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«Die Situation für HIV-Infizierte hat sich zum Positiven gewandelt»

Co-Vorsitzender der AIDS-Konferenz in Basel: Prof. Dr. Manuel Battegay. (Foto: Universität Basel, Andreas Zimmermann)
Co-Vorsitzender der AIDS-Konferenz in Basel: Prof. Dr. Manuel Battegay. (Foto: Universität Basel, Andreas Zimmermann)

Am Mittwoch beginnt in Basel die 17. europäische AIDS-Konferenz. Manuel Battegay, Professor für Innere Medizin und Infektionskrankheiten an der Universität Basel und Co-Präsident der Konferenz, erklärt, wie sich eine HIV-Infektion heutzutage behandeln lässt und was das für die Betroffenen bedeutet.

04. November 2019

Co-Vorsitzender der AIDS-Konferenz in Basel: Prof. Dr. Manuel Battegay. (Foto: Universität Basel, Andreas Zimmermann)
Co-Vorsitzender der AIDS-Konferenz in Basel: Prof. Dr. Manuel Battegay. (Foto: Universität Basel, Andreas Zimmermann)

HIV/AIDS hat sich in den letzten Jahrzehnten von einer tödlichen Krankheit zu einem chronischen Leiden gewandelt. Was heisst das genau, Herr Battegay?

Wenn eine HIV-Infektion früh genug diagnostiziert wird, kann man diese Krankheit mit extrem potenten Medikamenten sehr gut behandeln. Bei Patienten, die die Medikamente zuverlässig einnehmen, ist die Ansprechrate so gut wie 100% und damit extrem hoch. Dies ist wohl der grösste medizinisch-therapeutische Fortschritt bei einer Krankheit, die vorher mit ganz wenigen Ausnahmen immer tödlich verlaufen ist. Wir gehen auch von einer normalen Lebenserwartung aus, aber das können wir noch nicht genau sagen, weil die hochwirksamen Therapien erst vor 25 Jahren eingeführt wurden. Doch die Sterberaten von HIV-Infizierten unterscheiden sich nicht von der gesunden Bevölkerung, wenn keine besonderen belastenden Umstände wie etwa eine chronische Hepatitis C oder eine aktive Drogensucht bestehen. Der Fortschritt zeigt sich auch in dem Umstand, dass es in der Schweiz Frauen gibt, die als Neugeborene infiziert wurden, und nicht nur überlebt haben, sondern jetzt selbst Mütter von gesunden Kindern geworden sind. Das sind sehr gute Nachrichten.

Die Menschen sind aber trotzdem nicht gesund?

Wir müssen die Patienten immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es keine Heilung ist. Es braucht eine tägliche Einnahme der Medikamente, meistens eine Kombination von drei Substanzen, die an verschiedenen Schaltstellen des Virus ansetzen. Wenn man die Medikamente stoppt, vermehrt sich das Virus wieder innert Tagen oder Wochen. Ich vergleiche das mit einem Ball, den man mit einem gewissen Aufwand mit den Händen unter Wasser hält. Sobald man die Hände wegnimmt, kommt der Ball wieder an die Oberfläche.

Können Patientinnen und Patienten, die in Behandlung sind, andere Menschen anstecken?

Nein, wenn jemand keine Virusvermehrung zeigt, ist keine Ansteckung möglich. Das haben sehr grosse Studien gezeigt, bei denen es bei über 100'000 Fällen von Geschlechtsverkehr zu keiner Übertragung kam. Darüber hinaus wurde unter diesen Voraussetzungen noch nie eine Übertragung dokumentiert. Aber deswegen jetzt wieder auf den Schutz durch Kondome zu verzichten, wäre ein Fehler, denn es gibt auch andere sexuell übertragbare Krankheiten, die nicht harmlos sind. So ist beispielsweise die Gonorrhöe weltweit ein Problem, weil die Erreger immer resistenter werden. Auch die Rate von Syphilis steigt in vielen Ländern wieder an, wie unsere eigenen Studien zeigen.

Hat sich die Lebensqualität von HIV-Infizierten in der Schweiz durch die neuen Therapien verbessert?

Es ist klar, dass sich die Situation aufgrund der besseren Prognose zum Positiven gewandelt hat. Doch eine HIV-Infektion ist für viele trotzdem belastend, wie uns Patienten berichten, auch weil es immer noch eine Stigmatisierung gibt. Wir wissen beispielsweise durch die Schweizerische HIV-Kohortenstudie, dass HIV-infizierte Menschen häufiger an Depressionen leiden. Allerdings ist die Situation nicht mehr so dramatisch wie vor 30 Jahren, als wir Depressionsraten von bis zu 30% verzeichnet haben. Andererseits es gibt es auch Menschen mit HIV, welche sagen, es sei gar keine Belastung. Das hängt sehr vom sozialen Umfeld und der persönlichen Situation ab.

Sie haben gerade die Schweizerische HIV-Kohortenstudie erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Das ist eine prospektive Langzeitstudie, die schon 1988 durch das Bundesamt für Gesundheit visionär initiiert und in den letzten zwanzig Jahren durch den Schweizerischen Nationalfonds finanziert wurde. Dafür haben sich damals alle Universitätsspitäler und grosse Kantonsspitäler zusammengetan. Heute umfasst die Studie die Daten von mehr als 20'000 HIV-Infizierten in der Schweiz. Dadurch können wir bei wissenschaftlichen Studien und medizinischen Fragestellungen sehr weit in die Tiefe gehen und auch Prozesse der Krankheitsentstehung untersuchen. Die Studienteilnehmenden werden auch umfassend betreut.

Die Situation hat sich also für HIV-Infizierte in der Schweiz und Westeuropa stark verbessert. Wie sieht es in anderen Regionen der Welt aus?

Weltweit sind immer noch etwa 37 Millionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert und jedes Jahr sterben etwa 750'000 Menschen an AIDS. In Subsahara-Afrika geht die Infektionsrate jedoch zurück. Dort läuft zurzeit eines der weltweit grössten Medizinprojekte. Während im Jahr 2000 in Afrika nur 20'000 bis 50'000 privilegierte Menschen mit Medikamenten behandelt wurden, sind es jetzt schon an die 20 Millionen. Dramatisch ist die Situation aber im Moment in Osteuropa und Zentralasien. In Russland etwa steigt die Zahl der Neuinfektionen stark an und es sterben jährlich über 30'000 Menschen, weil sie keinen Zugang zur Betreuung und damit Therapie haben. Und je länger man mit den Medikamenten wartet, desto länger können HIV-Infizierte das Virus auf andere übertragen. So rennt man der Epidemie immer hinten nach. Das Problem in Osteuropa ist sehr vielschichtig, sowohl gesellschaftlich wegen der Stigmatisierung als auch politisch.

Was sind – neben der Lage in Osteuropa – die aktuellsten Themen im Bereich HIV/AIDS, über die sich Kliniker und Forschende auch am Kongress austauschen wollen?

Eine wichtige Frage ist im Moment, ob man von einer Therapie mit drei Substanzen auf zwei zurückgehen kann, weil die Medikamente so viel potenter geworden sind. Es sind auch neue langwirkende Medikamente da, die nur alle vier bis acht Wochen intramuskulär gespritzt werden müssen. Viel Forschung gibt es auch dazu, wie die klinischen Betreuungsabläufe an allen Punkten verbessert werden können. Auch Heilung ist immer noch – oder besser gesagt wieder – ein Thema. Es gibt einzelne HIV-Patienten, die mit einer eigentlich gegen Blutkrebs verordneten Stammzelltherapie geheilt wurden. Daraus könnte sich vielleicht eine Gentherapie ableiten. Im Moment findet wieder eine sehr intensive und spannende Grundlagenforschung statt – aber bis zu einer Heilung, ist es, abgesehen von einzelnen Patienten, noch lange hin.

Vom 6.–9. November 2019 findet in Basel die 17. europäische AIDS-Konferenz statt, eine der weltweit grössten Veranstaltungen zu diesem Thema: An die 3000 Kliniker, Klinikerinnen und Forschende aus über 105 Ländern reisen an, um sich über aktuelle Erkenntnisse zur Therapie, Prävention und Erforschung von HIV/AIDS auszutauschen.

Im Fokus der Konferenz steht die Lage in Osteuropa, wo die Zahl der Neuinfektionen in den letzten Jahren dramatisch angestiegen ist. Erstmals sollen dabei von offizieller Seite Zahlen aus Russland präsentiert werden. Die beiden Co-Präsidenten des Kongresses, Prof. Manuel Battegay und sein Bonner Kollege Prof. Jürgen Rockstroh, erhoffen sich von der Konferenz und den im Umfeld stattfindenden Treffen konkrete Impulse für eine Zusammenarbeit mit osteuropäischen Kollegen.

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