Wachstum vor Fotosynthese: Wie Bäume ihren Wasserhaushalt regulieren
Damit sie wachsen können, müssen Bäume ihre Wasserbilanz penibel kontrollieren. Eine Studie der Universität Basel zeigt, wie Bäume bei Trockenheit reagieren – und revidiert bisherige Annahmen.
13. Mai 2025 | Noëmi Kern
Pflanzen haben an der Unterseite ihrer Blätter kleine Poren, die Spaltöffnungen. Fachleute sprechen auch von Stomata. Wenn die Sonne aufgeht, öffnen sich diese Poren und die Pflanzen nehmen darüber aus der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid (CO2) auf, das sie neben Sonnenlicht und Wasser für die Fotosynthese benötigen. Gleichzeitig verdunstet über die geöffneten Stomata Wasser; bei einem Baum können das mehrere Hundert Liter pro Tag sein.
Bei Wasserknappheit können Pflanzen ihre Spaltöffnungen schliessen und so die Wasserverdunstung unterbinden. Dass Pflanzen über diesen Schutzmechanismus verfügen, ist nicht neu. Bisher war aber nicht klar, wann er einsetzt und was ihn auslöst. Forschende am Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel liefern hierzu neue Erkenntnisse in der Fachzeitschrift «Nature Plants». Die Mehrheit der Messdaten stammt aus dem Waldlabor der Universität Basel in Hölstein im Kanton Basel-Landschaft, wo ein Kran es ermöglicht, Prozesse in den Baumkronen ausgewachsener Bäume zu untersuchen.
Balanceakt im Blätterdach
Die Verdunstung von Wasser über die Spaltöffnungen ist ein passiver Prozess bei der CO2-Aufnahme. Der Wasserverlust ist also der Preis, den eine Pflanze für die Fotosynthese zahlt. Indem sie die Stomata schliesst, kann sie die Verdunstung zwar stoppen, verzichtet damit aber auf die Fotosynthese.
«Mit Blick auf Pflanzen steht bei Forschenden traditionell die Fotosynthese im Fokus. Deshalb ging man bis jetzt davon aus, dass Bäume diesen Prozess vorrangig behandeln und folglich die Spaltöffnungen zugunsten der CO2-Aufnahme möglichst lange offenhalten und sie erst schliessen, wenn es nicht mehr anders geht», erklärt Studienleiter Prof. Dr. Ansgar Kahmen.
Verdunstet Wasser durch die Spaltöffnungen, entsteht in den Zellen und Wasserleitbahnen ein Unterdruck. Durch diesen gelangt das Wasser von den Wurzeln über die Leitbahnen in die Wachstumsschicht des Stamms und in die Baumkrone. Dort ersetzt es das an die Atmosphäre abgegebene Wasser.
Das System vor dem Kollaps bewahren
Um das tagsüber verlorene Wasser zu ersetzen, brauchen Bäume üblicherweise die ganze Nacht. Die Stomata sind dann geschlossen und die Pflanzenzellen füllen sich mit Wasser auf. Dadurch entsteht der sogenannte Turgordruck auf die Zellwände, welcher für das Streckungswachstum der Zellen notwendig ist. Bäume wachsen daher nachts.
Sind die Böden trocken, fehlt das Wasser, um die Wasserreserven vollständig aufzufüllen. Dadurch ist die Wassersättigung in den Zellen zu gering und der Turgordruck bleibt niedrig. Das hemmt schon bei mässiger Trockenheit das Wachstum der Bäume. Bei zunehmender Trockenheit wird der Sog in den Zellen und Leitbahnen immer stärker, bis irgendwann die Wasserfäden im Gewebe reissen. In der Folge bilden sich Luftblasen, sogenannte Embolien. «Wenn das passiert, entstehen irreparable Schäden, das Wassertransportsystem kollabiert und die Pflanze geht schliesslich ein», so Ansgar Kahmen.
Wasserversorgung im Baum ist zentral
Bisher nahm man an, dass Bäume ihre Stomata erst kurz vor Auftreten dieser Embolien schliessen, um die Fotosynthese möglichst lange aufrechterhalten zu können. Die neue Studie zeigt nun, dass die Stomata bereits zu einem früheren Zeitpunkt geschlossen bleiben, nämlich dann, wenn die Wasseraufnahme in der Nacht erschwert ist. «Wir konnten damit erstmals zeigen, dass ein Baum die Spaltöffnungen am Morgen gar nicht erst öffnet, wenn er über Nacht nicht ausreichend Wasser aufnehmen konnte», so Kahmen. Damit verzichtet der Baum zugunsten des Wachstums auf die Fotosynthese.
Laut Kahmen ergibt diese Priorisierung Sinn. Denn wächst die Pflanze infolge Wassermangels nicht mehr, kann sie noch so viel Fotosynthese betreiben – die dabei entstehenden Produkte kann sie nicht verwerten. «Ziel ist also nicht, die Fotosynthese zu optimieren und sie möglichst lange aufrechtzuerhalten, sondern die Produkte der Fotosynthese möglichst effizient für das Wachstum zu verwerten», resümiert der Pflanzenphysiologe.
Kohlenstoffkreislauf und Klimamodelle
Die Erkenntnisse könnten auch die Berechnungen zur CO2-Bindung von Wäldern beeinflussen. Wenn die Spaltöffnungen bei Trockenheit weniger lange geöffnet sind als bisher angenommen, nehmen Bäume weniger Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre auf. «Klimamodelle, die von einer bestimmten Zunahme des Speichervolumens ausgehen, müssten also angepasst werden», sagt Erstautor Richard L. Peters, ehemaliger Postdoc an der Universität Basel und nun Professor an der Technischen Universität München (TUM). Insbesondere im Kontext des Klimawandels, der auch in der Schweiz zu wärmeren und vor allem trockeneren Sommern führt, könnte sich die Kohlenstoffaufnahme stärker verändern, als bis jetzt angenommen.
«Bemerkenswert ist, dass unsere Beobachtungen zu den Spaltöffnungen für alle Baumarten gelten, egal ob Laub- oder Nadelbäume. Wie gut eine Baumart mit Trockenheit zurechtkommt, lässt sich also nicht allein am Prozess des Stomataschlusses festmachen», sagt Peters.
Originalpublikation
Richard L. Peters et al.
Uniform regulation of stomatal closure across temperate tree species to sustain nocturnal turgor and growth
Nature Plants (2025), doi: 10.1038/s41477-025-01957-3