x
Loading
+ -

Wenn Archäologie auf Hightech trifft

Vorbereitung einer Aufnahme mit dem Broncolor Scope D50: Dr. Peter Fornaro (in weiss) in der Region Wadi Rum nahe der Felsenstadt Petra in Jordanien; ein Filmteam hält den Vorgang fest. (Foto: zvg)
Vorbereitung einer Aufnahme mit dem Broncolor Scope D50: Dr. Peter Fornaro (in weiss) in der Region Wadi Rum nahe der Felsenstadt Petra in Jordanien; ein Filmteam hält den Vorgang fest. (Foto: zvg)

Ein Start-up der Universität Basel hat zusammen mit einem Baselbieter Industriepartner ein Instrument entwickelt, mit dem sich die komplexe Materialität von Oberflächen fotografisch erfassen und äusserst realistisch visualisieren lässt. Heute wird die Innovation an der internationalen Leitmesse für die Foto- und Imaging-Branche vorgestellt.

26. September 2018

Vorbereitung einer Aufnahme mit dem Broncolor Scope D50: Dr. Peter Fornaro (in weiss) in der Region Wadi Rum nahe der Felsenstadt Petra in Jordanien; ein Filmteam hält den Vorgang fest. (Foto: zvg)
Vorbereitung einer Aufnahme mit dem Broncolor Scope D50: Dr. Peter Fornaro (in weiss) in der Region Wadi Rum nahe der Felsenstadt Petra in Jordanien; ein Filmteam hält den Vorgang fest. (Foto: zvg)

Da steht also dieses Ding, diese UFO-ähnliche schwarze Halbkugel, mitten im eindrücklichen Tempeltal von Petra, Jordanien. Wadi Musa, das Tal Moses, heisst dieser geschichtsträchtige Ort. Die Legende besagt, dass dort Moses mit einem Schlag auf den Fels eine Quelle zum Sprudeln gebracht haben soll.

Mit wenigen Handgriffen montiert Dr. Peter Fornaro vom Digital Humanities Lab der Universität Basel die Kamera und schliesst sie an einen Laptop an. Ein Ausgrabungsfund, eine kleine Terracottafigur, wird unter der Haube positioniert – und dann wird fotografiert.

Ein Team von Archäologinnen, Archäologen und Historikern der Universität Basel ist hier seit Jahren mit Ausgrabungen zugange. Und jetzt haben sie dank einer bahnbrechenden Innovation der Firma Truvis – einem Start-up der Universität Basel – und der Firma Bron Elekronik in Allschwil ein Instrument zur Hand, welches eine vielfältige fotografische Oberflächenanalyse des Fundgegenstandes ermöglicht.

Vereinfacht gesagt, geht das so: In der Halbkugel sind zahlreiche LED platziert, die den Gegenstand von allen Seiten ausleuchten, während eine Digitalkamera 48 Bilder aufnimmt und die neu entwickelte Software daraus ein Oberflächenmodell errechnet. Damit wird es möglich, den Gegenstand unter verschiedensten, auch ungewöhnlichen Lichtbedingungen zu betrachten. Das lässt unsichtbare Oberflächeneigenschaften zutage treten. Absplitterungen, Abnutzungserscheinungen, Fingerabdrücke und andere Spuren können Hinweise auf Herstellung und Herkunft des Objekts geben.

Neue Ebene der Fotografie

Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass die Daten der Fotos gespeichert sind und damit der weltweiten Forschungs-Community zur Verfügung stehen. «Wir haben den Datensatz des Objektes sehr rasch zu Verfügung», sagt Fornaro. Das ist von grosser Bedeutung, denn die Objekte können nach der Ausgrabung nicht einfach mitgenommen werden. «Meist beginnt die eigentliche Forschungsarbeit, zum Beispiel der Vergleich der Fotos mit Bildern von anderen, artverwandten Gegenständen, erst zuhause.»

«Dieses System bringt die Fotografie auf eine neue Ebene», äussert sich begeistert Kurator Jonathan Tubb, Nahost-Spezialist und langjähriger Archäologe des British Museum in London. «Das mathematische Modell der Oberfläche enthält Informationen über Farbe, Form, Materialität und Glanz der Oberfläche. Früher hatten wir nur Schwarz-Weiss-Fotografie.»

So können Objekte in verschiedenstem Licht betrachtet werden, was nicht nur physikalische Oberflächeneigenschaften zeigt, sondern auch Stimmungen. Das zeigte sich sehr schön an einem alten Christus-Mosaik, welches bei Kerzenlicht einen ganz anderen Charakter bekommt. «Die Augenbrauen Christi sind aus einem anderen Material, sie bekommen bei einer bestimmten Beleuchtung einen besonderen Glanz», sagt Fornaro, ausgebildeter Elektroingenieur und wissenschaftlicher Fotograf.

Die digitalen Daten können auf jedem gängigen Browser laufen. «Selbst die Smartphones haben heute bereits die Software, die es erlaubt, durch ein Kippen des Geräts ein Objekt in verschiedenem Lichteinfall anzuschauen. «Unsere Software läuft auf jedem Browser, der HTML 5 unterstützt.»

Kooperation mit KMU aus Allschwil

Dass das Gerät namens «Broncolor Scope D50, powered by Truvis» überhaupt entstehen konnte, ist eine eigene Geschichte. «Und im Grunde genommen ein Zufall», so Fornaro. Er hatte beruflich hie und da mit der Allschwiler Firma Bron Elektronik zu tun, die auf Blitz- und Dauerlichtlösungen für den professionellen fotografischen und filmischen Einsatz spezialisiert ist.

Irgendwann kam er mit dem Firmenleiter auf Projekte an der Universität zu sprechen, konkret auf den Prototypen eines neuartigen fotografischen Verfahrens. Bron konnte die Hardware liefern, das Team um Fornaro die Software. Das war die Geburtsstunde der Truvis AG, die 2016 an den Start ging.

«True Vision» – oder «mache das Unsichtbare sichtbar», das ist der Claim der Firma. Im Verwaltungsrat mit dabei sind zwei erfahrene Unternehmer, in der Firma arbeiten heute drei Software-Entwickler. «Eigentlich ist es unglaublich, dass man am gleichen Ort lebt und dass unterschiedliche Experten voneinander praktisch keine Ahnung haben.» Es brauche geeignete Plattformen, um Experten zusammenzuführen, wie etwa das neue Innovation-Center der Universität Basel», kommentiert Fornaro.

Dankbar ist er über die Unterstützung, die er von der Universität bekommen hat. Wenn jemand innerhalb der Uni oder des universitären Umfelds eine Firma gründet, stellen sich immer wieder rechtliche Fragen, vor allem im Bereich der Eigentumsrechte (Intellectual Property, IP).

Die ursprüngliche Abteilung für Fotografie, eingebettet in das damalige Institut für Physikalische Chemie, ist heute das Digital Humanities Lab, das der Philosophisch-Historischen Fakultät angegliedert ist. Spannend war für Fornaro zu sehen, wie sich die Zusammenarbeit von zwei sich bislang eher fremden Gebieten – Geschichtswissenschaft und Hightech – entwickelte. Eine Annäherung fand von beiden Seiten statt. «Es war damals vielleicht im ersten Moment ein Kulturschock, aber es stellte sich als fruchtbare Grundlage für die innovative Zusammenarbeit heraus.»

Potenzial für zahlreiche Anwendungen

Neben der Archäologie sieht Fornaro zunächst weitere Anwendungen in Archiven, Museen und Bibliotheken. «Unser System stellt ein neues Potenzial im Rahmen des digitalen ‹Kulturguterhalts› dar. Die Verfügbarkeit und die Langzeitsicherung digitalen Wissens in Gedächtnisinstitutionen wird immer wie wichtiger.» In der Dermatologie könnte die High-End-Fotografie für die Früherkennung von Hautkrebs eingesetzt werden.

Doch Fornaro sieht nicht nur eine wissenschaftliche Anwendung dieser Technologie. Sie ermögliche es zum Beispiel auch, textile Oberflächen völlig neu und realistischer darzustellen. «Textilien wirken ausserdem erst realistisch, wenn sie sich bewegen und falten. Wir können schon heute die Materialität von Stoffen sehr realistisch visualisieren, ein virtuelles Berühren ist umsetzbar.» Die Art der Darstellung und die besonderen Fähigkeiten des Broncolor-Truvis-Systems machten es deshalb für den Versandhandel interessant. «Die Darstellung stofflicher Qualität im Onlinehandel ist bisher mangelhaft», sagt Fornaro.

200 Jahre Forschungsgeschichte

Zurück zur Felsenstadt Petra und ihrer Erforschung: Mit Basel verbindet sie eine 200-jährige Geschichte. Johann Ludwig Burckhardt, autodidaktischer Forscher und Reisender, hat das Verdienst, 1812 Petra als erster Europäer wiederentdeckt zu haben. Er weilte dort undercover, unter dem Alias Scheich Ibrahim Ibn Abdallah. Seine Erkenntnisse schrieb er unter Lebensgefahr nieder. Hätte man ihn beim Schreiben entdeckt – eine Gotteslästerung! – wäre er wohl getötet worden.

Die Equipe von Fornaro, die im roten Tal der Tempel den Film für Broncolor/Truvis drehen durfte, bekam hingegen offiziellen Schutz der Armee, ihnen wurde ein Captain einer Sondereinheit zugeteilt. So ändern sich die Zeiten.

Die Kamera wird an der Fachmesse Photokina in Köln, die heute beginnt, einem internationalen Publikum vorgestellt.

nach oben