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Das Leben in alpinen Quellen erforschen

Ein Doktorand sammelt Proben an einer Quelle.
Ein Doktorand sammelt Proben an einer Quelle im Val Mingèr im Schweizer Nationalpark. (Foto: Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften)

Quellen bieten vielen Lebewesen einen einzigartigen Lebensraum. Trotzdem ist fast nichts darüber bekannt. Basler Forschende nehmen deshalb die Quellen des Schweizer Nationalparks genauer unter die Lupe.

30. Dezember 2019

Ein Doktorand sammelt Proben an einer Quelle.
Ein Doktorand sammelt Proben an einer Quelle im Val Mingèr im Schweizer Nationalpark. (Foto: Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften)

Während sich zahlreiche Forschungsprojekte mit Flüssen und Seen beschäftigen, untersucht kaum jemand den Zustand von Quellen. «Quellen sind einfach sehr unscheinbar und werden von der Bevölkerung hauptsächlich als Spender von Trinkwasser wahrgenommen», sagt Stefanie von Fumetti vom Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel. Die Geoökologin leitet eine der wenigen Forschungsgruppen in Europa, die auf die Erforschung von Quellen spezialisiert ist.

Ihrer Ansicht nach ist es höchste Zeit, dass sich die Wissenschaft mehr um dieses Thema kümmert: Denn Quellen sind ein ganz spezieller Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen, die sonst nirgends anzutreffen sind – zum Beispiel bestimmte Arten von Kieselalgen, Steinfliegen, Köcherfliegen und Wassermilben. «Nur einem kleinen Kreis von Fachleuten ist es bewusst, wie wertvoll Quellen für die Biodiversität sind», sagt von Fumetti. Deswegen ist auch schwer abzuschätzen, wie stark menschliche Aktivitäten oder klimatische Veränderungen diese isolierten Biotope gefährden.

Freiluftlabor im Nationalpark

Genau diesen Fragen geht die Basler Arbeitsgruppe seit einigen Jahren im Rahmen eines Langzeitprojekts im Schweizer Nationalpark nach. Während die meisten Quellen in den Alpen bereits für Trinkwasser, Viehtränken oder Trocknung gefasst wurden, sind die Quellen im Nationalpark noch in einem unberührten Zustand. Regelmässig besuchen die Forschenden ausgewählte Quellen in der schneefreien Periode, um Proben zu sammeln und Messungen vorzunehmen. Dabei berücksichtigen sie verschiedene Typen von Quellen: Sowohl Sturzquellen, die aus einem Fels entspringen, als auch Sickerquellen, bei denen das Grundwasser in Form von Pfützen aus der Erde dringt. Eine Besonderheit ist die Weiherquelle im Wald des God dal Fuorn, die einen leuchtend blauen See bildet.

Bei ihren Messungen erfassen die Geoökologinnen und Geoökologen Faktoren wie Temperatur, pH-Wert und die Wassermenge, die eine Quelle ausschüttet. Dank moderner Technik lässt sich dies teilweise sogar das ganze Jahr über verfolgen: Dafür versenkte von Fumetti in einigen der Quellen walnussgrosse Datenlogger, die mehrmals täglich die Temperatur und den Lichteinfall erfassen und die Daten später per Bluetooth an das Mobiltelefon der Forscherin senden. «Durch diese Überwachung können wir ermitteln, welche langfristigen Auswirkungen etwa zukünftig höhere Temperaturen im Sommer oder die Verschiebung der Schneefälle im Winter haben», erklärt von Fumetti.

Fliegen und Milben als Indikatoren

Von besonderem Interesse für die Forschenden sind die vielen kleinen Lebewesen, die sich im Wasser, auf dem Grund und am Rande der Quellen tummeln: Dabei konzentrieren sie sich vor allem auf die Larven von Köcher- und Steinfliegen sowie Wassermilben, denn diese Arten sind gute Indikatoren für den Zustand der Biotope. So leben etwa in alpinen Sickerquellen viele Steinfliegenarten und in den Sturzquellen viele Köcherfliegenarten, die sehr gut an ihren jeweiligen Lebensraum angepasst sind.

Eine wichtige Fragestellung dabei ist, ob jede Quelle ein eigenes isoliertes Biotop darstellt, oder ob zwischen den Quellen ein gewisser genetischer Austausch stattfindet: «Im schlimmsten Fall könnte sonst die Zerstörung einer einzigen Quelle einen einzigartigen Lebensraum für immer vernichten», so von Fumetti. Die ersten Auswertungen ergaben allerdings ein ermutigendes Resultat: Die einzelnen Quellen sind wohl doch nicht so isoliert voneinander wie bisher geglaubt: «Man kann davon ausgehen, dass ein gewisser Austausch zwischen nahe beieinander liegenden Quellen stattfindet, wenn sie sich von der Struktur her ähnlich sind.» Wie sich die Tiere von Quelle zu Quelle bewegen, ist aber noch nicht gut untersucht. Die Köcher- und Steinfliegen können wahrscheinlich aus eigener Kraft zu naheliegenden Quellen fliegen und sich mit ihren dort lebenden Artgenossen paaren. Und die winzigen parasitären Wassermilben lassen sich vermutlich von ihren Wirten – etwa Zuckmücken – im Huckepack von Quelle zu Quelle transportieren.

Eine genauere Auskunft darüber sollen jetzt genetische Untersuchungen liefern. Ein Doktorand der Arbeitsgruppe hat eine Methode etabliert, um das Erbgut einzelner Wassermilben zu analysieren. So können die Verwandtschaftsbeziehungen genau bestimmt werden. Schon jetzt hat sich gezeigt, dass sich die Mühe lohnt: In einer kürzlich veröffentlichten Studie berichten die Basler Forschenden über die Entdeckung von sieben neuen Arten von Wassermilben. Das Leben in den Quellen ist also wahrscheinlich noch vielfältiger als bisher vermutet.

Mehr Wissen, besserer Schutz

Stefanie von Fumetti hofft, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen, den Schutz von Quellen in der Schweiz zu verbessern: «Rein vom Gesetz her sind Quellen in der Schweiz nicht gut geschützt, da sie weder unter den Grundwasserschutz fallen, noch zu den Oberflächengewässern zählen. Sie werden auch nicht explizit im Natur- und Heimatschutzgesetz erwähnt.» So könne etwa jede Person, auf deren Land sich eine Quelle befindet, diese für Trinkwasser fassen.

Dennoch ist von Fumetti vorsichtig optimistisch: Vor allem in den letzten fünf Jahren habe sich sehr viel getan. Das Bundesamt für Umwelt hat ein Mandat zur Koordination von Quellschutzaktivitäten vergeben. Und die einzelnen Kantone haben damit begonnen, alle noch vorhandenen Quellen einheitlich zu kartieren. «Wenn wir in Zukunft mehr unter dem Trockenstress leiden, stehen wir vielleicht vor der Entscheidung, Quellen für die Trinkwassergewinnung zu opfern. Dann ist es wichtig zu wissen, welche Quellen besonders schützenswert sind.»

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