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Erinnern und Vergessen. (01/2021)

Der Geprüfte.

Text: Irène Dietschi

Der Immunologe Georg Holländer ist Forscher durch und durch, gilt als visionär und inspirierend. In Basel leitet er das Botnar Research Centre for Child Health. Dass er das schafft, ist nicht selbstverständlich.

Prof. Dr. Georg Holländer.
Prof. Dr. Georg Holländer. (Foto: Daniel Winkler, BRCCH)

Als Georg Holländer vor zehn Jahren an einem bösartigen Lymphom erkrankte, wusste er nicht, ob er den Krebs überleben würde. Die Heilungschancen betrugen statistisch gesehen 15 Prozent. Die Spezialisten in Oxford hatten das relativ seltene Lymphom innerhalb von zwei Tagen diagnostiziert. Holländer studierte damals mit den Ärzten die MRI-Bilder und sagte dazu, sie seien «hochinteressant». Ihn störe einzig, dass sein Name dabeistehe.

Diese prägende Episode seines Lebens erzählt er gegen Ende eines längeren Gesprächs über Zoom. Geplant war ein Treffen in Basel – doch nun sitzt der Forscher wegen Corona und der neuen Virusvariante B1.1.7 in Oxford fest.

Zwischen Basel und Oxford

Hier befindet sich sein Lebensmittelpunkt und jener seiner Familie. Die Arbeitszeit verbringt der Immunologe zur Hälfte in Basel, wenn gerade kein Lockdown ansteht. «Manchmal habe ich das Gefühl, ich sei ständig im falschen Land», sagt er mit einem feinsinnigen Humor, der auch via Bildschirm spürbar ist.

Holländer ist Co-Direktor des Botnar Research Centre for Child Health (BRCCH), das seit Anfang 2019 Forschungsprojekte zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, vor allem in einkommensschwächeren Ländern unterhält. BRCCH – er spricht das Akronym auf Englisch aus («Bii-Ar-Sii-Sii-Eitsch»), und man hört dabei, wie sehr er dafür brennt. Dem Institut stehen für die ersten zehn Jahre von der Botnar-Stiftung 115 Millionen Franken zur Verfügung.

«Das ist sehr viel Geld», sagt Holländer, «das man gut verteilen muss». Nun trägt das Zentrum erste Früchte. Forschende haben hier etwa ein elegantes, molekulargenetisches Verfahren entwickelt, um im Magen-Darm-Trakt krankhafte Bakterien zu lokalisieren. Es ist der erste Schritt, der mangelernährten Kindern zu einem gesunden Mikrobiom verhelfen soll. Ein anderes Projekt will Kinder unterstützen, die mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte zur Welt kommen: Vorgesehen ist ein vereinfachtes Verfahren, um den Defekt zu operieren. So erspare man Familien in armen Ländern Zeit und Kosten, sagt der Forscher – und den betroffenen Kindern viel Leid.

Blick für die grosse Sache

Erstmals von den Plänen eines neuen Kinder-Forschungszentrums in Basel hat er Ende 2017 erfahren. Ein Direktor wurde gesucht – und Holländer galt als der ideale Kandidat mit dem «globalen Blick» und der gewünschten Erfahrung. Medizin-Dekan Primo Schär, ein langjähriger Kollege, sagt, er sei «ein hervorragender Denker, kompetent im Detail der immunologischen Forschung, aber immer auch mit der grossen Sache im Blick, im Aufbruch zu etwas Neuem, inspirierend und visionär».

Holländer winkte aber erst ab. Oxford sei spannend genug, und ausserdem wollten seine Ehefrau, eine aus England stammende Allgemeinärztin, wie auch die Töchter das Leben auf der Insel nicht aufgeben. Doch als eine 50:50-Lösung vorgeschlagen wurde, habe er sich gefreut und zugesagt.

Ein «Forscher durch und durch», wie ihn Schär bezeichnet, war Holländer schon als Student. Während sich andere für Pädiatrie entscheiden, weil sie Kinder lieben, wählte er das Fach wegen seiner Breite. Die Lunge und alle anderen Organe, der Stoffwechsel, das Nervensystem – all dies sei in der Kindermedizin «viel integrativer und viel holistischer» vertreten als in anderen Fachgebieten. Zudem habe er sich für Entwicklungsbiologie interessiert, für «die grosse Plastizität im sich entwickelnden kindlichen System, die es bei den Erwachsenen nicht mehr gibt». Er habe früh gemerkt, sagt er, dass es ihn als Mediziner weniger zum Phänotyp hinziehe, sondern zu den biologischen Grundlagen, zum Kleingedruckten sozusagen.

Holländer unterbrach das Studium, um während eines Jahres am Institut für Immunologie zu arbeiten. Sein Forschungsthema wurde der Thymus – jenes kleine Organ hinter dem Brustbein, in dem Abwehrzellen namens T-Lymphozyten nach der Geburt lernen, fremdes Gewebe zu erkennen und anzugreifen.

Nach dem Staatsexamen reiste der Forscher für drei Monate nach Südostasien, woher seine Ururgrossmutter stammt, und lag nach einer tropischen Infektionserkrankung wochenlang im Spital. «Diese Erfahrung hat bei mir möglicherweise etwas in Gang gesetzt», erzählt er: «Ich war getrieben von der Frage, wie sich der Körper gegen Krankheitserreger wehrt und vor allem, wie er zwischen Fremd und Selbst zu unterscheiden lernt.»

Immunabwehr auf null

Und dann erkrankt Holländer mitten im Leben ausgerechnet an einem malignen Lymphom – einem Krebs, der sein wissenschaftliches Hauptinteresse der letzten Jahrzehnte berührt. Er brauchte eine Knochenmarktransplantation, musste in Isolation und zulassen, dass mit Chemotherapie seine Immunabwehr auf null gesetzt wurde. Er fragte die Ärzte, wann sein Körper wieder ausreichend T-Lymphozyten produzieren werde. «Ein Oberarzt schaute mich ganz perplex an und sagte: ‹Eigentlich müsstest du das wissen, das liegt weit über meinem Zuständigkeitsbereich.›»

Die Therapie dauerte ein Jahr. In dieser Zeit unterbrach der Wissenschaftler seine Arbeit kaum, hielt weiterhin Labor-Meetings, schrieb sogar E-Mails aus dem Isolierzimmer. «Damit ich emotional mit dem Geschehen umgehen konnte, musste ich es für mich parzellieren. Die wissenschaftliche Sicht half mir dabei.» Doch er gelangte an einen Punkt, an dem er nur noch Patient sein und alle Entscheidungen den Ärzten überlassen wollte.

Diese Erfahrung auf der «anderen Seite» sei für ihn elementar gewesen, mit all den Abgründen, aber auch den Möglichkeiten. Abgesehen von ein paar Infekten überstand Holländer seine Krebserkrankung komplikationslos. Es gehe ihm heute gesundheitlich bestens, sagt er. Etwas habe das Ganze in ihm ausgelöst: «Die Erkenntnis, dass man sich dort einsetzen soll, wo man gefragt ist und wo man denkt, dass man seinen Beitrag leisten kann. Weil man weiss: Diese Möglichkeit ist einem nicht immer gegeben.»

Georg Holländer, geboren 1957 und aufgewachsen in Basel, leitet mit Sai Reddy das neue Botnar-Zentrum für Kindergesundheit in Basel. Als dessen akademischer Direktor ist er verantwortlich für die strategische Ausrichtung und Initiativen. Der Experte für molekulare Entwicklungsimmunologie hat seit 1997 Professuren an der Universität Basel, der ETH Zürich und der University of Oxford inne. Nach dem Medizinstudium in Basel war er hier am Institut für Immunologie, als Assistenzprofessor am Children’s Hospital der Harvard Medical School und als Forschungs leiter am damaligen Basler Kinderspital tätig. Holländer arbeitet je zur Hälfte in Basel und Oxford, ist mit einer Ärztin verheiratet und Vater zweier Töchter.

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