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Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit (01/2015)

Wann ist der Mensch tot, Andreas Brenner?

Andreas Brenner
Andreas Brenner ist Titularprofessor für Philosophie an der Universität Basel. Unter anderem erschienen von ihm: «Leben» (2009) und «Bioethik und Biophänomen. Den Leib zur Sprache bringen» (2006). © Illustration: Studio Nippoldt

Die moderne Transplantationsmedizin, die im Dezember 1967 mit der spektakulären Herztransplantation durch Christiaan Barnard in Kapstadt begann, sah sich von Anfang an mit Fragen konfrontiert, die letztlich auch die Legitimation dieses Bereichs der Medizin infrage stellten. Das war bereits kurz nach Kapstadt der Fall, als in Harvard gleichfalls die Transplantation eines Herzens angegangen werden sollte. Darf man, so lautete die nachdenkliche Frage der amerikanischen Mediziner, einem Lebenden das Herzen entnehmen? Natürlich nicht, und so ersann sich die Ethikkommission der Universität in Cambridge ein neues Todeskriterium, das des Hirntodes. Dieses Kriterium hatte aus Sicht der Transplantationsmedizin den offensichtlichen Vorteil, dass der Mensch, dessen Organ man zum Zwecke der Transplantation verwenden wollte, bereits als tot galt, obwohl seine Organe noch frisch und lebendig waren. Und gerade diese Vorverlegung des Todeszeitpunkts ist bis heute immer wieder Gegenstand von Debatten.

Kritiker sehen darin nämlich eine Verkürzung des Menschen auf sein Gehirn und bestreiten, dass der Mensch mit der Leistungsfähigkeit seines Gehirns angemessen verstanden werden kann. Solche Bedenken stehen bereits ganz am Beginn der modernen Transplantationsmedizin. So hat bereits Hans Jonas ein Jahr nach Harvard einige Ungereimtheiten an der Neudefinition des Todes bemängelt. So kann auch der nachmalig weltberühmte Autor des «Prinzip Verantwortung» in seinem fast schon trotzig betitelten Aufsatz «Against the Stream» es sich nicht verkneifen, einen Zusammenhang zwischen der neuen Todesdefinition und Wünschen nach der ohne diese neue Todesdefinition illegitimen Operation festzustellen.

Steht hier ein Wunsch der tieferen Einsicht im Wege? Denn, und das ist Jonas’ weiterer Einwand, wenn der Leib des Menschen nichts zählt und sein Gehirn alles und nach dessen vermeintlich irreversiblem Ausfall der Tod des Menschen behauptet wird, dann wird die Existenz von nicht zerebralen Wahrnehmungen und Leistungen geleugnet. Damit gerät die Medizin aber immer häufiger in Erklärungsnot. Wie will man dann beispielsweise eine bis zur erfolgreichen Entbindung geführte Schwangerschaft einer «Toten», nämlich Hirntoten, begreifen? Warum werden zur Transplantation vorgesehene Menschen weiterhin als «Patienten» bezeichnet und nicht schlicht als Leichname? Um solchen Ungereimtheiten zu entgehen, bezeichnet man das Hirntod-Kriterium am besten als das, was es ist, als eine Definition und nicht als das, was zu sein es vorgibt, nämlich eine dem Phänomen des Lebendigen angemessene Beschreibung.

Und so hat auch der Neurophysiologe Detlef B. Linke bereits früh festgestellt: «Niemand braucht zu befürchten, bei einer Hirntoddiagnose nicht wirklich hirntot zu sein. Ob er beim Hirntod aber auch tot ist, das ist eine andere Frage.» Und diese andere Frage lässt sich eben nicht mit einem definitiven Strich unter die Debatte, die seit einem halben Jahrhundert nicht zur Ruhe kommt, lösen. Sowohl medizinische wie auch philosophische Forschung, letztere vor allem aus dem Bereich der Leibphänomenologie, machen deutlich, dass wir Leben und Tod besser verstehen können, wenn wir das Gehirn nicht als das Zentralorgan des Menschen betrachten. Stattdessen kommen wir weiter, wenn wir, wie es etwa Thomas Fuchs, der Inhaber der Heidelberger Karl-Jaspers-Professur, tut, das Gehirn als Beziehungsorgan verstehen. Dieses Verständnis verortet dieses Organ dann in das durch die Leiblichkeit des Menschen gebildete Konzert. Dieses wird empfindlich und wahrscheinlich irreversibel gestört, wenn ein wichtiges Organ ausfällt, es bricht deswegen aber nicht notwendigerweise ab.

Und so ist dann auch die Schwangerschaft einer Hirntoten kein medizinisches Wunder, und auch die von Angehörigen und Mitarbeitern aus dem medizinisch-therapeutischen Bereich immer wieder als verstörend beschriebenen Beobachtungen über das vermeintlich lebendige Aussehen der als tot Erklärten lässt sich nun aufklären.

All diesen Bedenken wird mittlerweile auch von namhaften Befürwortern der Transplantationsmedizin Rechnung getragen. Der US-amerikanische Medizinethiker Robert Truog bezweifelt mittlerweile ebenfalls, dass der Hirntote tot ist. Ein Argument gegen die Organtransplantation ist dies seiner Meinung nach nicht, er redet daher vom «justified killing».

Will man eine solche moralische und intellektuelle Verrenkung vermeiden, gibt es nur eines: Die Transplantation singulärer lebenswichtiger Organe muss eingestellt werden.

Debatte: Wann ist der Mensch tot, Stephan Marsch?

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