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Leben in Stadt und Land (01/2018)

Neue Häuser für sozialen Wandel

Text: Samuel Schlaefli

Genossenschaftliches Wohnen erlebt eine Renaissance. Eine Basler Soziologin begleitet die Entstehung neuer Wohnprojekte und forscht nach deren Potenzial für Innovationen und gesellschaftliche Transformation.

Spätestens seit der Jahrtausendwende steigt die Zahl der Neugründungen von gemeinschaftlich orientierten Wohnbaugenossenschaften wieder: LeNa und wohnen&mehr in Basel, Kalkbreite und Kraftwerk1 in Zürich, Warmbächli in Bern oder die Giesserei in Winterthur – sie alle wollen günstigen, auf die jeweiligen Bedürfnisse angepassten und beständigen Wohnraum schaffen. Solche Visionen sind nicht neu: In der Schweiz entstanden die ersten Wohnbaugenossenschaften bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Wieso also erwacht gerade jetzt wieder ein neues Interesse daran?

Diese Frage ist zentral in Sanna Frischknechts Dissertationsprojekt, das Teil des SNF-Projekts «Transformative Gemeinschaften als innovative Lebensformen?» im Fachbereich Soziologie ist. Die Forscherin setzt sich intensiv mit mehreren Wohnbaugenossenschaften auseinander, die alle das Interesse an «gemeinschaftlich-kooperativen Wohnformen» teilen. «Ideale wie demokratische Entscheidungsfindung und Selbstverwaltung sowie eine Architektur, die dem Wunsch nach Gemeinschaft und Privatheit gleichermassen Rechnung trägt, sind verbindende Elemente solcher Projekte», sagt die Soziologin.

Ihr Hauptinteresse gilt nicht dem Ergebnis, also dem Wohnen im fertiggestellten Bau, vielmehr interessiert sie sich für den Entstehungsprozess, der über mehrere Jahre dauern kann: «In den Diskussionen und Auseinandersetzungen um Leitbilder, Wohnkonzepte und Kooperationen kommen die Motivationen, Wünsche und Nöte der Beteiligten zum Ausdruck.»

Aktiv gegen Wohnungsnot

Hauptantrieb für das meist freiwillige und sehr zeitintensive Engagement in gemeinschaftlich-kooperativen Projekten sei für viele, dass sie wegen der aktuellen Wohnungsnot in den Städten und steigender Immobilienpreise ihre Wohnbedürfnisse nicht verwirklichen könnten, erzählt Frischknecht. Wichtige Motive seien zudem die Stärkung von sozialen Beziehungen und Unterstützungsnetzwerken, um dem Gefühl von Vereinzelung und fehlender sozialer Absicherung entgegenzutreten.

Für Co-Projektleiter Dietmar Wetzel geht es auch darum, das Kollektive neu zu bestimmen und Fragen danach aufzuwerfen, was wir Menschen miteinander zu teilen bereit sind. Die Motivation für stundenlange Sitzungen, hitzige Diskussionen und den Spiessrutenlauf durch die Ämter allein auf gesellschaftliche Bedingungen sowie ökonomische und ökologische Krisen zurückzuführen, wäre zu einseitig, sagt er. Teil der «alternativen Genossenschaftsszene» zu sein, sei auch ein Weg, sich des eigenen Ideals von einem nachhaltigen Lebensstil zu versichern. Deshalb erstaune auch die Nähe der Wohnbauprojekte zu solidarischer Landwirtschaft und anderen Bereichen der Alternativökonomie wenig.

Kein Ersatz für Wohlfahrtsstaat

Ein Blick auf die Zusammensetzung der aktiven Gruppen zeige, dass es sich häufig um Personen im Alter um die 30 und über 55 handelt. Meist Personen, die über relativ viel soziales und kulturelles Kapital verfügen sowie über eine stabile finanzielle Basis. «Es braucht viel zeitliche Ressourcen, um sich an einem solchen oft langjährigen Entstehungsprozess beteiligen zu können», sagt Frischknecht. Trotzdem finden sich in der Praxis verschiedene Ansätze, um sozial benachteiligten Personen Zugang zu Projekten und Wohnraum zu verschaffen, sei dies über Kooperationen mit der öffentlichen Hand und Institutionen oder durch von den Genossenschaften eigenhändig eingerichtete Solidaritätsfonds.

Wetzel sieht in der Übernahme von staatlichen Aufgaben durch Private jedoch auch Gefahren. Denn eine Strategie des Neoliberalismus bestehe gerade in der Aktivierung der Eigenverantwortung bei gleichzeitigem Rückzug des Staats aus gesellschaftlichen Zuständigkeiten: «Solche Wohnprojekte sind kein Mittel, um unter dem Deckmantel der Eigenverantwortung den Wohlfahrtsstaat zurückzufahren.»


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