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Krebs. (01/2023)

Nachhaltige Lösungsmittel – gibt’s das?

Text: Santina Russo

Viele der in der Industrie verwendeten Lösungsmittel sind giftig und müssen aufwendig entsorgt werden. Forschende aus Basel, Bern und Zürich schaffen Grundlagen, um die schädlichen Flüssigkeiten durch neue, unbedenkliche zu ersetzen.

Kai Töpfer am Computer
Kai Töpfer simuliert die Wechselwirkungen zwischen Molekülen und Ionen in eutektischen Mischungen am Computer. (Foto: Universität BaselEleni Kougionis)

Sei es fürs Färben von Kleidung, um Kunststoffe oder Lacke herzustellen oder um Altlasten aus verseuchten Böden zu entfernen: Viele Industrie- und Gewerbezweige benötigen für ihre Prozesse Lösungsmittel. Manche davon sind unbedenklich, viele aber giftig und krebserregend. Sie müssen aufwendig aufbereitet und entsorgt werden – das kostet viel Geld und Energie. Darum untersuchen Forschende seit einigen Jahren eine bestimmte Klasse von Lösungsmitteln, die künftig gesundheitsschädigende Mittel ersetzen könnten: sogenannte eutektische Flüssigkeiten.

Der komplizierte Name bezeichnet etwas einigermassen Simples, nämlich eine Mischung aus zwei Substanzen, die einen tieferen Schmelzpunkt hat als die einzelnen Komponenten. Einen ähnlichen Effekt hat im Winter das Salzen der Strassen: Salzwasser hat einen tieferen Schmelzpunkt als reines Wasser, darum gefriert es erst bei tieferen Temperaturen zu Eis.

Lösungsmittel mit Soft Skills

Genau wie konventionelle Lösungsmittel, können eutektische Flüssigkeiten Moleküle lösen und so prinzipiell für die gleichen Aufgaben genutzt werden. Für die praktische Anwendung haben sie aber entscheidende Vorteile: Erstens sind sie leicht herzustellen, man muss sie nur im richtigen Verhältnis mischen. Zweitens ist besonders eine bestimmte Gruppe dieser Flüssigkeiten gesundheitlich und für die Umwelt völlig unbedenklich und darum auch deutlich einfacher zu entsorgen als herkömmliche Lösungsmittel.

«Dadurch wären eutektische Lösungsmittel gleichzeitig nachhaltiger und günstiger», sagt Markus Meuwly, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Basel. Allerdings: Sie werden erst seit rund 20 Jahren untersucht, darum gibt es über sie noch viel herauszufinden.

Ein Knackpunkt war bisher, dass kaum etwas über die molekulare Struktur eutektischer Mischungen bekannt war. Es gab auch kein Verfahren, um strukturelle Informationen zu gewinnen. «So liess sich nicht feststellen, wie ihre Funktion zustande kommt und wie sich ihre Eigenschaften für praktische Anwendungen beeinflussen lassen», sagt Meuwly. «In der Chemie gibt die Struktur von Substanzen deren Funktion vor», erklärt er. «Umgekehrt lässt sich die Funktion anpassen, indem man die Struktur verändert. Dazu benötigen wir aber eine Methode, um die Anordnung der Bestandteile solcher Flüssigkeiten zu bestimmen.» Eine solche hat Meuwlys Team nun zusammen mit Forschenden der Universitäten Bern und Zürich entwickelt. Damit hat das Team die Grundlage geschaffen, um in eutektischen Flüssigkeiten Struktur-Funktionsbeziehungen zu untersuchen.

Experiment und Computermodell

Entwickelt und validiert haben die Forschenden das neue Verfahren an Mischungen aus Kaliumthiocyanat und Acetamid, einer Art Modellsubstanz unter den eutektischen Flüssigkeiten. Einerseits nutzten sie spezialisierte Methoden der Infrarotspektroskopie, um bestimmte Wechselwirkungen zwischen den Molekülen und Ionen der Flüssigkeiten zu untersuchen. Daraus wiederum konnten sie Rückschlüsse auf die Abstände und die Anordnung der Teilchen untereinander ziehen.

Beispielsweise lagen die Thiocyanat-Ionen (SCN-) bei einem tiefen Wasser- und entsprechend hohen Acetamid-Anteil meist weit auseinander und kamen in ganz verschiedenen Orientierungen zueinander vor. Mit einem höheren Wasseranteil nahmen die Ionen fixere Orientierungen ein und rückten näher zusammen – obschon sich zwei negativ geladene SCN-Ionen eigentlich stark abstossen. Gleichzeitig lagerten sich um die Ionen immer grössere Cluster aus Wassermolekülen an. Durch diese Beobachtungen versteht das Forschungsteam nun besser, wie die Eigenschaften der eutektischen Mischung zustande kommen.

Das wichtigste Ergebnis für die Forschenden war aber, dass die Resultate ihrer Computersimulationen grundsätzlich mit jenen der spektroskopischen Messungen übereinstimmten. «Damit haben wir unser Computermodell validiert», sagt Töpfer.

Aufgrund der Ergebnisse hat er inzwischen sein Modell unter anderem mit Machine-Learning-Methoden weiter verbessert, sodass dieses die Wechselwirkungen in den Mischungen noch besser abbildet. «Nun können wir einen Schritt weiter gehen und damit anfangen, die Strukturen von Flüssigkeiten und deren Eigenschaften vorherzusagen.»

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