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Wie das Gehirn unsere Bewegungen steuert

Laufen, lachen oder atmen – hinter jeder Bewegung verbirgt sich ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Nerven und Muskeln. Die Neurobiologin Silvia Arber erforscht, wie Nervenzellen miteinander verschaltet sind und welche neuronalen Netzwerke die Bewegungen unseres Körpers steuern.

Silvia Arber
Silvia Arber untersucht mit ihrem Team die Funktion und Entwicklung von Nervenzellnetzwerken, die unsere Bewegungsabläufe steuern. © Universität Basel

Das Gehirn ist immer noch weitgehend ein Rätsel. Auch für Silvia Arber. Doch genau darin liegt für die international bekannte Schweizer Neurobiologin der Reiz: «Sich auf unbekanntes Terrain zu wagen, mit der Chance etwas zu entdecken, was noch niemand zuvor gesehen hat, motiviert mich tagtäglich aufs Neue.»

Die Faszination für das Gehirn, die Neugier und offene Herangehensweise sind wohl auch der Schlüssel für Arbers grundlegende Entdeckungen. Mit ihrem Team am Biozentrum der Universität Basel und am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) untersucht sie, wie das Nervensystem das breite Repertoire von einfachen bis zu hochkomplexen Bewegungsabläufen steuert. Ihr Ziel ist es, eine Karte der Nervenverbindungen zwischen Gehirn und Muskeln zu erstellen und deren Funktion zu entschlüsseln.

Hirnstamm ist wichtige Schaltzentrale

Beinahe jede Aktivität des Gehirns mündet in einer Bewegung. Sei es beim Laufen, Sprechen, Greifen oder Atmen, immer geben Nervenzellen den Impuls dafür. Der Hirnstamm nimmt dabei eine wichtige Rolle als Schaltzentrale ein. Von hier werden die Anweisungen, wann und wie eine Bewegung auszuführen ist, an die entsprechenden Netzwerke im Rückenmark weitergegeben. Die motorischen Nervenzellen im Rückenmark übertragen das Signal schliesslich an die Muskelfasern, die sich daraufhin zusammenziehen. Viele dieser motorischen Schaltkreise sind bei Mensch und Tier ähnlich. Auch deshalb sind in der Neurobiologie Mäuse geeignete Modelle, um die Architektur und Funktionsweise neuronaler Netzwerke für die Bewegungskontrolle zu studieren.

Derzeit interessieren Arber vor allem die neuronalen Netzwerke im Hirnstamm. «Wir möchten herausfinden», so die Neurobiologin, «welche Typen von Nervenzellen dort vorkommen, wo genau sie im Hirnstamm lokalisiert und wie sie miteinander verknüpft sind und welche Bewegungsabläufe sie koordinieren.» Mittels viraler und optogenetischer Methoden lässt sich die Identität von Nervenzellen feststellen, der Informationsfluss über die Nervenverbindungen sichtbar machen, und deren Funktion zu entschlüsseln.

Gruppen von Nervenzellen steuern einzelne Bewegungen

Auf diese Weise konnte Arber bereits zeigen, dass der Hirnstamm aus vielen Untereinheiten besteht, in denen sich Nervenzellen mit gleicher oder ähnlicher Funktion gruppieren. So gibt es dort Nervenzellen, welche die Geschwindigkeit der Laufbewegung der Beine von Mäusen steuern. Andere bewirken, dass die Maus die Vorderbeine nach Futter ausstreckt. Für das Greifen nach einem Futterstück, ist wiederum eine andere Gruppe von Nervenzellen zuständig. Die verschiedenen Hirnstammregionen sind dann ihrerseits mit hochspezialisierten, funktionell unterschiedlichen neuronalen Netzwerken im Rückenmark verknüpft.

«Über ein komplexes Verbindungsmuster koordiniert der Hirnstamm verschiedenste Bewegungsabläufe», sagt Arber. «Interessant war unsere Entdeckung, dass es mehr Hirnstammregionen gibt, welche spezifisch die Bewegungen der Vorderbeine kontrollieren als die der Hinterbeine. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum nicht nur Mäuse, sondern auch Menschen mit den Händen deutlich geschickter sind als mit den Füssen.» Komplexe Bewegungsabläufe, wie etwa das Greifen mit den Fingern, bedingen, dass Neuronen mit anderen Hirnstammregionen kommunizieren. Diese leiten die Bewegungsanweisungen dann an die zuständigen Netzwerke im Rückenmark weiter.

Störungen der Bewegungsfähigkeit verstehen

In ihrer Forschung geht es Arber primär darum, die neuronalen Netzwerke der Bewegungskontrolle zu entflechten und ihnen Funktionen zuzuordnen. Und dennoch sind ihre Arbeiten auch von hoher medizinischer Relevanz. Wenn man die Verbindungen zwischen Gehirn und Muskeln genau kennt, lassen sich bei Krankheiten des Nervensystems oder bei Verletzungen des Rückenmarks Rückschlüsse auf die betroffenen Zellpopulationen ziehen. Dieses Wissen könnte konkret für die Behandlung von Krankheiten mit Bewegungseinschränkungen wichtig sein. «Wir müssen erst verstehen, wie das Gehirn funktioniert, bevor wir verstehen, wieso es nicht funktioniert,» so die Neurobiologin.

Weil ihre grundlegenden Erkenntnisse wichtig für künftige medizinische Eingriffe sein könnten, wurde Silvia Arber 2017 der Louis-Jeantet-Preis für Medizin verliehen – eine von vielen bedeutenden Auszeichnungen. Seit 2020 ist sie zudem Mitglied der «National Academy of Sciences» (NAS). Die Aufnahme in die amerikanische Wissenschaftsakademie gilt als eine der höchsten Auszeichnungen, die Forschenden zuteilwerden kann.

Bewegungskontrolle durch motorische Netzwerke

Silvia Arber erforscht in ihrem aktuellen vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Projekt «InterAct», wie Gehirn, Rückenmark und Muskeln zusammenspielen und möchte Prinzipien aufdecken, wie das Nervensystem das breite Repertoire von einfachen bis zu hochkomplexen Bewegungsabläufen lernt und ausführt. Die Erkenntnisse liefern wichtige Grundlagen zur Behandlung von Bewegungsstörungen und Verletzungen des Nervensystems. Arber gehört zu den wenigen Forschenden, die bereits drei Mal mit einem renommierten «ERC Grant» ausgezeichnet wurden.

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