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Seltene Muskelkrankheit: Seehund hilft Lama

Person mit Muskeldystrophie im Rollstuhl
Bei einer LAMA2-Muskeldystrophie fehlt den Muskelzellen ein stabilisierender Faktor. Forschende haben eine vielversprechende Gentherapie entwickelt, um Abhilfe zu schaffen. (Symbolbild: Adobe Stock)

Der Diagnose folgt Verzweiflung, dann vielleicht doch Hoffnung: Wenn Eltern eines Kindes mit der genetisch bedingten LAMA2-Muskeldystrophie im Internet suchen, stossen sie unter anderem auf SEAL Therapeutics, ein Start-up der Universität Basel. Was nach dem englischen Wort für Seehund klingt, ist eine Gentherapie, die dereinst die Überlebenschancen betroffener Kinder deutlich verbessern könnte.

29. Februar 2024 | Angelika Jacobs

Person mit Muskeldystrophie im Rollstuhl
Bei einer LAMA2-Muskeldystrophie fehlt den Muskelzellen ein stabilisierender Faktor. Forschende haben eine vielversprechende Gentherapie entwickelt, um Abhilfe zu schaffen. (Symbolbild: Adobe Stock)

Im Schnitt alle eineinhalb Jahre kommt in der Schweiz ein Kind mit einem Gendefekt auf die Welt, der die Stabilität seiner Muskelfasern beeinträchtigt. Auffällig wird das schon nach der Geburt: Betroffene Kinder haben kaum Körperspannung. Im Laufe der Zeit schwinden ihre Muskeln zusehends. Auch die Atemmuskulatur ist davon betroffen. In den schwersten Fällen erreichen diese Kinder kaum das Erwachsenenalter.

Wirksame Therapien gibt es gegen die seltene LAMA2-Muskeldystrophie bisher nicht. Eltern betroffener Kinder engagieren sich in Patientenorganisationen, um Gelder für die Forschung an Therapieansätzen zu sammeln. «Dieser Einsatz – neben den Herausforderungen, die die Erkrankung des Kindes mit sich bringt – hat mich sehr beeindruckt. Die Seltenheit der Krankheit erzeugt ein Wir-Gefühl, das auch uns Forschende mitreisst», berichtet Dr. Judith Reinhard, die durch ihre Forschung zusammen mit Prof. Dr. Markus Rüegg am Biozentrum der Universität Basel in Kontakt mit Betroffenen und Angehörigen steht.

Grundlagenforschung und eine zündende Idee

Ihren Anfang nahm ihre Forschung vor mehr als 20 Jahren allerdings weit entfernt von Patientenkontakten: Rüegg und sein Forschungsteam ergründen die Funktion von Muskeln, genauer gesagt die Rolle von bestimmten Molekülen in den Verbindungen zwischen Nerven und Muskeln. Eines der erforschten Proteine, Agrin genannt, zeigte eine interessante Eigenschaft: Es kann ausgezeichnet an Proteine auf der Oberfläche von Muskelzellen binden.

Markus Rüegg, Thomas Meier und Judith Reinhard im Labor am Biozentrum
Markus Rüegg, Thomas Meier und Judith Reinhard (v.l.n.r.) haben gemeinsam SEAL Therapeutics gegründet. (Foto: Universität Basel, Christian Flierl)

Was das mit der LAMA2-Muskeldystrophie zu tun hat? LAMA2 steht für den Namen eine Gens, welches für das Laminin-α2-Protein kodiert und bei Betroffenen defekt ist. Laminin-α2 ist ein essentieller «Anker», der die Muskelzellen mit der sogenannten extrazellulären Matrix, dem «Kitt» zwischen den Zellen, verbindet und ihnen Stabilität verleiht. Den Forschenden am Biozentrum kam eine hoffnungsvolle Idee: Vielleicht könnte man Bestandteile von Agrin verwenden, um diesen Anker zu ersetzen?

Heute, rund zwei Jahrzehnte später: Dem Team um Markus Rüegg und Judith Reinhard ist es gelungen, eine mögliche Gentherapie zu entwickeln, die einen optimierten Agrin-Bestandteil und ein zweites Ersatzprotein als Anker in die Muskeln einschleust. Dass es so lange gedauert hat, liegt vor allem daran, dass die passenden Methoden fehlten, um Gentherapien zu verabreichen. Inzwischen sind solche Methoden verfügbar: Als Vehikel für die zwei Ersatzproteine, beziehungsweise die Baupläne dafür, dienen modifizierte Viren.

Die Ergebnisse aus Versuchen mit Mäusen sind vielversprechend, berichtet Markus Rüegg: «Wenn Kliniker die Muskelschnitte von Mäusen mit dem LAMA2-Gendefekt sehen, einmal ohne, einmal mit unserer Gentherapie, sind sie hin und weg.» Die Tiere, die kurz nach der Geburt die Gentherapie erhalten, zeigen im weiteren Verlauf stabileres Muskelgewebe, eine stark verbesserte Muskelmasse und -spannung, können sich besser bewegen und erreichen ein höheres Alter.

Engagierte Eltern

Ermöglicht haben diese Forschung zu einem grossen Teil die Patientenorganisationen in den USA und Europa. Dank der durch sie bereitgestellten Finanzierung sprechen die Basler Forschenden regelmässig an Konferenzen, an denen sich nicht nur Wissenschaftlerinnen und Kliniker, sondern vor allem auch betroffene Familien austauschen.

Serie zu vernachlässigten und seltenen Krankheiten

In einer mehrteiligen Artikelserie im Zeitraum zwischen dem internationalen Tag der vernachlässigten Krankheiten (30. Januar) und dem Tag der seltenen Krankheiten (29. Februar) beleuchten wir Forschung an der Universität Basel, die das Verständnis für solche Erkrankungen verbessert und neue Therapieansätze vorantreiben soll.

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