Gemeinsam forschen gegen die nächste Seuche.
Interview*: Angelika Jacobs
Emma Hodcroft untersucht, wie unser Zusammenleben mit Viren die Krankheitserreger und uns verändert. Angesichts von Vogelgrippe, Ebola und Co. blickt sie mit Sorge auf den Kahlschlag der US-Regierung in Wissenschaft und Entwicklungshilfe.
UNI NOVA: Frau Hodcroft, das Fachjournal «Nature» hat Sie zu einer von drei Personen gewählt, die 2025 die Wissenschaft besonders prägen werden. Was sind Ihre Pläne für dieses Jahr?
Emma Hodcroft: Die Erwartungen sind gar nicht hoch, oder? (lacht) Meine Pläne sind eigentlich die gleichen wie vor dem besagten «Nature»-Artikel. Ich bin nach der Pandemie und dem starken Fokus auf Sars-CoV-2 zu meinem ursprünglichen Forschungsgebiet zurückgekehrt: der Enterovirus-Forschung. Das freut mich sehr, weil ich jetzt eine eigene Forschungsgruppe habe, um neue Ideen und Hypothesen zu testen.
Haben Sie ein Beispiel für Enteroviren?
Dazu gehören beispielsweise die Erreger der landläufigen Erkältung, Rhinoviren. Die sind zwar lästig, aber harmlos. Weitaus gefährlichere Vertreter sind Polioviren. Dazwischen gibt es aber noch viele andere Viren, über die wir sehr viel weniger wissen.
Welche denn?
Ein Beispiel, das mich besonders interessiert, ist das Enterovirus D68, das schon lange in der Bevölkerung zirkuliert. Die meisten von uns haben Antikörper dagegen. Normalerweise bekommt man als Kind davon einen leichten Atemwegsinfekt. 2015 und 2016 sind relativ viele Fälle bei Kindern festgestellt worden, in sehr seltenen Fällen hat das Virus auch Lähmungen verursacht. Warum so unterschiedliche Auswirkungen? Wie viel liegt am Virus selbst? Wie viel am Immunsystem? Und über dieses Beispiel hinaus: Welchen Einfluss hat unsere langfristige Koexistenz mit solchen Viren auf die Virusevolution? Das sind einige der Fragen, die mich interessieren.
Die Virusevolution für das Coronavirus Sars-CoV-2 konnte man auf der Plattform Nextstrain beobachten, die Sie mitentwickelt haben. 2024 haben Sie zusammen mit anderen Forschenden eine weitere Plattform namens Pathoplexus gegründet. Was ist der Unterschied?
Nextstrain ist eine Website, auf der wir die Entwicklung von Virusvarianten in Form von Stammbäumen zeigen. Es ist aber zugleich ein Analysewerkzeug; man kann es herunterladen und auf eigene Virensequenz-Daten anwenden. Pathoplexus ist hingegen eine Datenbank, es geht ums Speichern und Teilen von Virus-Sequenzierdaten.
«Nature» schrieb, dass viele Forschende gespannt auf die weitere Entwicklung von Pathoplexus schauen. Was ist das Besondere daran?
Wir haben mit unserer Plattform eine Lösung für ein Dilemma gefunden: Forschende teilen nämlich ungern Daten, bevor sie selbst ihre Analysen veröffentlicht haben. Publikationen sind die wichtigste Währung in der Wissenschaft, brauchen aber Zeit. Bei einem Ausbruch einer Viruskrankheit wäre es jedoch wichtig, dass Forschende weltweit möglichst schnell Zugang zu diesen Daten haben. Auf Pathoplexus können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Virusdaten für maximal ein Jahr schützen: Andere Forschungsgruppen können sofort darauf zugreifen und damit arbeiten, dürfen aber keine eigenen Publikationen damit veröffentlichen. Dank dieser Option haben Forschende beispielsweise sehr schnell Daten zum jüngsten Ebola-Ausbruch in Uganda auf unsere Plattform geladen.
Welcher Nutzen ergibt sich daraus für die Bevölkerung?
Schneller Zugang zu solchen Daten kann Forschenden helfen, das Virus bei einem Ausbruch rasch zu identifizieren und problematische Mutationen zu erkennen. Das sind essenzielle Informationen, damit Behörden frühzeitig entsprechende Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen können.
Sie erwähnten den jüngsten Ebola-Ausbruch in Uganda. Auch Vogelgrippe und Mpox sind immer wieder in den Schlagzeilen. Welche Entwicklungen in der Welt der Viren machen Ihnen besonders Sorgen?
Man muss da vorsichtig sein: Wir wissen nicht, woher der nächste grosse Ausbruch kommt. Vor der Pandemie haben viele Fachleute vor Coronaviren gewarnt, aber die Notfallpläne vieler Regierungen fokussierten auf Ausbrüche der Grippe. Das zeigt: Wenn wir zu wissen glauben, welches Virus die nächste Pandemie auslöst, vernachlässigen wir die Vorbereitung auf eine Pandemie durch andere Erreger, über die wir vielleicht weniger wissen.
Sind wir heute besser vorbereitet auf eine Pandemie als 2019?
In mancher Hinsicht ja. Anfang 2020 war es unvorstellbar, dass ein frühzeitiger Shutdown weniger wirtschaftlichen Schaden anrichten könnte als eine Pandemie. Alle Regierungen zögerten deshalb lange, etwas zu unternehmen. Inzwischen wissen wir: Der wirtschaftliche Schaden durch eine Pandemie ist massiv grösser. Vielleicht sind Regierungen künftig eher bereit, einen gewissen wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen, um Schlimmeres zu verhindern. Auf der anderen Seite war der Shutdown für uns alle eine sehr schwere Zeit. Kinder und Jugendliche leiden bis heute unter den Folgen, die psychische Gesundheit und die finanzielle Situation vieler Menschen hat sich dadurch verschlechtert. Diese Auswirkungen sind präsenter in den Köpfen als die absolut verheerenden Folgen, wenn man keine Massnahmen ergriffen hätte. Wie wird das die Entscheidungen prägen, wenn wir die Anfänge einer neuen Pandemie sehen? Niemand will zurück zu Shutdowns.
In den USA machen schwere Fälle von Vogelgrippe bei Menschen immer wieder Schlagzeilen. Zugleich hat US-Präsident Donald Trump Angestellte bei wichtigen Gesundheitsbehörden entlassen und Forschungsprojekte gestoppt. Er stand ebenfalls auf der eingangs erwähnten «Nature»-Liste der Personen, die die Wissenschaft 2025 prägen werden. Zu Recht?
Er verändert die Forschungslandschaft, aber auf zerstörerische Weise. Nur ein Beispiel: Organisationen wie die Centres of Disease Control, CDC, und das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) – beides zentrale Institutionen für die Erforschung und Überwachung von Infektionskrankheiten – dürfen nicht mehr an internationalen Fachtagungen teilnehmen, nicht mal per Zoom. Es ist absolut der falsche Zeitpunkt, den globalen Austausch über die Vogelgrippe und andere Gesundheitsbedrohungen zu unterbinden.
Spürt man die Auswirkungen der Trump-Regierung auf die Forschung auch in der Schweiz und Europa?
Ja, denn es gibt zahlreiche gemeinsame Forschungsprojekte, die von den USA und der EU gemeinsam finanziert werden. Wenn die Gelder aus den USA von einem Tag auf den anderen wegfallen, lässt sich das nicht so einfach kompensieren. Es droht ein Abbruch von Versuchsreihen, weil Rechnungen nicht mehr bezahlt werden können. Die Temperaturregulation und das Gasgemisch für Zellkulturen sowie Futter, Wärme und Pflege für Versuchstiere, all das kostet Geld. Da kann man nicht sagen, wir schauen in ein paar Wochen wieder wegen der Finanzierung. Wenn kein Geld da ist, müssen Forschende Experimente abbrechen, die teilweise mehrere Jahre an Vorbereitung gekostet haben.
Und über die Laborforschung hinaus?
Die Quasi-Zerschlagung der Entwicklungshilfebehörde USAID hat verheerende Folgen für die Menschen, die von den hieraus finanzierten Programmen abhängig sind. Und viele der betroffenen Länder sind genau jene, wo wir Ausbrüche von beispielsweise Ebola sehen. Dort den Geldhahn zuzudrehen und damit die Überwachung von Infektionskrankheiten zu beenden, ist ein grosser Fehler.
Das klingt nach gefährlichen Entwicklungen. Punktuell regt sich Widerstand, aber warum gibt es nicht mehr Protest in den USA?
Viele Forschende und Staatsangestellte sind im Zwiespalt: Sollen sie protestieren und dadurch riskieren, dass sie als Nächstes entlassen werden? Oder sollen sie im Stillen versuchen zu retten, was zu retten ist? Und was die US-Bevölkerung angeht: Viele glauben dem Narrativ, dass Trump mit der Verschwendung von Staatsgeldern aufräumt. Ihnen ist nicht klar, wie strikt Forschungsausgaben kontrolliert werden. Wer Forschungsgelder erhält, muss jeden Dollar und Cent rechtfertigen. Natürlich kann man die staatlichen Behörden prüfen und Anpassungen vornehmen, wo nötig. Aber so, wie die Trump-Regierung vorgeht, macht man kein Audit. Man entlässt nicht erstmal sämtliche erfahrenen Gesundheitsfachleute, entledigt sich aller Expertise und fängt wieder bei null an. Das ist keine Effizienzsteigerung, das ist pure Zerstörung.
Gibt es einen Hoffnungsschimmer?
Im Moment sehe ich ehrlich gesagt keinen. Vielleicht können wir irgendwann zurückblicken und sagen: Das war der Wendepunkt, durch den sich Europa enger zusammengeschlossen und eine neue Ära in der Entwicklungshilfe und Forschungszusammenarbeit eingeläutet hat. Aber selbst diese Hoffnung hinterlässt bei mir einen bitteren Geschmack: Braucht es dafür wirklich so viel Zerstörung? Sollten wir das nicht auch schaffen, ohne dass so viel Leid entsteht und so viele Menschen in Afrika ihr Leben verlieren? Ohne dass so viele Arbeitsplätze und so viel Expertise vernichtet werden?
Neben Ihnen und Donald Trump steht bei «Nature» auch der neue Cern-Direktor Mark Thomson auf der Liste der «People to watch in 2025». Sowohl das Cern als auch Pathoplexus bauen auf internationaler Zusammenarbeit auf. Sind Sie die Gegenpole zu dem, was in den USA passiert?
Ich hoffe es! Das Cern ist ein grossartiges Beispiel: Als internationale Gemeinschaft können wir so viel erreichen, was für einzelne Länder sehr schwierig bis unmöglich wäre. Die technologischen Innovationen, die am Cern entwickelt wurden, sind Teil unseres Alltags geworden. Gemeinsam können wir Erstaunliches schaffen, und das gilt auch für die öffentliche Gesundheitsforschung. Nur dass es dabei nicht nur um technische Erleichterungen unseres Alltags geht, sondern letztlich darum, uns vor tödlichen Krankheiten zu bewahren.
* Das Interview fand Ende März 2025 statt.
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