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Im Fokus: Anita Dirnberger will verstehen, was die Menschen bewegt

Frau mit langen braunen Haaren und Brille sitzt an einem roten Tisch im Freien und liest ein grosses aufgeschlagenes Buch vor einem Gebäude mit Holzelementen.
Anita Dirnbergers Ziel in der Arbeit mit biblischen Texten ist es zu verstehen, in welchem Kontext sie entstanden sind. (Foto: Universität Basel, Christian Flierl)

Das Interesse an Geschichte und an anderen Menschen brachte sie zum Theologiestudium – und spielt auch eine Rolle in ihrer Dissertation. Darin befasst sich Anita Dirnberger mit einer Passage im Alten Testament, die sie immer wieder aufs Neue fordert. Ausgleich zum Alltag in Forschung und Lehre findet sie beim Arbeiten mit den Händen.

10. Juli 2025 | Noëmi Kern

Frau mit langen braunen Haaren und Brille sitzt an einem roten Tisch im Freien und liest ein grosses aufgeschlagenes Buch vor einem Gebäude mit Holzelementen.
Anita Dirnbergers Ziel in der Arbeit mit biblischen Texten ist es zu verstehen, in welchem Kontext sie entstanden sind. (Foto: Universität Basel, Christian Flierl)

Pfarrerin werden. Dieser Berufswunsch regte sich in Anita Dirnberger schon als Sekundarschülerin. Damals mussten sie und ihre Klassenkameradinnen und –kameraden sich mit der Frage auseinandersetzen, wie es nach der obligatorischen Schulzeit für sie weitergehen sollte. Deshalb trat sie zur Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium an, um später Theologie zu studieren. «Ich brauchte diese Vision, um zu wissen, worauf ich hinarbeite. Das hat mich durch die Gymnasialzeit getragen, gerade auch dann, wenn ich die Schule phasenweise nicht so lustig fand», sagt sie rückblickend. «Auch heute noch ist es mir wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben, auf das ich hinarbeite.»

Aufgewachsen ist Anita Dirnberger in Andeer im Kanton Graubünden. Es ist nicht in erster Linie der Glaube oder die Religion, die sie zum Theologiestudium bewogen. Sie bezeichnet sich nicht als besonders fromm. An der Vorstellung, Pfarrerin und Seelsorgerin zu sein, reizt sie, anderen Menschen zu begegnen und sie zu begleiten.

Einblick in andere Welten

Das Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Basel erwies sich als die richtige Wahl. Die familiäre Stimmung an der kleinen Fakultät sagt ihr zu. «Man kennt sich. Wir bilden Lerngemeinschaften, tauschen Erfahrungen aus und tragen uns gegenseitig durch die Diss.»

Frau liest ein Buch mit hebräischem Text, daneben liegt die "Biblia Hebraica" auf einem roten Tisch.
Sprachen sind für Anita Dirnberger Türen in andere Welten. Altgriechisch und Hebräisch gehören für die Theologin zum Alltag. (Foto: Universität Basel, Christian Flierl)

Inhaltlich fasziniert Dirnberger das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Disziplinen: Geistes- und sozialwissenschaftliche Arbeitsweisen kommen zusammen, Philosophie, Literatur und Geschichte sind in einem Studiengang vereint. Und für die Arbeit an den biblischen Texten braucht sie Altgriechisch und Hebräisch. Sprachen sind für sie «wie wenn eine Tür in eine andere Welt aufgeht». Das erzählt die 27-Jährige bei einem Kaffee im idyllischen Garten des Frey-Grynaeischen Instituts.

Ihre Begeisterung für ihr Fach ist deutlich spürbar. Gleichzeitig ist sie sehr reflektiert. Ihr ist es wichtig, die biblischen Texte kritisch zu betrachten und vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit zu lesen. Es sind nicht einfach schöne Geschichten, die niedergeschrieben wurden, um zu unterhalten oder etwas zu lehren. «Immer wieder ist Gewalt ein grosses Thema. Das ist nicht sehr erbaulich.» 

Respekt vor dem Gegenüber

In ihrer Dissertation widmet sie sich dem sogenannten Deutero-Sacharja (Sacharja 9–14). In diesem Teil des Alten Testaments geht es um Vorstellungen für die Wiederherstellung und Organisation der Gemeinschaft in Judäa in einer von Krieg und Unsicherheit geprägten Zeit und wie sich diese veränderten. Der Text sei eher spät entstanden, und wurde dem Buch des Sacharja hinzugefügt. «Da muss man sich fragen, wieso das so ist. Man hätte ja auch ein weiteres eigenständiges Buch in die Sammlung der kleinen Prophetenbücher integrieren können.»

Auch wenn sie auf diese Frage keine eindeutige Antwort weiss, Anita Dirnbergers Ziel in der Arbeit mit biblischen Texten ist es zu verstehen, in welchem Kontext sie entstanden sind: Was wollten die Menschen, die sie verfassten, kommunizieren? Was war ihnen wichtig? «Nur so haben wir eine Chance zu begreifen, was ihr Inhalt bedeutet», betont sie. Es gehe darum, die Menschen in ihrer Zeit und ihrer Realität ernst zu nehmen. Sie bezieht dies in diesem Moment auf die historischen Texte, doch im Gespräch mit ihr zeigt sich, dass sie diesen Grundsatz auch im Umgang mit ihren Mitmenschen lebt.

«Ich finde es faszinierend, dass diese Texte so lange überliefert wurden, dass wir sie heute noch lesen können.» Das zeige, dass sie als wichtig erachtet wurden. Und obschon sie über 2000 Jahre alt und scheinbar weit weg von unserer Realität sind, können wir auch in der heutigen Zeit etwas aus ihnen lernen. Davon ist sie überzeugt. «Nur weil sie uns selbst womöglich nichts sagen, heisst das nicht, dass sich andere Menschen davon nicht angesprochen fühlen.»

Die Universität als spannender Kosmos

Neben der Forschung arbeitet Anita Dirnberger als Assistentin ihrer Betreuerin im Doktorat, Sonja Ammann, und hat einen Lehrauftrag. Diese unterschiedlichen Rollen an einer kleinen Fakultät innezuhaben, sei eine gute Schule fürs Leben. «Das ist mir ebenso wichtig wie eine abgeschlossene Dissertation», sagt sie mit Nachdruck.

Porträt einer Frau mit langen braunen Haaren, Brille und bordeauxfarbener Bluse
Anita Dirnberger (Foto: Universität Basel, Christian Flierl)

Die Arbeit und der Austausch mit den Studierenden macht ihr grossen Spass – und ist gleichzeitig fordernd. «Ich gebe viel von mir. In der Arbeit mit anderen Menschen ist immer ein authentisches Ich gefragt», sagt sie.

Damit das auf Dauer geht, musste sie lernen «voll da, aber auch voll weg» zu sein. «Man könnte ja immer noch mehr machen und es besteht die Gefahr, dass man die Arbeit immer mit nach Hause nimmt.» Dass sie zwischen Basel und ihrem Wohnort Illnau ZH pendelt, helfe ihr dabei, Abstand zu gewinnen. Ausgleich findet Anita Dirnberger beim Kreuzstich-Sticken, eine Tätigkeit, die in vielerlei Hinsicht einen Kontrast bietet zu ihrem Alltag: Hier sieht sie ein unmittelbares Resultat ihres Tuns, sie arbeitet mit den Händen und im Gegensatz zum Schwarz/Weiss der Buchstaben der studierten Schriften bietet das Garn alle Farben des Regenbogens. «Zudem muss ich beim Sticken nicht viel überlegen, während ich mich an der Uni mit immer neuen Fragestellungen befasse.»

Optionen für den weiteren Weg

Eine Abwechslung steht auch fürs kommende Herbstsemester bevor:  Anita Dirnberger ist dann von der Lehre freigestellt, um sich intensiv ihrer Dissertation widmen zu können. Einen Teil der Zeit würde sie gerne in Harvard bei ihrer ehemaligen Teamkollegin verbringen, die dort Professorin ist. Im Moment laufen die Vorbereitungen. «Ich bleibe zuversichtlich, dass es klappt», sagt sie.

Und wann steht Anita Dirnberger das erste Mal als Pfarrerin vor einer Gemeinde? Sie lacht. «Das weiss ich noch nicht.» Im Moment findet sie ihre verschiedenen Aufgaben an der Theologischen Fakultät so spannend und bereichernd, dass es auch eine Option sei, weiterhin in der Universität zu arbeiten. So wichtig die Aussicht auf ihren Traumberuf als Pfarrerin war, so sehr schätzt sie aktuell die Offenheit und die Möglichkeit, unterschiedliche Wege einschlagen zu können. Die praktische Ausbildung als Seelsorgerin hat sie in diesem Frühjahr jedenfalls abgeschlossen.

Im Fokus: die Sommerserie der Universität Basel

Das Format Im Fokus rückt junge Forschende in den Mittelpunkt, die zum internationalen Renommee der Universität beitragen. In den kommenden Wochen stellen wir Akademiker*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen vor, die stellvertretend für die über 3000 Doktorierenden und Postdocs der Universität Basel stehen.

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