x
Loading
+ -
Angst. (01/2022)

Komplexität eines Gefühls.

Text: Fabienne Hübener

Eine Psychiaterin und ein Neurowissenschaftler nähern sich dem Phänomen Angst auf unterschiedliche Weise. Ziel von beiden sind neue Therapien und ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen.

Nervöse Hände
(Foto: Elkhamlichi Jaouad/EyeEm/Getty Images)

Undine Lang tritt ans Podium. Der Raum ist voll besetzt, alle Blicke sind auf sie gerichtet. Dieser Situation hat sich die Professorin für das Fach Psychiatrie schon Dutzende, wenn nicht Hunderte Male gestellt. Trotzdem wird vor dem Vortrag ihr Puls schneller, die Hände zittern.

In solchen Situationen ruft sie sich bewusst die Methoden in Erinnerung, mit denen sich die Vortragsangst zügeln lässt. «Dann konzentriere ich mich zum Beispiel auf nur zwei, drei Menschen im Publikum und richte meinen Vortrag vor allem an diese», erklärt die Leiterin der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) in Basel. «Dann lässt das Gefühl schnell nach.» Doch nicht jeder kann Ängste so gut regulieren.

In die Wiege gelegt

Angst gehört zu den ersten Emotionen, die Babys nach ihrer Geburt entwickeln. Kein gutes Gefühl, aber ein wichtiges, schützt es doch vor möglichen Gefahren. Mit der Zeit lernen Kinder zu unterscheiden, was tatsächlich gefährlich ist und wovor sie keine Angst haben müssen.

Dauert die Angst vor harmlosen Situationen oder Objekten bis ins Erwachsenenalter an und schränkt sie den Alltag stark ein, spricht man von einer Angststörung. Dazu zählen zum Beispiel die generalisierte Angststörung, bei der sich Betroffene ständig grundlos Sorgen machen, Phobien sowie die Panikstörung. Wer darunter leidet, muss zu jeder Zeit damit rechnen, von überwältigenden Ängsten heimgesucht zu werden.

Ein komplexer innerer Zustand

Herzrasen, Muskelzittern, Übelkeit, all das sind die spürbaren Folgen, wenn das Gehirn das Gefühl Angst produziert. Der Neurowissenschaftler Karl Deisseroth von der Stanford-Universität beschreibt Angst in seinem Buch «Projektionen» als komplexen inneren Zustand, der sich als Verbindungen von Nervenzellbündeln im Gehirn dekonstruieren lässt. Die Entschlüsselung der neuronalen Grundlagen ist aus seiner Sicht in Griffweite.

Andreas Lüthi vom Friedrich Miescher Institut in Basel ist anderer Meinung. Mit seinem Team versucht er anhand von Experimenten mit Mäusen, den Mechanismen normaler und krankhafter Angst im Hirn auf die Spur zu kommen. «Wir stehen erst am Anfang», sagt der Neurowissenschaftler. «Wir kennen gewisse Schaltkreise im Gehirn und wissen, dass etwa die Amygdala eine zentrale Rolle bei der emotionalen Bewertung von Situationen spielt. Aber die bisherigen Entdeckungen, etwa neuronale Aktivierungen, die mit der Schockstarre oder Fluchtreaktion einer Maus einhergehen, sind letztlich nur stark vereinfachte Beschreibungen.»

Lüthi und sein Team wollen verstehen, was im Gehirn einer Maus vor sich geht, die Furchtreaktionen zeigt. Etwa wenn sie in einen offenen Raum ohne Versteckmöglichkeit gesetzt wird. Um die Aktivitätsmuster im Gehirn zu beobachten, nutzen die Forschenden neue bildgebende Methoden, die in den letzten Jahren die neurowissenschaftliche Forschung revolutioniert haben. Dazu zählt beispielsweise ein Minimikroskop, das auf dem Kopf des freilaufenden Tieres befestigt ist und das einzelne Nervenzellen im Gehirn unterscheiden kann.

Von Schaltkreisen und Wahrscheinlichkeiten

Allerdings zeigt sich die Angst der Maus nicht als Aktivität eines abgegrenzten Schaltkreises, sondern als Zusammenspiel mehrerer neuronaler Ensembles. Feuert eine Gruppe von Neuronen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch eine weitere Gruppe aktiv wird. «Die von uns entdeckten neuronalen Aktivitäten sind keine reine Repräsentation motorischer Aktivitäten, sondern hängen zusätzlich davon ab, was das Tier erwartet und welche positive oder negative Bewertungen es mit der Situation verbindet», berichtet Lüthi.

Erinnert sich die Maus etwa daran, in diesem Raum wiederholt auf Futter gestossen zu sein, verringert sich die natürliche Furcht vor dem schutzlosen Ort. Dann laufen die Aktivierungskaskaden anders ab, als wenn sie sich an eine Begegnung mit einem aggressiven Artgenossen erinnert.

Auch das menschliche Gehirn produziert Erwartungen, basierend auf früheren Erfahrungen. Die Vorstellung, vor einem Prüfungskomitee oder einem grossen Publikum ins Stocken zu geraten und abbrechen zu müssen, kann so lähmen, dass Betroffene ihre Ausbildung aufgeben und öffentliches Sprechen völlig meiden.

Wird Angst zu belastend, suchen Betroffene Hilfe. Undine Lang sieht solche Fälle häufig an den UPK. «In der Regel sind diese Angststörungen gut behandelbar. Wenn keine anderen Erkrankungen bestehen, liegt die Erfolgsrate bei 80 bis 90 Prozent», erklärt Lang. Doch oft geht die krankhafte Angst mit anderen Leiden einher, zum Beispiel Depressionen oder sekundär auftretenden Abhängigkeitserkrankungen. Dann wird die Behandlung komplizierter.

Wenn Betroffene an die UPK kommen, haben sie oft schon einen langen Leidensweg hinter sich. Manche haben erfolglos versucht, mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln ihre Ängste zu regulieren. Erfolgversprechender ist eine Psychotherapie, gegebenenfalls in Kombination mit Medikamenten.

Ressourcen stärker im Blick

In der Psychotherapie arbeiten Patient und Therapeutin gemeinsam an einer Strategie, der Angst ihre Kraft zu nehmen. «Das gelingt unter anderem mit der Akzeptanz- und Commitmenttherapie oder kurz ACT», erklärt Lang. Diese basiert darauf, die Angst zu akzeptieren, und sucht nach Ressourcen des Patienten, um besser damit zu leben. Welche Werte sind den Betroffenen wichtig? Welche Fähigkeiten, Talente und Stärken lassen sich ausbauen, sodass die Ängste weniger Raum einnehmen? Früher, erinnert sich Lang, lag der Fokus in der Therapie vor allem darauf, die Symptome zu bekämpfen. In manchen Fällen war dies Zeitverschwendung, da sich die Angst hartnäckig hielt. Heute stehe mehr im Mittelpunkt, wie sich etwa eine Patientin trotz ihrer Ängste mit Freunden treffen, in ein Fitnessstudio gehen oder verreisen kann.

Auch forschen die UPK an weiteren Therapiemöglichkeiten, um Menschen mit Erkrankungen, bei denen belastende Ängste eine Rolle spielen, noch besser helfen zu können. «Uns geht es vor allem darum, wissenschaftlich zu prüfen, ob eine neuartige Therapie auch wirklich nutzt», betont die Psychiaterin Lang. Auf ihrer Liste stehen zum Beispiel Therapien mit psychedelischen Substanzen wie Psilocybin und LSD, das Potenzial der Hirn-Darm-Achse sowie bewegungs- und tiergestützte Therapieansätze und digitale Therapien.

Derweil versuchen Grundlagenforschende wie Andreas Lüthi, die Basis für neue Therapieansätze zu legen. In einer 2021 im Fachmagazin Nature Communications publizierten Studie deckte sein Team gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen auf, wie eine Deaktivierung bestimmter Mikroschaltkreise tief im Gehirn Mäuse in die Lage versetzte, Furcht gezielt zu verlernen. Womöglich liessen sich Angststörungen dereinst mit einem ähnlichen Ansatz heilen. Noch sind diese Entdeckungen jedoch nur ein erster Schritt in diese Richtung.

Undine Lang ist Professorin für das Fach Psychiatrie an der Universität Basel und Direktorin der Klinik für Erwachsene Und der Privatklinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken.

Andreas Lüthi ist Forschungsgruppenleiter am Friedrich Miescher Institut für Biomedizinische Forschung.

Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

nach oben