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Praktische Theologie für eine Gesellschaft im Wandel

Der Weg zu Andrea Bieler führt an den Heuberg im Herzen der Altstadt von Basel. In diesem historischen Domizil beschäftigt sich die Professorin für Praktische Theologie mit hochaktuellen Themen der Gegenwart wie Migration und Interkulturalität.

Andrea Bieler untersucht in ihrem Forschungsprojekt «Konvivialität in Bewegung» die Entstehung interreligiöser Zonen in multiethnischen christlichen Gemeinschaften durch Zuwanderung aus anderen Ländern. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)
Andrea Bieler untersucht in ihrem Forschungsprojekt «Konvivialität in Bewegung» die Entstehung interreligiöser Zonen in multiethnischen christlichen Gemeinschaften durch Zuwanderung aus anderen Ländern. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)

Schon als Jugendliche war Andrea Bieler davon beeindruckt, wie sich die Kirche in gesellschaftliche Belange einmischte – beispielsweise durch Unterstützung der Friedensbewegung in Deutschland, die sich während des Kalten Krieges gegen Aufrüstung wehrte. «Ich selbst war immer demonstrieren», erinnert sie sich. «Die Kirche bot mir die Möglichkeit, mich zu engagieren, und hat mich inspiriert, über die Grundsatzfragen des Lebens nachzudenken.» Diese Erfahrungen prägten ihr Studium der Evangelischen Theologie an den Universitäten Marburg, Amsterdam und Hamburg. Ihre Doktorarbeit absolvierte sie dann in Kassel im damals innovativen Fachgebiet der feministischen Theologie.

Forschung in multireligiösem Umfeld

Doch eine rein europäische Perspektive auf das Christentum genügte der wissensdurstigen Theologin bald nicht mehr. Deshalb wagte sie den Sprung nach Kalifornien an die progressive Pacific School of Religion in Berkeley, wo sie zwölf Jahre lang als Professorin tätig war. Dort eröffneten sich ihr wie erhofft ganz neue Horizonte − sie betrieb ihre Forschung in einem bunten, multireligiösen Umfeld mit Zentren für christliche, jüdische, buddhistische und islamwissenschaftliche Studien. «Auch bei den Studierenden herrschte eine riesige Diversität, in Bezug auf Herkunft, Lebensformen und sexuelle Orientierung», so Bieler. «Es war für mich unglaublich lehrreich mitzuerleben, wie diese unterschiedlichen Gruppierungen das Christentum in Amerika verändern.»

Diese Impulse brachte Bieler mit nach Basel, als sie im Jahr 2017 ihre Professur an der Theologischen Fakultät antrat. Denn auch hierzulande ist in den Kirchengemeinden einiges in Bewegung geraten − durch Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern, die das Christentum in ganz anderen Formen praktizieren oder nicht-christlichen Religionen angehören. «Diese durch Migration entstehenden interreligiösen Zonen interessieren mich brennend», so Bieler. Wie funktioniert beispielsweise das Zusammenleben in Kirchengemeinden, die Christen aus Afrika aufnehmen? Was gerät dadurch in Bewegung? Entwickeln sich neue Formen des Gottesdienstes? Wie gehen die Gruppen mit Spannungen um, die sich durch verschiedene Ansichten etwa bezüglich Sexualmoral ergeben? Derartige Phänomene untersucht Bieler nun in ihrem grossen, vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekt Konvivialität in Bewegung.

Ihr Team begleitet dafür sechs christliche Gemeinschaften, die sich gegenüber Glaubenden aus anderen Ländern, Kulturen oder Religionen geöffnet haben: Zum Beispiel eine alteingesessene Gemeinde von Waldensern in Mailand, der sich in zwei Wellen Christen aus Ghana und den Philippinen angeschlossen haben. Oder die Matthäuskirche in Kleinbasel, die sich um Menschen aus anderen Ländern kümmert. Oder eine reformierte Kirche in Hamburg, die Kontakt zu den Moscheen pflegt, von denen sie umgeben ist.

«Dieses Projekt beschäftigt sich keineswegs mit einem Randthema», betont Bieler. «Durch Migration und Flucht wird sich das Christentum hier in der Schweiz in den nächsten Jahren massiv verändern. Wir müssen uns jetzt schon überlegen, wie wir in Zukunft zusammenleben können.» Aber sie sieht in der neuen Interkulturalität auch eine grosse Chance für Erneuerung und Umbruch in der Kirche. «Es darf nicht nur darum gehen, dass sich die Neuankömmlinge an uns anpassen. Integration soll keine Einbahnstrasse sein.»

Bei Andrea Bieler stehen immer Themen im Fokus, die das Menschsein betreffen, wie sie auch ihren Studierenden empfiehlt, Einblicke in die praktische Theologie zu gewinnen, um zu sehen, in welchen Formen Religion innerhalb der Kirchen wirklich gelebt wird. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)
Bei Andrea Bieler stehen immer Themen im Fokus, die das Menschsein betreffen, wie sie auch ihren Studierenden empfiehlt, Einblicke in die praktische Theologie zu gewinnen, um zu sehen, in welchen Formen Religion innerhalb der Kirchen wirklich gelebt wird. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)

Der Mensch im Mittelpunkt

Auch in ihren anderen Forschungsprojekten stehen bei Bieler immer Themen im Fokus, die unser Menschsein betreffen – und die bisher kaum aus theologischer Sicht beleuchtet wurden. So beschäftigt sie sich mit der Verwundbarkeit des Menschen sowie Heilung und Versöhnung. Hierfür reist sie immer wieder nach Südafrika, wo die Menschen immer noch unter den traumatischen Erlebnissen während der Apartheit leiden.

Fragt man sie nach Plänen für zukünftige Forschungsprojekte, so sprudeln die Ideen nur so aus ihr heraus. In letzter Zeit macht sie sich etwa vermehrt Gedanken über unseren Umgang mit Sterben und Tod. «Beispielsweise ist die Bestattungskultur durch die Diversifizierung der Gesellschaft in Bewegung geraten», sagt sie. «Früher liessen sich in die Schweiz immigrierte Menschen nach ihrem Tod in die alte Heimat überführen. Heute wollen viele in der Schweiz beerdigt werden.»

Parallel zu ihrer akademischen Karriere arbeitete Bieler auch als Pastorin. Einen solchen Einblick in den kirchlichen Alltag legt sie ihren Studierenden wärmstens ans Herz: «In der praktischen Theologie geht es ja darum, in welchen Formen Religion innerhalb der Kirchen wirklich gelebt wird.» Und auch heute noch versteckt sie sich nicht in einem Elfenbeinturm, sondern teilt ihre Gedanken zu brisanten theologischen Themen wie Sexualität oder der Stellung der Frau mit der Öffentlichkeit: Zum Beispiel als Gastpredigerin in Basler Kirchengemeinden oder als Expertin in Podcasts und im Schweizer Radio.

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