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Dem Lebenszyklus von Zellen auf der Spur

Während der Entwicklung eines Organismus entsteht eine grosse Vielfalt von Zellen mit ihren unterschiedlichsten Formen und Funktionen. Wie kommt es dazu? Was läuft schief, wenn Zellen an Krebs erkranken oder wenn der Organismus altert? Das sind die Fragen, die die Informatikerin Mihaela Zavolan beantworten möchte.

Mihaela Zavolan
RNAs sind von großem medizinischem Interesse, sei es als Arzneimittel, Biomarker für Krankheiten oder als Impfstoffe. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)

Ein erwachsener Mensch besteht aus Milliarden von Zellen. Während die genetischen Informationen in jeder Zelle nahezu identisch sind, unterscheiden sich Form und Verhalten der über 350 verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper erheblich. Dadurch können sie ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Rote Blutkörperchen transportieren Sauerstoff, Immunzellen bekämpfen Krankheitserreger, Muskelzellen ermöglichen Bewegungen und Neuronen übertragen elektrische Signale.

Wie entschlüsseln diese Zellen dieselbe genetische Information, um so verschiedenartige Aufgaben zu erfüllen? Wie kommen sie mit Stress zurecht? Wie verändert sich ihre Funktionsweise, wenn wir altern? Um diese Fragen zu beantworten, analysiert Prof. Mihaela Zavolan vom Biozentrum umfassende experimentelle Daten mit Computermodellen.

RNAs: Die vielfältigen Moleküle des Lebens

Noch vor 20 Jahren wurde angenommen, dass die DNA alleine den Bauplan für die Zellfunktionen liefert, Proteine galten als Arbeitskräfte und RNAs wurden hauptsächlich als Botenstoffe zwischen DNA und Proteinen verstanden. Diese Sichtweise änderte sich grundlegend mit der Entdeckung der kleinen regulatorischen RNAs, zu der Zavolan beigetragen hat. In Zusammenarbeit mit der Tuschl-Gruppe an der Rockefeller University identifizierte Zavolan zahlreiche kleine regulatorische RNAs (microRNAs) in Fliegen, Zebrafischen, Mäusen, Menschen und sogar Viren. MicroRNAs steuern wichtige zelluläre Prozesse wie Zellteilung, Zelldifferenzierung und Zelltod. Zavolan beschloss, ihre Forschung der Untersuchung dieser Moleküle zu widmen, sowie den Mechanismen, welche ihre Art und Menge von RNA in menschlichen Zellen regulieren.

«Es ist faszinierend, wie viele Aufgaben RNAs erfüllen und wie sie letztlich eine so entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Genexpression und damit des Verhaltens und der Funktionen von Zellen spielen», sagt Zavolan. «Eine kleine RNA, die nur 22 Nukleotiden lang ist, bestimmt, ob sich ein Wurm oder ein Fischembryo entwickelt oder nicht. Über die Entwicklung hinaus wird eine gestörte RNA-Regulierung bei vielen Krankheiten vermutet, unter anderem Stoffwechselstörungen, kardiovaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen, Entzündungen und Krebs. RNAs sind daher von großem medizinischem Interesse, sei es als Arzneimittel, Biomarker für Krankheiten oder, wie wir gerade erleben, als Impfstoffe.»

RNA-Prozesse bei Krebserkrankungen

Ein Hauptthema von Zavolans Forschungsgruppe ist die Frage, wie unterschiedliche Boten-RNAs (mRNAs) von denselben Genen in verschiedenen Zelltypen erzeugt werden und den Zellen eine spezifische Identität und ein spezifisches Verhalten ermöglichen. So kodieren mRNAs nicht nur Proteine, sondern enthalten auch Sequenzabschnitte, die mit unterschiedlichen (anderen?) Proteinen interagieren. Diese Wechselwirkungen bestimmen die Stabilität der mRNAs, ihre Lokalisierung in der Zelle und die Menge des Proteins, das die aus ihnen hergestellt werden. Die regulatorischen Regionen in RNAs sind bei Krebs im Vergleich zu normalen Zellen viel kürzer. «Wir haben Faktoren identifiziert, die die Länge der regulatorischen Regionen kontrollieren, und wir arbeiten daran, ihre Rolle bei der Krankheitsentwicklung zu entschlüsseln».

Mihaela Zavolan
Zavolan und ihr Team möchten herausfinden, wie die Proteinproduktion über viele mRNAs hinweg reguliert wird, was hoffentlich die Entwicklung neuer Therapien für altersbedingte Krankheiten wie Krebs, Stoffwechselstörungen und degenerative Erkrankungen ermöglichen würde. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)


Störung der Genexpression bei der Alterung

Die zweite grosse Frage, mit der sich die Zavolan-Gruppe befasst, lautet: Wie altern Zellen? Studien in unterschiedlichen Organismen haben gezeigt, dass durch eine reduzierte Proteinsynthese verschiedene funktionelle Parameter des gesamten Organismus verbessern werden können. «Wir möchten herausfinden, wie die Proteinproduktion über viele mRNAs hinweg und in unterschiedlichen Bedingungen reguliert wird, was hoffentlich die Entwicklung neuer Therapien für altersbedingte Krankheiten wie Krebs, Stoffwechselstörungen und degenerative Erkrankungen ermöglichen würde». Derzeit arbeitet die Gruppe von Zavolan auch mit anderen Gruppen am Biozentrum zusammen, um die Mechanismen hinter der gestörten Proteinsynthese in alternden Mäusen zu untersuchen. Sie haben bereits gezeigt, dass das mTOR (mammalian Target of Rapamycin), ein zentraler Regulator der Proteinsynthese und des Zellwachstums, ebenfalls eine Schlüsselrolle beim altersbedingten Verlust der Muskelfunktion (Sarkopenie) spielt.

«Wir haben bei der Erfassung der molekularen Landschaft der alternden Zellen nur an der Oberfläche gekratzt. Wir freuen uns darauf, die Fülle der Daten, die wir in der Langzeitstudie an Mäusen gewonnen haben, zu erforschen, um neue Anhaltspunkte für die Verbesserung der Gesundheit alternder Menschen zu finden», sagt Zavolan. «Ohne computergestützte Verfahren wäre es gar nicht möglich, die Komplexität der molekularen Netzwerke zu durchschauen. Sie ermöglichen es uns auch, unsere Daten mit den Daten zahlreicher verschiedener Projekte, die auf der ganzen Welt gewonnen wurden, zu kombinieren, um zum Beispiel evolutionär konservierte Signaturen des Alterns zu identifizieren. Diese helfen uns, die beteiligten Schlüsselprozesse zu verstehen, auf die wiederum mögliche Therapien abzielen könnten».

 

RNAs und Krankheiten

Für Zavolans Arbeit ist Interdisziplinarität das A und O. Ihr Team, in dem Molekularbiologen, Bioinformatiker und Software-Ingenieure eng zusammenarbeiten, spiegelt das breite Spektrum ihrer Projekte und Kooperationen wider. Zavolan ist Kollaborationspartnerin im Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) RNA & Disease. Gemeinsam mit Prof. Markus Rüegg vom Biozentrum erforscht sie die molekularen Mechanismen des altersbedingten Muskelabbaus in einem Projekt, das ursprünglich durch einen Sinergia-Grant des SNF unterstützt wurde. Als Mitglied des Schweizerischen Instituts für Bioinformatik (SIB) ist sie mit Wissenschaftlern aus den Life Sciences, der Medizin und Bioinformatik eng vernetzt.

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