Im Fokus: Alaa Dia zeichnet Karten von Asylzentren, die mehr zeigen als die blosse Architektur
Die akademische und berufliche Welt ermutigen oft zum Überschreiten von Grenzen, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. So auch im Leben von Alaa Dia: Geboren und aufgewachsen im Libanon, zog es Dia für seine akademischen Karriere in die Schweiz. Im Laufe der Jahre wandelte sich seine Arbeit von einer architektonischen Perspektive zu einem theoretischen Verständnis von Raum, Kartografie und Grenzen.
03. August 2023 | Catherine Weyer
Alaa Dia beugt sich über ein Satellitenbild. Es zeigt das Aufnahmezentrum Moria auf der griechischen Insel Lesbos, bevor es niederbrannte. Darüber hat er eine transparente Folie gelegt, auf der er Verschiedenes markiert hat: die Bereiche, in denen die Flüchtlinge registriert wurden. Wo die Nichtregierungsorganisationen stationiert waren, die den Flüchtlingen Hilfe anboten. Wo Frontex seine Büros hatte. Und wo die Flüchtlinge das Lager durch Löcher im Zaun verlassen und wieder betreten konnten, um die Sicherheitskontrollen zu umgehen. Sein Ziel war es, zu verstehen, wer was und wo in diesen Einrichtungen tut.
«Die Markierungen auf meiner Folie ergänzen die Satellitenbilder, und zusammen ergeben sie ein realistischeres Bild der Situation», erklärt er. «Satellitenbilder und Karten sagen nicht immer die ganze Wahrheit.» Der 30-jährige Architekt beschäftigt sich schon lange mit Karten und den Informationen, die sie offenbaren oder verbergen. Diese Erkenntnisse fliessen auch in seine Lehrtätigkeit im Rahmen des MA-Studiengangs Critical Urbanism ein, wo er sich mit den politischen und kulturellen Aspekten der Kartografie befasst und die Macht von Karten hervorhebt – was sie offenbaren und was sie verbergen können.
Seit 2019 arbeitet er an seiner Dissertation im Bereich Urban Studies und konzentriert sich dabei auf Flüchtlingsaufnahmezentren und -lager in der EU. Dabei untersucht er insbesondere fünf griechische Inseln. «Die griechische Regierung hat diese Inseln im Wesentlichen aufgegeben, um die Grenzen des Festlandes zu schützen: um Menschen, die es gewagt haben, informell in die EU einzureisen, in Gewahrsam zu nehmen und sie durch den Registrierungsprozess zu schleusen, der nichts mit Fürsorge und alles mit Sicherheit zu tun hat, und um sie, wenn möglich, in ihre Heimatländer zurückzuschicken», sagt Dia.
Fokus auf Sicherheit, nicht auf Unterstützung
Dia hat einen Master-Abschluss in Architektur und einen Postgraduierten-Master in Stadtplanung und schliesst derzeit seine Doktorarbeit in Urbanistik ab. Sein Schwerpunkt: Wie die Architektur der EU-Aufnahmezentren die Migrations- und Grenzpolitik widerspiegelt und beeinflusst. «Ich möchte die Migrationsmanagementstrategie der EU und ihr Grenzregime verstehen», erklärt Dia. «Diese Aufnahmezentren sind zwar zeitlich begrenzt, reagieren aber auf ein dauerhaftes Migrationsphänomen – diese gefängnisähnlichen Einrichtungen kriminalisieren die Migration, indem sie Personen bis zum Abschluss ihres langwierigen Aufnahmeverfahrens festhalten. Meine Forschung umfasst die Komponente der humanitären Hilfe und die Sicherheitsmassnahmen, die in diesen Zentren durchgeführt werden.»
Für seine Forschung besuchte er 2019 und 2022 die griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos – und beobachtete zum Teil enorme Veränderungen. «Ich habe Moria lebend und tot gesehen», sagt er und bezieht sich dabei auf das Feuer, das das Aufnahmezentrum im Jahr 2020 vollständig zerstörte. Bei seinem zweiten Besuch auf Lesbos sah er Menschen, die er bereits von seinem ersten Besuch kannte: «Die Vorstellung, dass es sich um einen vorübergehenden Aufenthalt handelt, entspricht also nicht der Realität», stellt Dia fest. Die Menschen, die gezwungen waren, auf den Inseln und in den Lagern zu leben, gaben Dia Informationen über ihre Lebensweise, die er aus offiziellen Quellen nicht erhalten hätte.
Alaa Dia wuchs in Beirut auf, wo er auch sein Architekturstudium absolvierte. Die architektonischen Modelle und Plakate, die er in den verschiedenen Phasen seines Studiums entworfen, gezeichnet und gebaut hat, sind noch heute im Haus seiner Eltern in Beirut zu sehen. Doch nach Abschluss seines Masterstudiums war es für Dia an der Zeit, die Grenzen des Libanon zu überschreiten. «Ich komme aus einem Land, das in gewisser Weise kaputt ist», sagt er. Er wusste, dass er es verlassen musste, um weiterzukommen. Und damit ist er nicht allein: «Meine Schwester lebt in den USA und mein Bruder in England. Meine Eltern pendeln ständig zwischen dem Libanon und den Ländern, in denen ihre Kinder leben. Zuletzt habe ich meine Familie in England gesehen.»
Sprachkenntnisse als Weg zu einem Dissertationsprojekt
Er entschied sich für die Schweiz, wo er seinen Master in Urban Design an der ETH Zürich absolvierte. Sein Doktorat begann er am Departement für Architektur. «Ich habe ein Jahr lang Steine studiert, aber ich fand das ziemlich langweilig», erklärt er. Er gab sein Thema – Steinmetztechniken in der modernen Geschichte – auf und wechselte an die Universität Basel. «Hier boten Professor Cupers und Professor Ayata ein Projekt an, das mein Interesse viel intensiver weckte.» Cupers war auf der Suche nach einem Architekten, der an einer Promotion interessiert war und fliessend Französisch und Arabisch sprach. Dia, der an einem zweisprachigen Lycée unterrichtet wurde, passte perfekt.
Für das Projekt «Infrastructure Space and the Future of Migration Management: The EU Hotspots in the Mediterranean Borderscape» war er für die räumlichen und architektonischen Komponenten verantwortlich. Für Dia war die Interdisziplinarität des Projekts, das eine umfassende und standortübergreifende Untersuchung der Infrastruktur des Migrationsmanagements in den fünf Mittelmeerländern Griechenland, Italien, Libyen, Tunesien und Türkei beinhaltete, besonders interessant.
Dissertation in den letzten Zügen
Dias Wechsel von der ETH-Architekturschule zu den Urban Studies im Departement Gesellschaftswissenschaften der Universität Basel ermöglichte es ihm, eine theoretischere Weltsicht einzunehmen. «Mein Weltbild erweiterte sich, als ich mich in dieses vielfältige Gebiet vertiefte und die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Disziplinen erkannte», sagt er.
Neben der Arbeit an seiner Dissertation bringt Dia den Studierenden in seinen eigenen Kursen bei, wie sie Karten kritisch auswerten können. «Das Unterrichten inspiriert mich, da es mir ermöglicht, mein Wissen mit den Studenten zu teilen, und mir hilft, als Pädagoge an ihrer Seite zu wachsen.»
Wenn Alaa Dia nächstes Jahr seine Dissertation einreicht, wird er eine weitere Grenze überschreiten müssen. «Mein Berufswunsch nach der Dissertation liegt in der Wissenschaft», sagt Dia. Es könne jedoch nicht schaden, über den Tellerrand hinauszuschauen: «Meine architektonischen Fähigkeiten, gepaart mit meinem Verständnis von Migration, Grenzen und humanitärer Hilfe, könnten mir Möglichkeiten für eine beratende Tätigkeit oder für Aufgaben im Zusammenhang mit Migrationsmanagement oder flüchtlingsbezogenen Themen eröffnen.» Aber es wird sicher nicht so sein, dass er «nur» als Architekt arbeiten werde: «Ich bin nicht mehr einfach von den oberflächlichen Schichten der Architektur fasziniert und habe auch nicht das Bedürfnis, Strukturen zu schaffen, nur um meinen Namen an den Gebäuden zu sehen.»
Im Fokus: die Sommerserie der Universität Basel
Das Format Im Fokus rückt junge Forschende in den Mittelpunkt, die zum internationalen Renommee der Universität beitragen. In den kommenden Wochen stellen wir Akademiker*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen vor, die stellvertretend für die über 3000 Doktorierenden und Postdocs der Universität Basel stehen.