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Angst. (01/2022)

Wer hat Angst vorm Muezzin?

Text: Noëmi Kern

Überfremdung, Islamisierung, Verlust von Wohlstand: Mit bedrohlichen Szenarien beeinflussen politische Akteure die Menschen. Sie verlassen die rationale Ebene und instrumentalisieren Gefühle für ihre Zwecke.

Suleymaniye-Moschee Istanbul im Gegenlicht.
Die Minarette der Suleymaniye-Moschee gehören zum Stadtbild Istanbuls. In der Schweiz ist der Bau von Minaretten seit 2009 verboten. (Foto: iStock/Yulia-B)

Der Bau von Minaretten ist in der Schweiz verboten, steht in der Bundesverfassung. Das Schweizer Stimmvolk hatte im November 2009 einer entsprechend den Volksinitiative zugestimmt, mit 57,5 Prozent Ja-Anteil. Auf dem Abstimmungsplakat durchbohren schwarze Minarette die Schweizer Fahne, im Vordergrund eine ebenfalls schwarze, verhüllte Frau. Das wirkt düster, gar bedrohlich. Wie man dieser Gefahr entgegentreten kann, zeigen die Schriftzüge: «Stopp» und «Ja zum Minarettverbot».

Eine kurze und klare Botschaft, eingängig, plakativ, emotionalisierend. Das ist in der Politik wichtig. «Bilder und verkürzte Nachrichten wirken oft viel stärker als etwa die Erklärung eines Risikos, bei der die Argumente nachvollziehbar und nachprüfbar sein sollen», sagt Alexander Fischer. Der Philosoph forscht an der Universität Basel unter anderem über Manipulation als Instrument, bei dem man sich auch die Angst zunutze machen kann, zum Beispiel eben in der Politik.

«Angst ist eine schwierige Emotion. Weil sie unangenehm ist, wollen wir sie loswerden», sagt Fischer. Ein wichtiger Mechanismus der Angst in Zusammenhang mit der Politik ist, zu suggerieren, dass das heraufbeschworene Monster besiegbar ist. Dazu müsse man nur der Abstimmungsempfehlung folgen und alles werde gut, so die Botschaft. Das ist motivierend und zieht.

«Mit oft diffusen Ängsten zu spielen, ist eine Grundbewegung in der Politik, deren wesentliche Aufgaben eben auch ist, Ängste zu beseitigen», so Fischer. Darum spielt Angst hier ständig eine Rolle. Die Themen, die in der Schweiz regelmässig für ein Gefühl der Bedrohung sorgen, ändern sich mit dem Lauf der Zeit: In den 1980er-Jahren war es die Atomkraft, Anfang der 2000er-Jahre der Genmais. Danach standen und stehen die Angst vor islamistischem Terror, Überfremdung, dem Klimawandel und die Beziehungen mit der EU auf der politischen Agenda, jüngst ging es um die befürchtete Installation eines Polizeistaats während der Pandemie. Ein hierzulande offenbar zeitloses Thema ist der drohende Verlust von Wohlstand.

Spiel mit dem Feuer

Menschen lassen sich als begrenzt rationale Wesen beeinflussen. Das weiss nicht nur die Politik, sondern auch die Werbebranche. Gezielte Manipulation soll die Affekte so lenken, dass eine bestimmte Handlung letztlich als angenehm oder unangenehm empfunden wird und damit attraktiver oder unattraktiver erscheint als eine andere, zum Beispiel, wenn es um den Kauf eines bestimmten Produktes geht.

«Wenn wir manipulieren, schubsen wir jemanden in eine Richtung, zwingen ihn aber zu nichts. Er hat immer noch die freie Wahl, auch wenn sie ihm durch die Modulation seiner Affektivität durchaus erschwert werden kann», erläutert Fischer. «Das macht Manipulation in unserem liberalen System als eine Form der Beeinflussung immens interessant.» Sie bewege sich oft am Rande des Legitimen, sei aber nicht von vornherein negativ und werde auch nicht so wahrgenommen, wie Fischer in einer Studie über Online-Werbung mit einem Kollegen der Berner Fachhochschule herausfand.

An einer für uns unproblematischen Form der Manipulation würden wir uns nicht weiter stören – wenn wir keinen Schaden nehmen und es schaffen, uns gegebenenfalls noch vom affektiven Impuls zu distanzieren. Dann stellen wir sie nicht infrage, wir reden oftmals nicht mal darüber.

Vorsicht sei dennoch geboten, findet Fischer, schliesslich kann die zumindest teilweise Umgehung der Rationalität unter Umständen problematisch werden. Als eindeutig negativ taxiert wird hingegen die Täuschung, die oft mit Manipulation assoziiert wird und auch mit dieser einhergeht. «Wird einem klar, dass man manipuliert wurde, weil einem jemand falsche Fakten darlegte, um zu emotionalisieren, ist die Empörung oft gross. Und das zu Recht», so Fischer. Diese Art von Manipulation sei moralisch problematisch. Und sie kann das Vertrauen zwischen Menschen nachhaltig stören.

Unberechenbar und individuell

Problematisch findet Fischer auch die Beeinflussung anderer, die mit der Angst operiert. Sie dockt an die Irrationalität von Menschen an, die mitunter am Ende gar nicht mehr wissen, warum sie auf eine bestimmte Weise handeln. Sie können dann auch nicht mehr nachvollziehen, ob etwas Sinn ergibt. Wenn Angst zum Selbstläufer werde, sei sie nur schwer zu kontrollieren.

«Angst ist unberechenbar, sie lässt sich nicht gut steuern. Es gibt kaum ein Mass, das wir beeinflussen können im Sinne von ‹Ein bisschen Angst ist ok›», gibt Fischer zu bedenken. «Sie ist eine unheimlich kreative Emotion. Menschen sind gut darin, sich ängstlich Dinge auszumalen.»

Eine angebliche «Islamisierung der Schweiz» könnte also bestimmte Vorstellungen auslösen wie: Auf der Strasse hört man mehr Arabisch als Schweizerdeutsch. Ein Grossteil der Frauen ist verschleiert. Es gibt mehr Minarette als Kirchtürme, von denen die Muezzins lautstark zum Gebet rufen. Unser Rechtssystem wird bald durch die Scharia ersetzt und vieles Bedrohliches mehr. Der Kreativität der Angst sind da kaum Schranken gesetzt. Darauf setzen politische Influencer durchaus.

Solche konkreten Vorstellungen machen sich nicht alle. Die Angst bleibt oft diffus, etabliert sich als unangenehmer seelischer Grundton. Man will sie loswerden. «Angst hat die Tendenz, sich zu individualisieren, und dabei reagiert jeder anders», sagt Fischer, der neben seiner Forschung auch psychotherapeutisch tätig ist. Die einen würden sich in Angriffsstellung (fight) bringen, während sich andere zurückziehen (flight); wieder andere würden handlungsunfähig und gewissermassen in Schockstarre (freeze) verfallen. Der Haken dabei: Es gibt meist keinen direkten Ausweg aus einer angsteinflössenden Situation, schon gar nicht, wenn die Probleme in der Zukunft liegen.

Distanzierung als Gegenmittel

Wovor genau sich jemand fürchtet, ist allerdings selektiv, bis zu einem gewissen Grad gar zufällig. Wir können uns offenbar besser vorstellen, was es bedeuten könnte, ein paar Franken weniger auf dem Konto zu haben, als wenn die Gletscher weggeschmolzen sind. Das mag ein Grund sein, weshalb die CO2-Vorlage im Juni 2021 abgelehnt wurde, die mögliche Einbusse unseres Wohlstands hingegen ein häufig bemühtes, da erfolgversprechendes Szenario auf dem politischen Parkett ist.

Um unseren Emotionen und damit jenen, die bewusst damit spielen, trotzdem nicht wahllos ausgeliefert zu sein, gilt es, genauer hinzuschauen, woher die Angst kommt und ob sie angebracht ist. Fischer rät hier zum Versuch der Distanzierung, um einer Empfehlung zunächst kritisch gegenüberzustehen. «Das ist sinnvoll, wenn man überprüfen will, ob die Ängste, die uns jemand einzugeben versucht, berechtigt sind und ob man sich davon in eine Richtung lenken lassen möchte.» Es geht also darum, einen Schritt zurückzutreten, um von der affektiven auf eine rationale Ebene zu kommen.


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