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Sammler der ungeklärten Fälle

Frau mit Hautausschlag an Schultern und Rücken
Die Ausprägungen einer seltenen Immunstörung können vielfältig sein. Ein Basler Team widmet sich den Fällen, in denen Standardtherapien keine Abhilfe schaffen und die Ursachen unklar sind. (Symbolbild: Adobe Stock)

In der Sprechstunde für seltene Immunstörungen sieht der Immunologe Mike Recher eine Vielzahl verschiedener Gesundheitsprobleme. Beim Aufspüren der Ursache sind einerseits Technologie, andererseits übergreifendes Denken gefragt.

22. Februar 2024 | Angelika Jacobs

Frau mit Hautausschlag an Schultern und Rücken
Die Ausprägungen einer seltenen Immunstörung können vielfältig sein. Ein Basler Team widmet sich den Fällen, in denen Standardtherapien keine Abhilfe schaffen und die Ursachen unklar sind. (Symbolbild: Adobe Stock)

Wenn eines der Zahnräder in der Maschinerie des Immunsystems hakt, ist das Spektrum möglicher Symptome gigantisch – von schwerer Schuppenflechte über häufige Infekte bis zu chronischen Durchfällen. Das macht die Diagnose schwierig. Erst wenn Standardtherapien einem Patienten nicht helfen und die behandelnde Ärztin den richtigen Riecher hat, gelangt der Betroffene womöglich an die Sprechstunde für seltene Immunstörungen in Basel.

Seit rund zehn Jahren sammelt Prof. Dr. Mike Recher von der Universität Basel in diesem Rahmen die besonderen Fälle und hat mittlerweile eine Kohorte von über 500 Patientinnen und Patienten aufgebaut, die die Vielfalt gesundheitlicher Probleme widerspiegelt.

Verdächtiges Immun-Blutbild

Einen Verbündeten auf der Suche nach den Ursachen hat Recher unter anderem im Dermatologen Prof. Dr. Alexander Navarini, der ebenfalls an der Universität Basel forscht. Die Faszination für Immunologie führte beide vor rund 20 Jahren in das Labor von Prof. Dr. Rolf Zinkernagel am Universitätsspital Zürich, der für seine Forschung über die Abwehr von Viren den Medizin-Nobelpreis erhielt. Auch heute noch arbeiten Recher und Navarini zusammen, etwa wenn hinter einer Hauterkrankung eine Immunstörung stecken könnte.

Illustration verschiedener Blutzellen in einem Blutgefäss
Eine Untersuchung der Zusammensetzung des Blutes mit Fokus auf die Immunzellen verrät, ob hinter ungeklärten Symptomen eine Immunstörung stecken könnte. (Symbolbild: Adobe Stock)

«Wenn wir beispielsweise eine Person haben, die immer wieder an Entzündungen mit Hefepilzen leidet oder Virus-Warzen an der Haut nicht wegkriegt, fällt der Verdacht auf das Immunsystem», erklärt Navarini. Ist bei weiteren Untersuchungen die Verteilung der Immunzellen im Blut auffällig, lohnt es sich, die Vermutung weiterzuverfolgen.

Hier kommt die Technologie ins Spiel: Dank DNA-Sequenzierung, computergestützten Analysen und grossen Gen-Datenbanken können die Forschenden jene Veränderungen im Erbgut identifizieren, die die Funktion des Immunsystems beeinträchtigen könnten. Das Augenmerk liegt dabei besonders auf den Genen, deren Verbindung mit Immunfunktionen bekannt ist; und in diesen Genen auf Mutationen, die den Proteinbauplan verändern.

Ist eine solche Genveränderung einmal entdeckt, folgen diverse Experimente mit Zellkulturen – zum einen mit Immunzellen, die aus dem Blut der Patientin oder des Patienten isoliert werden, zum anderen mit Modell-Zelllinien, denen die Forschenden die gleiche Mutation einpflanzen. So können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Basler Teams letztlich ermitteln, ob die gefundene Genveränderung tatsächlich relevant für Immunfunktionen ist.

Gezielte Therapien

Der Aufwand lohnt sich: Bei einem Viertel bis einem Drittel der ungeklärten Fälle, die Hausärztinnen und -ärzte aus der ganzen Schweiz an die Spezialsprechstunde von Mike Recher am Universitätsspital Basel überweisen, können er und sein Team die Mutation dingfest machen – und oft erst dadurch eine gezielte Therapie empfehlen.

So war es bei einem der ersten Fälle, dem das Team in Basel auf den Grund ging: Ein erwachsener Mann litt zehn Jahre lang an starken Durchfällen, ohne dass sich bei ihm Erreger im Darm nachweisen liessen. Eine Gewebeprobe seiner Darmwand zeigte jedoch, dass sich hier im Rahmen einer Entzündungsreaktion ungewöhnlich viele T-Zellen angehäuft hatten. Eine Standardbehandlung mit Cortison, um die Entzündung der Darmwand zu unterdrücken, brachte keine Verbesserung.

DNA-Analysen, durchgeführt von Alexander Navarini, und übergreifendes Denken brachten die Forschenden um Recher schliesslich zur Wurzel des Problems: Ein Regulator der T-Zellen, der deren Aktivität normalerweise drosselt, funktionierte nicht richtig.

Auch bei Immuntherapien gegen Krebs spielt ebendieser Regulator eine Rolle: Hier möchte man, dass die T-Zellen einen Tumor effizient angreifen können. Deshalb schaltet man den Regulator mit Medikamenten so gut wie möglich aus. Nebenwirkung: Eine «Hyperaktivität» der T-Zellen im Darm und in der Folge Durchfälle. Wie beim Patienten mit chronischer Diarrhoe.

Letztlich erhielt der Patient eine gezielte Antikörper-Therapie, die spezifisch die in der Darmwand sitzenden T-Zellen eliminierte. Seine Verdauung normalisierte sich.

Auslöser: unbekannt.

Das Beispiel illustriert einen weiteren Aspekt im Umgang mit seltenen Krankheiten: «Man denkt meistens, angeborene Immundefekte müssten sich im Kindesalter zeigen», so Recher. «Bei einer Mehrheit zeigen sich Symptome aber erst irgendwann im Erwachsenenalter.» Warum das so ist, und warum eine Mutation bei manchen Trägern auch nie zu Problemen führt, ist eines der grossen Rätsel rund um Erbkrankheiten. Der «Trigger» ist unbekannt.

Serie zu vernachlässigten und seltenen Krankheiten

In einer mehrteiligen Artikelserie im Zeitraum zwischen dem internationalen Tag der vernachlässigten Krankheiten (30. Januar) und dem Tag der seltenen Krankheiten (29. Februar) beleuchten wir Forschung an der Universität Basel, die das Verständnis für solche Erkrankungen verbessert und neue Therapieansätze vorantreiben soll.

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