurstermin eine Woche später sollen wir die Liste an möglichen Sportarten auf das realistisch Durchführbare reduzieren. Hauptkriterium für mich: wenig Aufwand an Zeit und Material. Yoga, Joggen, eventuell Zumba im nahegelegenen Studio habe ich mir aufgeschrieben. Der zweite Kurstermin – wieder ein sehr warmer Nachmittag – ist eine Einzelberatung bei Carigiet. Er lobt meine Liste, warnt jedoch davor, dass ich mir zu viel vornehme. Wer seinen Trainingsplan überlädt, gibt schnell auf, weiss der Coach.
Sportsfreunde und Belohnungen
Nochmal eine Woche später treffen sich alle Teilnehmerinnen noch ein letztes Mal, um ihre Pläne weiter zu konkretisieren. Wir sprechen darüber, was uns davon abhält, unser Vorhaben umzusetzen. Nachdem die Liste bereits durch den persönlichen Reality Check inklusive körperlicher Einschränkungen wie Gelenkschmerzen gegangen ist, bleibt bei allen vor allem eine Hürde: der innere Schweinehund. Sich nach einem langen Tag auszuruhen, ist weitaus verlockender, als noch ein Sportprogramm zu absolvieren.
Auch hierfür sammelt die Gruppe Ideen: sich zum Sport verabreden, die Sportkleidung schon parat legen oder sich ein Belohnungssystem ausdenken. Etwa dass man seinen Lieblings-Podcast nur noch beim Sport hört oder dass man eine Stempelkarte anlegt: Nach der zehnten absolvierten Sporteinheit gönnt man sich etwas Schönes.
Am Ende gehen die Teilnehmerinnen mit einem klaren Plan nach Hause, wann sie welchen Sport in ihr Wochenprogramm einbauen wollen. Ganz so konkret ist es bei mir dann leider doch nicht, dafür brauche ich im Alltag zu viel Flexibilität. Aber als Grundprogramm habe ich 20-minütige Yoga-Einheiten zu Hause festgelegt, die ich unter Anleitung von Videos oder einer App jederzeit und bei jedem Wetter absolvieren kann. Wenn das Wetter mitspielt, kämen Velofahren zur Arbeit und Joggen am Wochenende als Bonus dazu.
Nach erst rund 40 Teilnehmenden sei es noch zu früh, um aus den gesammelten Daten Schlüsse zu ziehen, sagt Markus Gerber, der den Fachbereich Sport und Psychosoziale Gesundheit leitet und die Begleitstudie des Beratungsangebots verantwortet. «Was wir in den Umfragen aber sehen, ist, dass wir eine sehr hohe Zufriedenheitsrate der Teilnehmenden haben», so Gerber. Im nächsten Schritt soll das Angebot bei verschiedenen Gelegenheiten verstärkt beworben werden, um mehr Teilnehmende zu gewinnen. Erst mit einer ausreichend grossen Anzahl Personen lässt sich statistisch auswerten, ob das Angebot eine nachhaltige Veränderung im Alltag bewirkt.
Mein Bewegungsplan ist indes halbwegs aufgegangen. In den Wochen und Monaten nach dem Kurs haben mich zwar immer wieder Erkältungen, schlechtes Wetter oder ein kaputtes Velo zurückgeworfen. Aber die Trickkiste, wie der Neubeginn mit dem Training – zur Not immer wieder – gelingt, habe ich jetzt in der Tasche. Auch nicht zu unterschätzen: die Unterstützung vom Umfeld. Meine selbst entworfene Sport-Stempelkarte hat mein Kind bunt verziert.
Patrick Carigiet ist wissenschaftlicher Assistent am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit DSBG und arbeitet als Coach am Zentrum für Bewegungsberatung ZBB.
Markus Gerber ist Professor für Sport und Psychosoziale Gesundheit. Er forscht zu Fragen rund um die Effekte von Sport und Bewegung auf die psychische Gesundheit. Seit Anfang 2023 leitet er zudem das DSBG.
Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2025).
