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Dossier Migration – Menschen unterwegs (02/2016)

«Die Universität und das Kunstmuseum sind Resultate des offenen Geistes dieser Stadt.»

Interview: Matthias Geering

Josef Helfenstein, seit September Direktor des Kunstmuseums Basel, sucht die Nähe zur Universität. Die grosse Chagall-Ausstellung, die im Herbst 2017 eröffnet, konzipiert er in engem Austausch mit Forschenden zahlreicher Disziplinen.

Dr. Josef Helfenstein vor Picassos «Sitzendem Harlekin», dessen Ankauf 1967 die Basler Stimmberechtigten an der Urne zustimmten. (Bild: Kunstmuseum Basel, Lucian Hunziker)
Dr. Josef Helfenstein vor Picassos «Sitzendem Harlekin», dessen Ankauf 1967 die Basler Stimmberechtigten an der Urne zustimmten. (Bild: Kunstmuseum Basel, Lucian Hunziker)

Josef Helfenstein ist angekommen. Als wir dieses Gespräch Ende September führen, ist er zwar erst einige Wochen im Amt. Trotzdem spricht er so, als wäre er hier in Basel längst zu Hause. Der in Luzern geborene und in Bern promovierte Kunsthistoriker hat sich viel Zeit genommen, um die Stadt und ihre Menschen, aber auch ihre Universität kennenzulernen. Acht Monate lang war er Gast bei «Eikones», dem an der Universität Basel verankerten Nationalen Forschungsschwerpunkt Bildkritik – und er scheint diese Zeit in guter Erinnerung zu haben.

UNI NOVA: Herr Helfenstein, am 1. September haben Sie offiziell als Direktor des Kunstmuseums Basel angefangen, Sie sind aber schon seit Anfang Jahr in Basel und haben sich am Rheinsprung bei «Eikones» auf Ihre neue Aufgabe vorbereitet. Die Nähe zur Universität scheint Ihnen offenbar zu gefallen.

JOSEF HELFENSTEIN: Die acht Monate bei «Eikones» waren für mich ein sehr privilegierter Einstieg hier in Basel. In den ältesten Gebäuden der Universität zu arbeiten, an diesem besonderen Ort im Herzen der Stadt am Rheinsprung, wo schon Friedrich Nietzsche gelehrt hat, das alles hat mich sehr berührt. Ich hatte Kontakt mit jungen und etablierten Forschenden, man traf sich spontan zum Kaffee oder ging zusammen essen und konnte dabei gemeinsame Projekte diskutieren. Meiner neuen Aufgabe als Museumsdirektor in Basel wollte ich mich ganz bewusst über die Universität nähern, weil ich die wissenschaftliche Kompetenz der Universität und jene des Kunstmuseums enger zusammenbringen möchte. Ich bin überzeugt, dass es da grosses Potenzial für Synergien gibt.

UNI NOVA: Über Ihre frühere Institution, die Menil Collection in Houston, haben Sie einmal gesagt, diese habe eine humanistische Dimension. Nun sind Sie hier in einer Stadt, die sich auch auf eine humanistische Tradition beruft – wie schätzen Sie die Stadt Basel und das Kunstmuseum ein?

HELFENSTEIN: Ich sehe die Stadt Basel und das Kunstmuseum durchaus in einer ähnlichen Situation wie Houston und die Menil Collection, und dies war letztlich auch ein ganz wichtiger Grund, warum ich mich entschieden habe, hierher zu kommen. Die Gründer der Menil Collection waren interessanterweise sozusagen «Nachbarn»: Dominique de Menil war eine geborene Schlumberger aus dem Elsass, deren Familie zur geistigen Elite Frankreichs gehörte. Im Zweiten Weltkrieg flüchtete Dominique Schlumberger mit ihrem Mann, dem verarmten Adligen Jean de Menil, nach Houston. Was das Ehepaar de Menil dort geschaffen hat, ist nicht einfach ein Museum, sondern eine Art «Utopia»: Die de Menils haben ein utopisches Quartier geschaffen, samt öffentlichen Parks mit alten Baumbeständen, mit spirituellen Orten wie der Rothko Chapel, mit grossartiger Architektur wie dem Museumsbau von Renzo Piano – dies alles in einer Low-Key-Gegend, in der Studierende wohnen, Künstler leben, Leute mit mittlerem und niedrigem Einkommen zu Hause sind. Dieser Ort lebendiger Diversität und Toleranz verfügt über eine besondere Lebensqualität und ein humanistisches Ethos, was mir von Anfang an sehr imponiert hat. Die Stifterfamilie hat sich auch gegen die Rassentrennung und für Bildung und soziale Gerechtigkeit eingesetzt, oft mit diskreten Projekten in den Vierteln der benachteiligten, vor allem farbigen Bevölkerung.

Basels Humanismus baut auf eine Geschichte, die bei Erasmus beginnt, über Beuys geht und in die Gegenwart führt. Basel ist eine Stadt der Offenheit, der Weitsicht – eine Schweizer Stadt, aber eben auch eine europäische Stadt. Es ist kein Zufall, dass hier die erste Universität der Schweiz gegründet wurde. Wichtige Friedensverhandlungen haben hier stattgefunden, bedeutende Kongresse und Konzile. In dieser Stadt sucht man seit Jahrhunderten Lösungen für komplexe Probleme. Die Universität und das Kunstmuseum sind Resultate dieses offenen Geistes. Diese grossartige Geschichte ist für mich eine Art Kompass, den ich bei der Führung des Museums immer wieder konsultieren kann.

UNI NOVA: Die acht Monate bei «Eikones» scheinen inspirierend zu wirken – sind daraus schon konkrete Projekte entstanden?

HELFENSTEIN: Ja, wir haben rasch gemerkt, dass die Ausstellung zum Frühwerk von Chagall, die wir im Herbst 2017 im Kunstmuseum zeigen werden, eine gute Möglichkeit für eine enge Zusammenarbeit mit der Universität bietet. Dank Hinweisen von Professor Ralph Ubl ist es in kurzer Zeit gelungen, eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe von Forscherinnen und Forschern aus den Gebieten Kunstgeschichte, Geschichte, Jüdische Studien, Osteuropa-Studien und Linguistik zu formen. Wir treffen uns nun regelmässig, um über die Ausstellung nachzudenken und neue Ansätze zu diskutieren. Wir halten die Mitglieder der Gruppe auf dem Laufenden, damit sie beispielsweise wissen, welche Leihgaben nach Basel kommen. Wir besprechen den Inhalt der Ausstellung, aber auch die Publikation und die Programme. Es ist beeindruckend, wie viele Anregungen so in ein Projekt fliessen können.

UNI NOVA: Sie fokussieren die Ausstellung auf die Jahre 1911 bis 1919 und bezeichnen den Zeitraum als «Jahre des Durchbruchs».

HELFENSTEIN: Ja, ich bin der Ansicht, dass es Chagalls entscheidende Jahre waren: Zuerst die Ankunft 1911 in Paris als sprachignoranter Ankömmling, der noch nie im Westen war und fürchterliches Heimweh nach seiner russischjüdischen Heimat hat. Es folgen drei ungemein produktive Jahre an der Seine, wo Chagall, ohne es selbst zu realisieren, sich zu einem der eigenständigsten Künstler der Avantgarde entwickelt. Im Sommer 1914 – auf dem Weg nach Russland – folgt die wichtige Ausstellung in Berlin, die ihn in Deutschland und Russland berühmt macht. Er reist weiter nach Russland, um seine Frau zu heiraten und gemeinsam mit ihr nach Paris zu fahren – das war der Plan. Doch der Erste Weltkrieg bricht aus – Chagall ist gezwungen, in Russland zu bleiben. Er konzentriert sich in seiner Arbeit auf seine Herkunft, von der er sich schon entfremdet hat: Er malt die Armut der bilderlosen jüdischen «Schtetl-Welt » – alles aus der Perspektive des mit einem neuen Vokabular malenden avantgardistischen Künstlers. Dank der «Eikones»-Doktorandin Olga Osadtschy, die zum Thema der ethnografischen Fotografie Russlands im Ersten Weltkrieg promoviert, werden wir Chagalls Bilder mit den zeitgenössischen Fotografien eines im Westen unbekannten jüdischen Künstlers, der Chagall sogar kannte, ergänzen können.

UNI NOVA: Sie haben in Bern promoviert, haben in Illinois an einem universitären Museum gearbeitet und möchten auch hier in Basel den Austausch mit der Universität pflegen. Gab es auch in Houston Kontakte zu den Hochschulen?

HELFENSTEIN: Als ich an die Menil Collection kam, gab es kaum Kooperationen mit Universitäten. Mit der Rice University in Houston haben wir dann ein gemeinsames Fellowship-Programm aufgebaut: Ein Graduate Student konnte jeweils ein Jahr lang im Museum arbeiten und an verschiedenen Projekten mitwirken. Mit Rice hatten wir auch eine gemeinsame Vortragsreihe. Mit der University of Houston haben wir ebenfalls eine Position für begabte Studierende und gemeinsame Events organisiert. Am engsten war der Kontakt jedoch mit der University of Texas in Austin, die ein ausgezeichnetes Department of Art History hat. Mit dessen Leiter, Professor Richard Shiff, haben wir ein Programm für Doktoranden geschaffen. Das Fundraising war meine Aufgabe, und wir konnten zweijährige Fellowships anbieten. Im Rahmen dieser Post Graduate Fellowships benützten junge Forscherinnen und Forscher die Bestände der Menil Collection, und am Schluss organisierten sie ein Symposium. Das war eine ungemein anregende Erfahrung, für die Forschenden wie auch für uns als Institution. Ich bin der Ansicht, dass wir als Museum den Auftrag haben, jungen, talentierten Forschenden zu helfen, ihre Karriere zu starten. Als ich nach Basel kam, stellte ich mit Freude fest, dass «Eikones» nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert.

UNI NOVA: Am Harvard Art Museum in Boston werden gewisse Ausstellungsräume von jungen Forscherinnen und Forschern der Harvard University kuratiert. Könnten Sie sich derartige Kooperationen mit dem Fachbereich Kunstgeschichte der Universität Basel auch im Kunstmuseum Basel vorstellen?

HELFENSTEIN: Ich finde es naheliegend, dass man dies ermöglicht, und es ist auch keine Hexerei! Man darf den Aufwand aber nicht unterschätzen, denn diese jungen Forschenden müssen intensiv betreut werden, weil ihnen die praktische Erfahrung fehlt: der geübte Umgang mit den Objekten, der Logistik und dem Transport, mit Leihgaben, die im Ausland sind, und so weiter. Aber genau diese Erfahrungen, wie ein Museumsbetrieb funktioniert, diese Erkenntnisse sind für junge Forschende sehr wertvoll. Sie können den Ausschlag geben, dass jemand einen Weg wählt, der in die Museumswelt führt, oder einen völlig anderen Zugang zur Kunst oder zur Forschung findet.

UNI NOVA: Zu den Kernaufgaben eines Museums gehören das Sammeln, das Bewahren, das Dokumentieren, das Erforschen und das Vermitteln kultureller Werte. Das Bewahren hat in Basel bisher eher im Versteckten stattgefunden, andere Museen bieten den Besuchern Einblicke in diese wichtige Aufgabe, indem sie Restaurationsateliers zugänglich machen und so mehr Verständnis für diesen Prozess schaffen.

HELFENSTEIN: Ich bin sehr froh, dass Sie diesen Punkt ansprechen. Denn wir haben in Houston etwas umgesetzt, auf das wir sehr stolz sind: Zusammen mit dem Museum of Fine Arts in Houston haben wir am Chemistry Department der Rice University eine Assistenzprofessur in Material Sciences geschaffen, an der nun eine ausgezeichnet ausgebildete, promovierte Restauratorin forschen kann. Wenn man dies auf Basel übertragen würde, könnte das zum Beispiel heissen: Schaulager, Kunstmuseum Basel und die Universität Basel suchen gemeinsam einen Geldgeber, dank dem wir die Material Sciences wissenschaftlich verankern können. Das müsste doch auch in Basel möglich sein!

UNI NOVA: Wäre diese Forschung dann auch im Museum sichtbar?

HELFENSTEIN: Das kommt darauf an, wie man eine solche Position in die Museumsarbeit einbindet. In Houston haben wir Vorträge und Symposien organisiert, an denen die Erkenntnisse präsentiert wurden. An einem der Symposien konnten diese Kollegin und ein reiner Naturwissenschaftler beispielsweise nachweisen, wie Magritte gewisse Leinwände zerschnitten hat und die verschiedenen Bildelemente heute als Einzelwerke über die ganze Welt verteilt sind. Ohne die wissenschaftliche Analyse der Werke hätten wir diese Erkenntnisse nicht machen können.

UNI NOVA: Das Harvard Museum in Boston widmet sich immer wieder restauratorischen Projekten, so wie etwa Mark Rothko’s Harvard Murals (2014/15), einem Forschungsprojekt, bei dem mittels Projektion den Wandgemälden Rothkos die ursprüngliche Farbigkeit zurückgegeben wurde. Das Digital Humanities Lab der Universität Basel war an diesem Projekt beteiligt. Wird es in Zukunft mehr derartige Kooperationen geben?

HELFENSTEIN: Ich bin in engem Kontakt mit den Harvard Art Museums, dem Whitney Museum of American Art und der Menil Collection. Denn diese drei Partner tragen seit etwa fünfzehn Jahren das «Artists Documentation Program», bei dem bedeutende Künstler zum Thema Arbeitstechnik und Material befragt werden. Diese Interviews werden dann transkribiert, archiviert und Kunsthistorikern als «Oral History» zugänglich gemacht. Das Kunstmuseum Basel wird in Zukunft Teil dieses Netzwerkes sein, und ich kann mir gut vorstellen, dass wir dabei die Universität Basel mit einbeziehen.

Dr. Josef Helfenstein ist seit September 2016 Direktor des Kunstmuseums Basel. 1991 wurde er an der Universität Bern mit einer Arbeit über Meret Oppenheim und den Surrealismus promoviert. 2004–2015 leitete er die Menil Collection and Foundation in Houston (USA).

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