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Zur Lage der Basler Geistes- und Sozialwissenschaften – eine Stellungnahme

Die Geisteswissenschaften sind sich bewusst, dass es nicht mehr reicht, kluge Bücher zu schreiben, um der Gesellschaft den erwarteten Nutzen zu bringen.

31. Oktober 2016

Prof. Dr. Thomas Grob
Prof. Dr. Thomas Grob.

Von Prof. Dr. Thomas Grob, Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät

Die «Basler Zeitung» hat kürzlich die Frage von «Leuchttürmen» in den (Basler) Geisteswissenschaften aufgeworfen und bedauert das Fehlen von Professoren des Rangs von Nietzsche oder Karl Barth an der heutigen Universität. Das ist durchaus ein interessanter Aspekt, der mit einer sich anonymisierenden und spezialisierenden Wissenschaft zusammenhängt. Er betrifft indes die Naturwissenschaften nicht weniger als die Geisteswissenschaften: Wie viele Basler könnten auf Anhieb einen bedeutenden Chemiker oder Physiker ihrer Universität nennen? Wenn die Bekanntheit ausserhalb des akademischen Betriebs massgeblich ist, dann wären hier eher etwa die Soziologen im Vorteil, die mit Büchern zu aktuellen Themen gute Resonanz finden. Jede Universität freut sich, wenn sie Professoren in ihren Reihen hat, die es mit ihren Forschungen zu öffentlichem Ansehen bringen. Aber dies allein kann nicht das Kriterium ihrer Qualität sein.

Vielfalt und kritische Masse

Der Erfolg von universitären Einheiten bemisst sich heute an verschiedenen Dingen: an eingeworbenen Mitteln für Projekte, die von unabhängigen Spezialisten begutachtet werden, an der internationalen Reputation der Forschenden in ihrem Fach, am Erfolg derjenigen, die sie ausbilden und fördern, und tatsächlich auch an der Ausstrahlung in ihrem Umfeld. Was die eingeworbenen Projektmittel betrifft, so gehören die Basler Geistes- und Sozialwissenschaften zu den erfolgreichsten weit und breit; sie übertreffen hier im Verhältnis zu ihrer Grösse andere Schweizer Geisteswissenschaften und stehen unseren Naturwissenschaften kaum nach. Hilfreich ist dabei die mittlere Grösse unserer Fakultät, in der man sich kennt und offen ist für Zusammenarbeit über die Fachgrenzen hinweg. Doch braucht es für Drittmittelerfolge neben exzellenten Köpfen auch eine kritische Masse: ein Spektrum an Fächern, die sich beteiligen können, gewisse Ressourcen, um Projekte auf die Beine zu stellen.

Dass die Basler Philosophisch-Historische Fakultät hier in den letzten Jahren trotz teilweise enger finanzieller Rahmenbedingungen ausgezeichnet agiert hat, zeigen die vielen grösseren und kleineren Projekte, deren eingeworbene Finanzierungen sich auf deutlich über 15 Millionen Franken jährlich beliefen. Dabei zeigt sich auch eine hohe Innovationskraft: Nicht zufällig wurde Basel etwa zum schweizerischen Zentrum für die boomenden «Digital Humanities». Professorinnen und Professoren haben ehrenvolle Rufe an erstrangige Universitäten abgelehnt, und umgekehrt konnte man brillante junge Kolleginnen und Kollegen für Basel gewinnen. Auch findet sich Basler «Nachwuchs» in den verschiedensten Universitäten im In- und Ausland. Das internationale Ansehen der Basler Geisteswissenschaften ist in Fachkreisen unbestritten, und Kooperationen unserer Forschenden gibt es quer durch die halbe Welt. Es wird sich jedoch zeigen, ob sich diese Attraktivität wird halten können. Der Konkurrenzkampf der Universitäten verschärft sich, der Wissenschaftsbetrieb wird immer internationaler. Doch bieten sich durch die übernationalen Netzwerke auch neue Chancen, gerade für den Nachwuchs.

Zum letzten der oben genannten Bereiche, der regionalen Ausstrahlung, gehören sicher zuerst einmal die Studierenden. Es sind gut 3000 an der Philosophisch-Historischen Fakultät, und sie haben ebenso gute Stellenaussichten wie ihre Kollegen aus anderen Bereichen, was bedeutet, dass ihre Profile und ihr Potential einem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprechen. Starke regionale Aktivitäten entfalten aber, und das ist in diesem Mass eine Besonderheit des «Basler Modells», auch die Dozierenden. Sie sind als Experten in den Schweizer Medien gefragt, gleichzeitig aber auch eng verbunden mit der regionalen Kultur und Gesellschaft. So bringen sie ihre Kompetenzen in Diskussionen zu Bildung, Migration, Nachhaltigkeit, Mobilität, zu Sprachenvielfalt oder Kulturbegegnung ein. Sie arbeiten mit den Kulturinstitutionen zusammen, organisieren Veranstaltungen zu aktuellen Fragen oder bringen ihr Wissen in Volkshochschule, Seniorenuniversität oder in Ausstellungen ein. Die Kulturregion Basel wäre ohne eine starke geisteswissenschaftliche Fakultät nicht das, was sie heute ist, und das gesellschaftliche wie das kulturelle Leben (von den Medien ganz zu schweigen) wären um vieles ärmer. Von einem solchen Netz an Spezialisten profitiert eine Region ungleich mehr als von einzelnen «Leuchttürmen».

Nostalgischer Rückblick

Natürlich werden wir manchmal nostalgisch beim Gedanken an die Zeiten, in denen Professoren eine Handvoll Studenten unterrichteten, kaum administrative Aufgaben hatten, keine Studiengänge und Forschungsprojekte schreiben mussten und darauf vertrauen konnten, dass der Nachwuchs sich selbst heranbildet, weil es kaum Konkurrenz gab für diejenigen (lange fast nur Männer), die es sich leisten konnten, sich akademisch zu profilieren. Und es gibt guten Grund darüber nachzudenken, warum einige der grossen Geister es heute schwer hätten, auf eine Professur berufen zu werden – nicht nur Nietzsche, der bei seiner Berufung nicht einmal promoviert war. Aber zurück zu den Zeiten Nietzsches oder auch Karl Barths will niemand, auch wenn wir voller Bewunderung sind für einige der früheren Inhaber unserer Lehrstühle. Denn auch die Geisteswissenschaften sind sich bewusst, dass sich ihre Verantwortung verschoben hat, dass es nicht mehr reicht, kluge Bücher zu schreiben, um der Gesellschaft den Nutzen zu bringen, den sie von ihnen zu Recht erwartet.

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