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«Komplimente machen ist Übungssache»

Daumen hoch
Daumen hoch! Komplimente machen Freude, sie haben aber ihre Tücken. (Foto: Adobe Stock)

Am 1. März ist Welttag des Kompliments. Komplimente sind grundsätzlich etwas Schönes. Doch sie haben es in sich. Denn was nett gemeint ist, kommt nicht immer gut an. Die Sprachwissenschaftlerin Giuliana Santoro befasst sich in ihrer Doktorarbeit mit der Komplexität von sprachlichen Handlungen, die stark vom Kontext geprägt sind.

29. Februar 2024 | Noëmi Kern

Daumen hoch
Daumen hoch! Komplimente machen Freude, sie haben aber ihre Tücken. (Foto: Adobe Stock)

Frau Santoro, welche Funktion haben Komplimente im zwischenmenschlichen Kontakt?

Wer ein Kompliment macht, konzentriert sich auf die positiven Seiten des Gegenübers. Wir zeigen, dass wir jemandem wohlgesonnen sind und das trägt dazu bei, dass wir sympathisch wirken. So entsteht Nähe und die Beziehung wird gestärkt – auch dann, wenn wir eine Person noch nicht so gut kennen. Manchmal macht man Komplimente auch vorsorglich, zum Beispiel, um nicht neidisch zu erscheinen. Aber Achtung: Wenn ein Kompliment übertrieben oder unpassend erscheint, wirkt es unecht und wir fühlen uns auf den Arm genommen.

Woran merken wir, ob ein Kompliment ernst gemeint oder nur Schmeichelei ist?

Wenn das Kompliment zur Situation passt, ist es wohl ernst gemeint. Die Beziehung, in der man zu einer Person steht, ist dabei das wichtigste Kriterium. Man stelle sich vor, dass die Verkäuferin im Bekleidungsgeschäft sagt, wie gut einem das Kleid steht. Dann kommt eine andere Kundin, und macht einem ebenfalls ein Kompliment. Letzteres kommt viel besser an, denn die Kundin hat ja keinerlei Nutzen davon, wenn ich das Kleid kaufe – im Gegensatz zur Verkäuferin. Solche spontanen Komplimente bezeichnen wir in der Linguistik als prototypisch, sie finden normalerweise am meisten Anklang. Im Vergleich dazu gibt es Komplimente, die man auf Nachfrage erhält: «Wie findest du mein Kleid?» – «Es steht dir gut.» Aber oft sind die Grenzen zwischen ernst gemeint und schmeichelhaft fliessend.

Was als Kompliment gemeint ist, kommt beim Gegenüber nicht zwangsläufig gut an …

Das stimmt! Das richtige Kompliment zum richtigen Zeitpunkt zu machen, ist auch kulturell sehr unterschiedlich. In meiner Heimat Italien kommt es zum Beispiel gut an, jemandem jugendliches Aussehen zu attestieren.

In China hingegen ist das nicht schmeichelhaft, denn Alter steht für Weisheit. Man will also nicht allzu jung wirken. Generell gilt: Komplimente fürs Aussehen sind riskanter als solche für Leistung. Und: Mit einem Kompliment gibt man viel über sich und über die eigenen Werte preis.

Welche Rolle spielen Komplimente in Italien?

Eine sehr wichtige! Ohne Komplimente hat man den Eindruck, dass etwas fehlt. Man fühlt sich nicht geschätzt. Das gilt sowohl in der Familie als auch ganz allgemein in der Gesellschaft.

Nun leben Sie seit einigen Jahren in der Deutschschweiz, davor in Deutschland. Welche Rolle spielen Komplimente hier?

Sie sind seltener als in meiner Heimat. Dafür kann man davon ausgehen, dass ein Kompliment wirklich ernst gemeint ist, wenn es ausgesprochen wird. Damit erhält es einen grösseren Wert. Als meine Schwester mich damals in Deutschland besuchte, war sie irritiert und enttäuscht, dass die Komplimente ausbleiben, die sie sich gewöhnt war.

Was Komplimente angeht, kommen Sie aus einer anderen Kultur. Kam es deshalb schon zu komischen Situationen?

Der kulturelle Hintergrund einer Person entscheidet wesentlich mit, wie etwas ankommt. Ein Beispiel: In Italien bezeichnet man eine Frau im Zweifelsfall als «signorina» und nicht als «signora». Bei einer jüngeren macht man damit nichts falsch, eine ältere wird sich geschmeichelt fühlen. Würde man eine Frau entsprechend als «Fräulein» anreden, würde sie das heutzutage nicht als Kompliment verstehen. Das Beispiel zeigt, dass man nicht einfach von einer Sprache in die andere übersetzen kann.

Fällt es den Schweizerinnen und Schweizern schwer, Komplimente zu machen?

Im Vergleich zu Italienerinnen und Italienern schon ein bisschen. Sie brauchen mehr Zeit, bis sie anfangen, Komplimente zu machen. Sie müssen sich einer Beziehung schon recht sicher sein, bis sie sich trauen. Auf der anderen Seite ist man sich auch weniger gewohnt, Komplimente zu bekommen.

Ein Kompliment anzunehmen, fällt mitunter nicht leicht. Was raten Sie?

Ein Kompliment zu bekommen, kann überfordern, und man lehnt es daher vielleicht sogar ab, indem man sich bescheiden gibt. Man sagt zum Beispiel: «Ach, so gut ist mein Text auch wieder nicht.» Wer ein Kompliment macht, will aber, dass es angenommen wird. Wenn jemand bescheiden reagiert, bekräftig man ein Kompliment durch eine Verstärkung: «Der Text ist wirklich sehr schön formuliert.»

Soll man sich mit einem Gegenkompliment revanchieren?

Das Bedürfnis, ein Kompliment zurückzugeben, ist nachvollziehbar. Möglicherweise findet jemand sogar erst den Mut, ein Kompliment auszusprechen, nachdem er oder sie selber eines bekommen hat. Ein erwidertes Kompliment ist jedoch nicht prototypisch und wirkt entsprechend weniger stark, auch wenn es ehrlich gemeint ist. Ich empfehle, ein Kompliment verzögert zurückzugeben, und nicht unmittelbar in der gleichen Situation. Dann kommt es für das Gegenüber überraschend und wirkt echt.

Sie unterrichten Italienisch. Kann man Deutschsprechenden das Komplimentemachen «all’italiana» beibringen?

Es ist eine Übungssache. Meinen Schülerinnen und Schülern ist es am Anfang peinlich, Komplimente zu machen. Doch wenn sie loslegen, dann richtig. In einer anderen Sprache kann man sich ganz anders ausdrücken als in der eigenen, und man sagt im Sprachunterricht Dinge, die man im echten Leben vielleicht nie sagen würde. Vor einigen Jahren hatte ich in einem Seniorenkurs ein Paar. Er sagte ihr «Ti amo», und ihr kamen die Tränen. Sie sagte: «Auf Deutsch hat er mir noch nie gesagt, dass er mich liebt.» Wenn man Italienisch lernt, sollte man Zeit im «Land der Komplimente» verbringen, sie in die Ohren bekommen.

Loben Sie Ihre Schülerinnen und Schüler besonders ausgiebig?

Manchmal vielleicht sogar etwas zu viel. Einerseits will ich ein gutes Lernambiente schaffen. Anderseits mache ich das sehr bewusst, damit meine Schülerinnen und Schüler den Wortschatz lernen, etwa Synonyme von «bravo». Das gehört einfach dazu, wenn man Italienisch lernt. Das ist Kultur. In der Sprachwissenschaft nennt man das Pragmatik. Bis man diese beherrscht, dauert es am längsten. Man kann sie nicht so lernen wie Wortschatz oder Grammatik und der Prozess endet nie.

Pragmatik

Die Pragmatik ist eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft und befasst sich damit, wie Sprache gebraucht wird. Im Gegensatz zur Semantik, die die Bedeutung von Wörtern kontextunabhängig untersucht, betrachtet die Pragmatik die Kommunikationssituation, in der eine sprachliche Äusserung erfolgt. Der Kontext prägt also die non-verbale Dimension Botschaft. Ein Beispiel: Fragt man: «Haben Sie eine Uhr?» bedeutet das semantisch «Besitzen Sie eine Uhr?» Pragmatisch heisst es jedoch: «Können Sie mir sagen, wie spät es ist?».

Über Giuliana Santoro

Giuliana Santoro stammt aus der Region Molise in Süditalien. Sie zog 2007 nach Deutschland, um richtig Deutsch zu lernen, das sie als ihre Herzenssprache bezeichnet. Seit 2013 lebt sie in der Innerschweiz. Sie unterrichtet Italienisch als Fremdsprache in der Oberstufe im Kanton Uri (12- bis 14-Jährige) sowie am Sprachenzentrum der Hochschule Luzern. In ihrer Dissertation untersucht sie, wie sprachliche Handlungen in Italienisch-Lehrbüchern für Deutschsprachige vermittelt werden (Didattica degli atti linguistici nei manuali d’italiano LS indirizzati agli apprendenti germanofoni di livello A1-C2). Das Doktoratsprojekt ist im Fachbereich Italianistik (Prof. Dr. Angela Ferrari) am Departement Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Basel angesiedelt. Damit ist sie auch Mitglied der Hermann Paul School of Linguistics (HPSL), dem Doktoratsprogramm der Universität Basel und der Uni Freiburg im Breisgau.

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