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«Wir haben das Hier und Jetzt. Und das ist alles, was wirklich zählt»

Prof. Dr. Andrew Gloster (Foto: Universität Basel, Patrick Gutenberg)
Prof. Dr. Andrew Gloster (Foto: Universität Basel, Patrick Gutenberg)

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) ist ein noch relativer junger Ansatz der Verhaltenstherapie, der sich in der Behandlung verschiedenster psychischer Störungen bewährt hat. Eine Studie der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel untersucht deren breite diagnostische Anwendbarkeit nun wissenschaftlich. Dabei wird auch ein Avatar zur Ergänzung der Therapie eingesetzt. Ein Gespräch mit dem Studienleiter Prof. Dr. Andrew Gloster.

06. Juli 2020

Prof. Dr. Andrew Gloster (Foto: Universität Basel, Patrick Gutenberg)
Prof. Dr. Andrew Gloster (Foto: Universität Basel, Patrick Gutenberg)

Herr Gloster, was ist ACT?

ACT ist eine Form der Psychotherapie und verfolgt das Ziel, den Menschen zu helfen, ein für sie persönlich wertvolles und sinnvolles Leben zu führen, selbst wenn Hindernisse im Weg stehen. Der Ansatz besteht aus drei Komponenten: Akzeptieren, Wählen, Handeln. Es geht darum, das zu akzeptieren, was ist und sich nicht ändern lässt; das zu wählen, was in einem gegebenen Moment wichtig ist – und zwar für einen selber, nicht für andere; und schliesslich, danach zu handeln.

Wie genau funktioniert das?

Wenn Klienten zu uns kommen, heisst es oft: Bitte helfen Sie mir, meine Ängste, meine Depression oder mein Suchtverhalten zu überwinden. Implizit oder explizit haben die Menschen das Gefühl, sich von bestimmten Gedanken und Empfindungen befreien zu müssen, um inneren Frieden zu finden und frei wählen zu können. ACT stellt diese Vorstellung auf den Kopf und sagt: Wir haben eine Wahl, hier und jetzt, und zwar mit diesen Gedanken und Gefühlen. Denn alle Erfahrungen (auch die schmerzhaften) sind Teil unseres Lebens und eben nicht nur die positiven. Indem wir bestimmte achtsamkeitsorientierte Techniken vermitteln, zeigen wir den Klientinnen und Klienten, wie sie schwierige Erfahrungen und Gefühle annehmen können und zu mehr Wohlbefinden kommen.

ACT ist ein transdiagnostischer Ansatz, der störungsübergreifend einsetzbar ist. Weiterhin gibt es empirische Belege dafür, dass ACT auch bei therapieresistenten Störungen wirkt.

Derzeit gibt es weltweit über 300 randomisierte Studien, welche die Wirksamkeit von ACT untersucht haben, darunter auch unsere Studien in Zusammenarbeit mit den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Die jeweilige Umsetzung der Therapie wird dabei sehr stark auf den Einzelnen ausgerichtet, mit einem Fokus auf persönlichen Wertvorstellungen und Lebenszielen. In gewisser Weise erweitern wir also die Ziele der Therapie über die blosse Symptomreduktion hinaus. In Kombination mit den ACT-Techniken, die helfen, Dinge besser zu akzeptieren, die sich nicht ändern lassen, scheint das eine sehr wirkungsvolle Behandlungsmethode für die verbreitetsten psychischen Störungen zu sein.

ACT befasst sich also weniger mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit als mit Handlungsmöglichkeiten in der Gegenwart?

Ja, die Therapie ist sehr stark in der Gegenwart verankert, obwohl wir natürlich auch die Vergangenheit und die persönliche Lerngeschichte betrachten. Oft ist es ja die Eigenwahrnehmung, die im Weg steht, also zum Beispiel Glaubenssätze wie «Ich bin nicht kompetent» oder «Ich bin nicht liebenswert». In solchen Fällen arbeiten wir auch daran, ein stabiles Selbst zu schaffen. Entscheidend ist, dass wir verstehen, wie die Vergangenheit unsere aktuellen Handlungen und Entscheidungen beeinflusst, denn das ist, was wirklich zählt: das Hier und Jetzt.

Im Rahmen der Studie werden Sie auch den Einsatz eines Avatars testen?

Die Entwicklung des Avatars basiert auf der Idee, dass selbst erfolgreiche Therapien oft an der Umsetzung im Alltag scheitern. Es ist relativ einfach, in den Sitzungen dem Therapeuten zuzuhören, wenn es ja scheinbar alles Sinn macht. Eine ganz andere Herausforderung ist aber, die eingefahrenen Verhaltensweisen zurückzulassen und neue Gewohnheiten zu etablieren. Eben hier kommt unser Avatar namens Anna ins Spiel. Sie wird neben dem Therapeuten als virtueller Coach agieren.

Wie genau kann man sich das vorstellen?

In der Klinik wird Anna den Klienten als Handy-App zur Nutzung zwischen den Sitzungen zur Verfügung gestellt. Sie wird zum Beispiel über Werte sprechen – was Werte sind und wie sie ein Kompass im Leben sein können, besonders wenn wir mit schwierigen Gefühlen oder Situationen zu kämpfen haben. Die Idee ist, dass sie den Klientinnen und Klienten hilft, sich mit den Dingen zu verbinden, die ihnen wirklich wichtig sind. Zusammen mit Anna werden dann verschiedene Elemente der ACT-Therapie geübt, um Vermeidungsverhalten bezüglich unangenehmer Hindernisse abzubauen. Die Interaktion mit Anna soll auf die jeweiligen Klienten abgestimmt sein. Die Berichte über die Interaktion mit Anna können dann mit dem Therapeuten geteilt werden. Wir hoffen, dass dies den Behandlungserfolg langfristig stärken wird.

Ist dies eine Form der personalisierten Psychotherapie?

Das ist unser Ziel, aber noch sind wir nicht soweit. Zunächst müssen wir genügend Algorithmen aufstellen und testen, damit sich die Interaktion personalisiert anfühlt. Die Idee ist, dass Anna die Klienten zukünftig nach Hause begleiten und als persönlicher Coach im Alltag fungieren könnte. Ein Beispiel: Angenommen, jemand hat diese App auf seinem Handy und gibt an, das Haus drei Tage lang nicht verlassen zu haben. Anna könnte dann fragen: Was ist los? Entspannen Sie sich gerade oder stimmt etwas nicht?

Welche anderen Erfahrungen gibt es mit ACT und Avatar-gestützter Therapie?

Wir haben kürzlich in einer Studie mit der Universität von Zypern die Wirksamkeit eines digitalen Raucherentwöhnungsprogramms für junge Erwachsene getestet. In diesem Fall war die Therapie vollständig Avatar-geleitet, und zwar über ein Computerprogramm, durch das sich die Teilnehmenden selbstständig durcharbeiten mussten. Entscheidend ist, dass es zu keinem Zeitpunkt in der Therapie die Aufforderung gab, mit dem Rauchen aufzuhören. Vielmehr lag der Schwerpunkt darauf, über Werte zu sprechen, eigene Wünsche zu definieren und verschiedene ACT-Komponenten zu internalisieren. Das Programm war sehr effektiv und führte zu signifikanten Entwöhnungsraten. Die Behandlungsgewinne konnten dann auch über die sechsmonatige Nachbeobachtung aufrechterhalten werden – ein sehr gutes Ergebnis.

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