Schuldfähig oder nicht? Warum Gutachter*innen vor Gericht eine zentrale Rolle spielen können

Wann ist eine Person rückfallgefährdet und wer beurteilt das eigentlich? Psychiatrisch-psychologische Gutachten können in einem Strafverfahren vor Gericht eine Schlüsselrolle spielen. Gerade dann, wenn es vor Gericht um die Beurteilung von Rückfallrisiko, Schuldfähigkeit sowie der Notwendigkeit und Wirksamkeit von Therapien von Straftäter*innen mit psychischen Störungen geht – und es dem Gericht diesbezüglich an nötigem Fachwissen fehlt. Diese Gutachten werden von psychiatrischen oder psychologischen Gutachter*innen erstellt, die stark gefragt sind.
Warum kommt Gutachter*innen eine zentrale Rolle vor Gericht zu?
«Wenn Richter*innen selbst nicht das Fachwissen haben, einen Sachverhalt zu beurteilen, müssen sie Sachverständige beiziehen, die das für sie tun», erklärt Marc Graf. Er ist Klinischer Professor für forensische Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. «Das ist bei einem Flugzeugabsturz gleichermassen der Fall wie in komplexen Wirtschaftskriminalfällen. Und eben auch, wenn es um Straftäter*innen mit psychischen Störungen geht», schildert Graf weiter.
Fehlt es dem Gericht an nötiger Fachexpertise, bestellt es in der Regel entsprechende Gutachter*innen ein, die die Sachverhalte einschätzen. Dies kann insbesondere auch in strafrechtlichen Verfahren nötig sein, etwa wenn es um psychisch erkrankte Täter*innen geht und die Fragen, wie hoch das Rückfallrisiko ist, ob eine Therapie das Risiko senken kann und inwiefern die Täter*innen überhaupt schuldfähig sind. An diese Gutachter*innen werden im Strafrecht zu Recht sehr hohe Anforderungen gestellt, da ihre Beurteilungen oft eine wesentliche Grundlage für Gerichtsurteile bieten.
Gutachter*innen müssen daher über die notwendigen wissenschaftlichen und klinischen Fachkenntnisse verfügen, unterstreicht Marc Graf. Zudem sei auch die Kenntnis darüber sehr wichtig, wo therapeutische Massnahmen in der Schweiz durchgeführt werden können, etwa in forensischen Kliniken, Massnahmenzentren und Strafanstalten.
Besonders spannend: Der Studiengang greift aktuelle Entwicklungen auf, etwa die zunehmende Bedeutung von Risikobeurteilungen bei Entscheidungen des Gerichts über (vorzeitige) Entlassungen von Straftäter*innen oder die Anordnung einer Verwahrung zum Schutz der Öffentlichkeit. Es geht auch hier darum, fundierte Antworten auf die Fragen zu finden, die wesentlich sind für einen angemessenen fachlichen Umgang mit Straftäter*innen. Insbesondere geht es dabei um die Prävention von neuen Delikten und verbesserten Chancen zur Wiedereingliederung sowie den Schutz potentieller Opfer.
Mangel an qualifizierten Gutachter*innen und neues Weiterbildungsangebot
Umso erstaunlicher ist es, dass es an qualifizierten Gutachter*innen in der Deutschschweiz mangelt. In der französisch- und der italienischsprachigen Schweiz ist der Mangel an Gutachter*innen noch eklatanter. Das Weiterbildungsangebot CAS Psychiatrisch-Psychologische Begutachtung im Strafrecht reagiert auf diesen Mangel an Fachleuten. Der CAS richtet sich an Psychotherapeut:innen oder Psycholog:innen in Ausbildung zur/zum Psychotherapeut:in und Psychiater:innen mit Arbeitserfahrung im forensischen Kontext. Neben der Vermittlung von aktuellem Fachwissen spielt der Praxisbezug des Weiterbildungsangebots eine grosse Rolle. Der Unterricht findet dezentral in verschiedenen Institutionen des Justizvollzugs und in forensisch-psychiatrischen Kliniken der Schweiz statt und erstmalig wird auch die forensische Untersuchung von beschuldigten Personen praktisch trainiert. Abschliessendes Highlight der Weiterbildung ist der sogenannte Moot Court: Die Teilnehmenden müssen verschiedene fiktive Fälle gutachterlich beurteilen und werden dann im realen Gerichtssaal von einem realen Gericht inklusive Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausführlich zum Gutachten befragt. So wird der so wichtige umfassende Praxisbezug der Ausbildung sichergestellt.
«Gleichzeitig können sich die CAS-Teilnehmenden auch ein Netzwerk aufbauen und begegnen den Fachpersonen, die in den Institutionen, in denen Straftäter:innen untergebracht sind, arbeiten», sagt Marc Graf, der seit 2024 auch Vorsitzender der Studiengangkommission des neuen CAS Psychiatrisch-Psychologische Begutachtung im Strafrecht ist.
Details zum Studiengang
Der Studiengang wurde im Jahr 2024 das erste Mal erfolgreich durchgeführt. Etwas mehr als ein Drittel der Teilnehmenden hatten einen medizinischen Ausbildungshintergrund, knapp zwei Drittel einen psychologischen. Nun startet 2026 der zweite Durchgang. Innerhalb von neun Monaten werden die sieben Module des CAS von ausgewiesenen Expert*innen wissenschaftlich fundiert und zugleich praxisnah vermittelt. Der CAS wird vom Berufsverband der Schweizerischen Gesellschaft für forensische Psychiatrie (SGFP) als theoretische Weiterbildung für die folgenden Titel anerkannt:
- Schwerpunkt forensische Psychiatrie und Psychotherapie FMH für Psychiater*innen
- Zertifikat Begutachtung im Strafrecht SGFP für Psycholog*innen
Der Studiengang kostet CHF 9'500 und startet erneut im Januar 2026. Interessiert? Weitere Informationen unter weiterbildung.unibas.ch.
Auf einen Blick
Abschluss
Certificate of Advanced (CAS)
Psychiatrisch-Psychologische Begutachtung im Strafrecht
ECTS-Kreditpunkte
12
Nächster Start
29. Januar 2026
Dauer
9 Monate
Preis
9'500
Unterrichtssprache
Deutsch