Ist ein hohes Alter erstrebenswert, Herr Felder?
Text: Stefan Felder, Gesundheitsökonom
Lange leben möchte jeder. Aber wie bleiben wir möglichst lange fit und gesund? Und welche offenen Fragen birgt die steigende Lebenserwartung? Antworten aus der Gesundheitsökonomie.
Ein hohes Alter zu erreichen ist zweifellos wünschenswert. Und ein zunehmend erreichbares Ziel: Die Wahrscheinlichkeit, 90 Jahre alt zu werden, hat sich in der Schweiz bei den Männern seit dem Jahr 2000 von 15 auf 30 Prozent verdoppelt, bei den Frauen ist sie von 30 auf 46 Prozent gestiegen. Heute werden also fast ein Drittel der Männer und beinahe die Hälfte der Frauen mindestens 90 Jahre alt.
Die Bevölkerung sieht diese Entwicklung positiv. Wie wir in einem Forschungsprojekt gezeigt haben, ist Schweizerinnen und Schweizern ein zusätzliches Lebensjahr bei bester Gesundheit rund 200’000 Franken wert. Ein längeres Leben bedeutet zusätzliche Ausgaben für die Betroffenen selbst und für den Staat. Den staatlichen Teil tragen zu einem grossen Teil die jüngeren Generationen.
Exemplarisch in der AHV, die überwiegend aus Lohnbeiträgen finanziert wird: Eine Person, die fünf Jahre länger lebt – so viele Lebensjahre haben Frauen und Männer im Durchschnitt seit 2000 gewonnen –, erhält in diesem Zeitraum zwischen 75’000 (Minimalrente) und 150'000 Franken (Maximalrente). Durch die 13. Monatsrente, die 2026 eingeführt wird, kommen nochmals zwischen 37’500 und 75’000 Franken hinzu. Ein wesentlicher Teil davon wird über Lohnbeiträge finanziert werden, mit dem Ergebnis, dass wiederum in erster Linie die Jüngeren zur Kasse gebeten werden.
Die Menschen sterben nicht nur immer später, sondern auch der Beginn von körperlicher Gebrechlichkeit wird stetig aufgeschoben. Mortalität und Morbidität werden beide in ein immer höheres Alter verdrängt. Die Kosten der Krankenversicherung sind daher zu einem guten Teil immun gegen die demografische Alterung.
Nur in der Langzeitpflege steigen mit zunehmender Lebenserwartung die Kosten. Exemplarisch zeigt sich dies bei den Ergänzungsleistungen zur AHV, die in den letzten Jahren geradezu explodiert sind. Hier bräuchte es eine Pflegeversicherung, bei der – wie in der 2. Säule der Altersvorsorge – zunächst ein Kapitalstock angespart wird, bevor die Leistungen ausgezahlt werden. Auf diese Weise würden die Babyboomer für die Kosten ihrer künftigen Langzeitpflege selbst aufkommen. Werden diese dagegen weiterhin über die Umlage der Krankenversicherung und Steuern finanziert, geht dies zu Lasten der jungen Generationen.
Welche Behandlungen am Lebensende?
Die zusätzlichen privaten und staatlichen Kosten der Langlebigkeit haben Implikationen für die Entscheidung, welche Leistungen in den gesetzlichen Katalog der Krankenversicherung gehören. Einem Medikament, das die Lebenserwartung erhöht, sollten diese zusätzlichen Kosten zugerechnet werden. Wird dies versäumt, sind Leistungen im Nachteil, die weniger das Leben verlängern, aber die Lebensqualität umso mehr verbessern. Der gesundheitsökonomische Rat geht dahin, am Lebensende schonende Behandlungen vorzuziehen und auf solche zu verzichten, die das Leben mit grossem Aufwand nur um wenige Monate verlängern.
Stefan Felder ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Basel und Mitgründer des Basel Center for Health Economics. Sein Forschungsinteresse gilt unter anderem der Regulierung von Krankenversicherung und Gesundheitsmärkten.
Weitere Artikel dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2025).
 
		