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Stadtethnografie: Wenn es Nacht wird in Basel

Bild: Universität Basel, Florian Moritz
Der Kulturanthropologe Dr. Michel Massmünster hat mit seiner Doktorarbeit eine Kulturanalyse der Nacht vorgelegt. (Bild: Universität Basel, Florian Moritz)

Michel Massmünster erforschte dunkle Gassen und exzessive Partys, seine Kulturanalyse der Basler Nacht präsentierte der Ethnograf bereits an Musikfestivals und auf Stadtrundgängen. Nun liegt sie auch als Buch vor.

02. Oktober 2017

Bild: Universität Basel, Florian Moritz
Der Kulturanthropologe Dr. Michel Massmünster hat mit seiner Doktorarbeit eine Kulturanalyse der Nacht vorgelegt. (Bild: Universität Basel, Florian Moritz)

Man könnte denken, in diesem Buch hätten sich Wissenschaft und Literatur nicht nur getroffen, «sondern bei einem Long-Drink auch hervorragend verstanden». Das Lob der Basellandschaftlichen Zeitung entspricht einem Ideal, dem Michel Massmünster in seiner kürzlich publizierten Dissertation «Im Taumel der Nacht» folgte.

Die Rückführung der Forschungserkenntnisse werde in der Ethnografie lebhaft debattiert, erklärt der Mitarbeiter des Fachbereichs Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität Basel. Es sei ein grosses Ziel, auch Leserinnen und Leser ausserhalb der Fachzirkel an der ethnografischen Forschung teilhaben zu lassen. Das Ideal des Wissenschaftlers lautet daher: «einen lebhaften Dialog mit jenen, die mein Thema betrifft.»

Pop Lectures

Neben seiner Publikation, welche Massmünster diesen Mittwoch in der Buchhandlung Labyrinth vorstellt, betritt er mitunter auch Bühnen, die wenigen Wissenschaftlern vorbehalten bleiben. So referierte der Ethnograf über die Basler Nacht vor kurzem am Reeperbahn Festival in Hamburg, dem grössten Clubfestival Europas. Dort hielt er zusammen mit weiteren Sozialwissenschaftlern sogenannte Pop Lectures. Das Publikum lauschte den Vorträgen zu popkulturellen Themen meist stehend, oftmals mit Bier oder Long-Drink in der Hand. 

Für Massmünster bleibt vor allem ein Moment in Erinnerung: «Zu später Stunde, nachdem ich selbst noch Konzerte besucht habe, rief mir eine angeheiterte Gruppe zu: wir waren bei deiner Lecture zur Nacht, nun erleben wir sie gemeinsam!» Sein Ideal eines aktiven Dialogs über die Nacht ging auf der berühmt-berüchtigten Reeperbahn also in Erfüllung.

Kulturanalyse

«Dass sich die Erde von der Sonne wegdreht und es dunkel wird, ist physikalisch erklärbar. Aber die Unterscheidung zwischen Tag und Nacht geschieht kulturell», betont Massmünster. «Nacht ist nicht einfach da. Sie ist, was wir aus ihr machen. Wie wir sie beleben und verschlafen, besingen und problematisieren, planen und vermarkten.»

Die Nacht sei in jüngster Zeit zu einem Bestandteil der Stadtidentität geworden. In Basel galt sie bis Ende des 20. Jahrhunderts als schummriges Randphänomen. In den 1970ern hiess es in einem Punksong:

«Gosch dur d’Stross, bliibsch mol stoo
S’git nüt, wo’d könntsch inegoo
S’isch kei Spass, uff dr Gass
Basel isch en abgschlaffts Kaff.»

Stadtspaziergänge

Heute finden sich in internationalen Rankings immer wieder Basler Clubs auf den vorderen Plätzen. Eine attraktive Nachtszene sei längst zu einem Standortfaktor geworden, erklärt Massmünster. In Basel finde sich das Ziel eines kreativen Nachtlebens denn auch im Kulturleitbild der Behörden.

Wie dunkel und gefährlich es einst war, wenn es Nacht wurde in Basel, erklärt der Kulturwissenschaftler besonders gerne auf Spaziergängen, wie er sie unter anderem im Rahmen der Museumsnacht durchgeführt hat. Ein Beispiel für die Entdämonisierung der Nacht sei das «Gässle» an der Basler Fasnacht. Noch im 19. Jahrhundert seien die Gassen der Altstadt eine Bastion der Gefahren und Seuchen gewesen, die Streifzüge der Fasnachts-Cliquen hätten ihren Teil dazu beigetragen, den Schrecken zu vertreiben.

Die nächste Führung durch die Basler Nacht unternimmt Massmünster für das Lenzburger Stapferhaus, das sich gegenwärtig mit dem Thema Heimat befasst. Die Nacht als Heimat taucht in «Taumel der Nacht» immer wieder auf. Eine der zahlreichen Interviewpartnerinnen befand: «Basel fängt mich sehr auf in der Nacht.»

«Die Nacht fordert uns auf, uns neu zu erfinden und erlaubt uns zugleich, uns zurückzuziehen», erklärt Massmünster. Manche Gesprächspartner erinnere die Nacht in Basel an eine Grossstadt, andere immer noch an ein dörfliches Kaff, fasst er zusammen. «Doch für die Grösse des Ortes hat Basels Nacht zweifellos einiges zu bieten.»

Die Dissertation von Michel Massmünster entstand an den Universität Basel und der LMU München und wurde durch Prof. Dr. Walter Leimgruber und Prof. Dr. Johannes Moser betreut. Sie ist im Kulturverlag Kadmos erschienen.


Michel Massmünster: Im Taumel der Nacht. Urbane Imaginationen, Rhythmen und Erfahrungen. Berlin 2017, 315 Seiten, 24.90 Euro.

Veranstaltungen

Buchpräsentation: Im Taumel der Nacht, Lesung und Gespräch mit Ulrike Langbein, Buchhandlung Labyrinth, Basel, 4. Oktober 2017, 19:30 Uhr.

Daheim in der dunklen Stadt: Ein Nachtspaziergang, Treffpunkt Tramhaltestelle Claraplatz, Basel, Veranstaltungsserie HEIMATunterwegs des Stapferhaus Lenzburg, 2. November 2017, 19.30 Uhr.

Mythos Nacht- Anthropologische Perspektiven auf die Nacht. Panel im Rahmen von «Nights – Stadt nach acht», International Conference on Nighttime Economy, Culture, Urban Development and Health Issues, Berlin, 9. November 2017.

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