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«Es braucht in der akademischen Forschung Vernetzung und Originalität»

Dr. Michaela Kneissel, Mitglied des Universitätsrat und Global Head Musculoskeletal Disease Area, Novartis Institutes for Biomedical Research.
Dr. Michaela Kneissel, Mitglied des Universitätsrats und Global Head Musculoskeletal Disease Area, Novartis Institutes for Biomedical Research. (Bild: Novartis)

Seit Anfang Jahr hat der Universitätsrat der Universität Basel ein neues Mitglied: Dr. Michaela Kneissel. Sie leitet die Abteilung für Erkrankungen des Bewegungsapparates bei den Novartis Institutes for Biomedical Research und ist eine ausgewiesene Forscherin im Bereich der Life Sciences und Medikamentenentwicklung.

29. Oktober 2020

Dr. Michaela Kneissel, Mitglied des Universitätsrat und Global Head Musculoskeletal Disease Area, Novartis Institutes for Biomedical Research.
Dr. Michaela Kneissel, Mitglied des Universitätsrats und Global Head Musculoskeletal Disease Area, Novartis Institutes for Biomedical Research. (Bild: Novartis)

Frau Kneissel, wie würden Sie sich und Ihre Arbeit charakterisieren?

Ich bin eine Forscherin im Bereich von Erkrankungen des Bewegungsapparats, und das schon seit sehr langer Zeit. Angefangen damit habe ich in Wien, wo ich herkomme. Nach meinem Studium der Biologie habe ich zunächst damit begonnen, Osteoporose zu untersuchen. Später kam die angewandte Forschung hinzu mit dem Ziel, medikamentöse Ansätze für die Behandlung von Osteoporose zu finden und zu entwickeln. Heute fokussiert sich die Forschung unserer Abteilung auf das Entdecken von Medikamenten für Osteoarthrose, Tendinopathie und schweren neuromuskulären Erkrankungen. Diese Erkrankungen, für die es bisher keine wirksame medikamentöse Behandlung gibt, führen zu einem schmerzhaften Verlust von Beweglichkeit und Unabhängigkeit. Unser und mein passioniertes Ziel ist es, diese wiederherzustellen. Die Wissenschaft ist insofern ein ganz wichtiger Teil von mir.

Wie beschreiben Sie sich privat?

Ich bin kein richtiger Hobbymensch, war es auch nie. Mir und meinem Mann gefällt die Region hier sehr gut – Basel ist zwar klein, hat aber kulturell sehr viel zu bieten. Wir gehen gerne in Ausstellungen und Konzerte, kochen und essen beide gerne zu zweit oder mit Freunden, ich lese viel. Früher war ich passionierte Taucherin, aber das ist jetzt schon ein Weilchen her. Und weil unsere beiden Familien nicht in Basel leben, sondern meine in Wien und die meines Mannes in Nizza und Paris, verbringen wir auch sehr gerne Zeit dort.

Ihr Einstieg in den Universitätsrat stand in diesem Jahr ganz im Zeichen von Corona und hat primär im digitalen Format stattgefunden. Welches Bild haben Sie bislang von der Universität Basel?

Natürlich geht das Kennenlernen unter solchen Bedingungen etwas langsamer. Ich sehe es als grosses Privileg an, einen Einblick in die Geschäfte einer so traditionsreichen Universität zu erhalten. Bislang war ich vor allem mit deren naturwissenschaftlichen Bereich vertraut. Hier gibt es Kontakte und Schnittstellen, wie etwa gemeinsame wissenschaftliche Interessen im Forschungsbereich des Bewegungsapparates oder das Friedrich Miescher Institut (FMI), dessen Stiftungsratsvorsitzende ich bin und welches auch gemeinsame Professuren mit der Universität Basel hat. Ich sehe es auch als «Learning opportunity», dass es im Universitätsrat natürlich nicht nur um die wissenschaftliche Strategie, sondern um die Gesamtstrategie der Universität geht, inklusive Infrastrukturen und Finanzierungen.

Welche Expertise möchten Sie in den Universitätsrat einbringen?

Mir geht es vor allem darum, den Blickwinkel der Life Sciences verstärkt einzubringen, insbesondere die Schnittstelle zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung.

Sie kennen die Forschung aus akademischer wie aus angewandter Perspektive. Wo sehen Sie die grössten Unterschiede?

In der angewandten Forschung wird breit und vernetzt gearbeitet, um Ziele zu erreichen und unter Berücksichtigung gewisser Zeithorizonte. Man bewegt sich relativ schnell über grössere Themenfelder. Dabei ist das Arbeiten in grossen Teams extrem wichtig, weil man so viele Kompetenzen zusammenbringen muss, um Krankheitsmechanismen zu erforschen und daraus ein Medikament zu entwickeln, das dann auf viele Aspekte getestet werden muss. Hingegen sind in der Grundlagenforschung die Themenfelder typischerweise nicht ganz so breit, man hat mehr Zeit, um tiefer zu gehen. Die Arbeit in grossen Teams war hier in der Vergangenheit nicht so stark ausgeprägt, aber das ändert sich auch in jüngerer Zeit, weil die Fragestellungen immer komplexer werden.

Welche Vor- und Nachteile der angewandten Forschung sehen Sie?

In der angewandten Forschung hat man unkomplizierten Zugang zu Ressourcen und kann neue Ansätze relativ schnell ausprobieren. Es ist auch leichter, ein Projekt wieder abzubrechen, wenn es sich nicht vielversprechend entwickelt. Das kann sehr befreiend sein. In der akademischen Grundlagenforschung geht das nicht ohne Weiteres. Das heisst, man muss publizieren, selbst wenn man vielleicht feststellt, dass die Einsichten gar nicht so spannend sind. Ein Nachteil der angewandten Forschung ist andererseits, dass sie schnelllebiger ist. Wir hören mitunter auf, auch wenn wir keine hundertprozentige Antwort auf eine Forschungsfrage haben – einfach weil wir sonst strategisch zu viel Zeit und Ressourcen verbrauchen würden, die wir dann nicht in andere Forschungsfragen investieren können.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit im regionalen Life-Sciences-Cluster? Wo sehen Sie noch Potenzial?

Aus meiner Erfahrung ist es wichtig, Fragestellungen zu identifizieren, die von hohem Interesse und Nutzen für alle Beteiligten sind. Dann ergibt sich die Zusammenarbeit automatisch. Beispiele dafür sind das Institut für molekulare und klinische Ophthalmologie Basel oder das FMI. Die geplante Öffnung des Novartis-Campus wird der Vernetzung sicherlich auch einen zusätzlichen Schub geben. Ich persönlich glaube nicht, dass die Geografie alleine wichtig ist. Unsere Forschungsabteilung arbeitet zusammen, mit wem es fachlich am besten passt. Aus unserer Perspektive laufen Kollaborationen mit der akademischen Forschung sehr gut. Das mag auch daran liegen, dass wir ein Bereich sind, in dem noch ziemlich viel unerforscht ist und der nicht so gross ist. So sind die Barrieren zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung relativ gering. In grösseren Forschungsbereichen kann es schwieriger sein, Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Wie wird sich der Wettbewerb in der Forschung weiterentwickeln? Und was bedeutet das für die Universität?

Wenn ich mir die europäische Forschungslandschaft anschaue, habe ich den Eindruck, dass die US-amerikanischen Universitäten vielleicht bisher etwas geschickter an der Schnittstelle zur angewandten Forschung waren und auch die Zusammenarbeit in Netzwerken bereits früher stärker ausgeprägt war. Durch die Fördermittel des Europäischen Forschungsrats ist man hier mittlerweile deutlich besser aufgestellt. Ich denke, dass die Fähigkeit zur Vernetzung ein zentraler Faktor im Wettbewerb bleiben wird. Ich hoffe auch, dass sich die Forschung zukünftig wieder etwas anders kalibriert: mehr Gewicht auf solide und reproduzierbare Ergebnisse und weniger darauf, möglichst viel in High-impact Fachjournalen zu publizieren. Sicherlich wäre es der Forschung auch dienlich, wenn es bei der Vergabe von Mitteln eine höhere Risikobereitschaft gäbe.

Können Sie das ausführen?

Zum Beispiel haben wir bei der Novartis-Forschungsstiftung ein kleines Programm für Innovation, das Forschungsmittel für einen begrenzten Zeitraum vergibt. Die Anträge werden der Expertenkommission anonymisiert vorgelegt, um zu gewährleisten, dass sich die Evaluation vor allem am Kriterium der Originalität orientiert und weniger daran, wer schon wie viel publiziert hat. Das bringt ein höheres Risiko mit sich, aber ich bin überzeugt, dass solche Doppelblindverfahren dazu beitragen können, den Wettbewerb etwas neu auszurichten. Die «Fast Track Calls» im Zug der Coronakrise waren zwar nicht anonymisiert, und doch war auch da eine Dynamik in der Mittelvergabe zu spüren, die in der akademischen Forschung mehr zur Selbstverständlichkeit werden sollte, ebenso wie die Vernetzung.

 

Dr. Michaela Kneissel

Michaela Kneissel, geboren 1966, studierte Biologie an der Universität Wien, an der sie 1993 promoviert wurde. Forschungsaufenthalte und ein Postdoctoral Fellowship führten sie zunächst an das University College London und dann an die University of Utah. Seit 1996 ist sie für Novartis in Positionen mit zunehmender Verantwortung tätig. Zurzeit ist sie Global Head der Musculoskeletal Disease Area (MSD) an den Novartis Institutes for Biomedical Research. Die Aufgabe der MSD besteht darin, muskuloskeletale Erkrankungen zu erforschen und zu bekämpfen, um die Beweglichkeit von Patienten wiederherzustellen. Michaela Kneissel ist Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen und industriellen Beiräten. Darüber hinaus ist sie Sekretärin der Novartis-Forschungsstiftung und Präsidentin des Stiftungsrates des FMI.

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