Viel zu hell und allzu finster.
Text: Béatrice Koch
Menschen mit einer bipolaren Erkrankung erleben manische und depressive Phasen. Wer lernt, Warnsignale zu erkennen, hat dennoch gute Chancen auf ein stabiles Leben.
Erst himmelhochjauchzend, dann wieder zu Tode betrübt – diese Redewendung ist für Menschen mit bipolarer Erkrankung Realität. «Gute und schlechte Tage kennen wir alle», sagt Anne Guhn, Leitende Psychologin am Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel. «Bei Menschen mit bipolarer Erkrankung sind diese Stimmungsschwankungen allerdings extrem.»
Wie extrem, veranschaulicht die Psychologin am Fall eines ehemaligen Patienten: «In der manischen Phase hatte er das Gefühl, für besondere Aufgaben auserwählt zu sein. In der depressiven Phase empfand er seine Existenz hingegen als absolut sinnlos und plante seinen Suizid.»
Sie fühlen sich gut – und sind doch krank.
Bipolarität gehört zu den affektiven psychischen Störungen, bei denen sich die Gefühlslage der Betroffenen wiederkehrend über einen längeren Zeitraum auffallend verändert. Die Krankheit gibt es in unterschiedlichen Formen und Frequenzen: Manche Betroffene durchlaufen in einem Jahr mehrere Krankheitsphasen, andere sind nach einer Episode jahrelang ausgeglichen.
Alle aber erleben im Wechsel depressive, von Traurigkeit und Antriebslosigkeit geprägte Zeiten, und manische Phasen voller Euphorie und Tatendrang: «In der Manie haben sie das Gefühl, sie könnten alles schaffen», sagt Guhn. «Sie sind selbstbewusst und ohne Angst, reden viel mehr als sonst, springen von einer Idee zur nächsten und brauchen nur sehr wenig Schlaf.»
Betroffene empfinden die Manie oft nicht als Belastung, schliesslich sind sie energiegeladen und fühlen sich gut. Die dunkle Seite des Hochs zeigt sich erst im Nachhinein: In ihrer Impulsivität stossen Betroffene Freunde oder Arbeitskollegen vor den Kopf. Manche gehen fremd, weil während der Manie die Libido stark ausgeprägt sein kann. Auch Verschuldung kommt häufig vor: Guhn berichtet von Personen, die Hunderte von Franken für Taxifahrten oder Luxusartikel ausgegeben haben.
Weil die Betroffenen in der Manie dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, kann es auch zu gefährlichen Situationen kommen, zum Beispiel im Strassenverkehr. Nicht selten folgt unmittelbar auf eine euphorische Phase eine Depression. Guhn: «Es ist, als müsse der Körper all die Energie, die er in der Manie verbraucht hat, zurückholen.»
Die Beispiele verdeutlichen die Schwere einer manisch-depressiven Erkrankung. Umso wichtiger wäre es, möglichst früh mit der Behandlung zu beginnen. Im Schnitt vergehen jedoch fünf bis zehn Jahre bis zur Diagnose. Das liegt zum einen daran, dass die Krankheit oft schleichend verläuft und helle und dunkle Phasen anfangs schwächer ausgeprägt und daher schwerer zu erkennen sind. Zum anderen sei Bipolarität im Vergleich zur Depression in der Bevölkerung eher wenig bekannt, und die Anzeichen werden oft falsch gedeutet, meint Guhn.
Dabei ist die Krankheit recht häufig: Rund drei Prozent der Bevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens. Männer und Frauen sind gleichermassen betroffen.
Stress als Auslöser.
Bipolarität tritt typischerweise im Jugend- und jungen Erwachsenenalter erstmals auf. Als Ursache gelten verschiedene Faktoren wie genetische Einflüsse, Umweltfaktoren und Persönlichkeitsmerkmale. Ausgelöst wird sie in der Regel durch Stresssituationen wie Trennung, Jobverlust oder den Tod eines nahestehenden Menschen. Aber auch positive Ereignisse wie eine Beförderung oder eine Hochzeit können Auslöser sein.
Ziel der Therapie ist, die Symptome der Manie oder der Depression abzuschwächen und die Intervalle zu verlängern. Guhn: «Neue Krankheitsphasen können bei der Diagnose einer bipolaren Erkrankung nicht ausgeschlossen werden, gerade weil ihr Auftreten von mehreren Faktoren beeinflusst wird. Umso wichtiger ist es, bereits in der Behandlung einer akuten Periode Massnahmen zur Prävention einer erneuten Phase zu treffen.»
Die Therapie besteht in einer Kombination von stimmungsstabilisierenden Medikamenten, Psychotherapie und Psychoedukation: Je besser Betroffene die Krankheit kennen, desto besser können sie sich auf Stresssituationen vorbereiten, Warnsignale frühzeitig deuten und bei Bedarf Hilfe holen. Dafür braucht es auch das Umfeld: Angehörige erkennen eine auffällige Verhaltensänderung oft schneller als die betroffene Person selbst.
«Menschen mit bipolarer Erkrankung müssen besonders gut auf sich aufpassen», sagt Guhn. Ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Schlaf, Sport und regelmässigen Mahlzeiten sei für sie noch wichtiger als für psychisch gesunde Menschen.
Leben mit der Krankheit.
Damit die Therapie gelingt, sei es zentral, dass Betroffene die Erkrankung als Teil ihres Lebens akzeptieren. Dieser Schritt sei nicht einfach: «Viele Betroffene werden im jungen Erwachsenenalter mit der Diagnose konfrontiert, wenn sie gerade die Weichen für ihre Zukunft stellen.»
Während ihre Freunde auf Reisen gehen oder ihre Karriere in Angriff nehmen, müssen sie kritisch hinterfragen, ob ihre Träume mit der Erkrankung vereinbar sind. Wer diesen Schritt aber schafft, hat gute Chancen auf ein stabiles Leben – selbst bei einem schweren Verlauf, wie das Beispiel des eingangs beschriebenen Patienten zeigt: Nach mehreren stationären Klinikaufenthalten in kurzer Kadenz wohne er heute in einer WG und gehe einer geregelten Arbeit nach, erzählt Anne Guhn: «Er geht offen mit seiner Erkrankung um und weiss, dass sie ein Teil von ihm ist.»
Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2024).