Inszenierung gehört zum Spiel.
Text: Harun Maye
Medien spielen eine wichtige Rolle in jedem Wahlkampf und verzerren dabei die Realität. Medienwissenschaftler Harun Maye sieht darin kein Übel.
Demokratische Gesellschaften sind auf Medien angewiesen. Das betrifft alle Medien von den klassischen Massenmedien (Bücher, Zeitungen, Radio, Fernsehen) bis zu den digitalen Medientechnologien der Gegenwart. Sie alle sollen sowohl das Bewusstsein der Öffentlichkeit für politische Themen und Probleme schärfen als auch die Absichten politischer Akteure hinterfragen und offenlegen.
Diese Funktion wird heute jedoch zunehmend erschwert durch ein wachsendes Misstrauen, sowohl in die klassischen Massenmedien als auch in die sozialen Medien. Ihnen wird unterstellt, die öffentliche Meinung zugunsten latenter Interessen zu manipulieren. Es gibt also zwei Perspektiven: Einerseits die Auffassung, dass in einem politischen System Geheimnisse und verborgene Strukturen existieren, die nur durch eine kritische Medienberichterstattung Sichtbar gemacht werden können. Andererseits der Verdacht, dass Medien die Wirklichkeit verzerren, um die Bevölkerung zu manipulieren.
Eine politische und medienhistorische Zäsur.
Die Gemeinsamkeit dieser beiden sehr unterschiedlichen Perspektiven besteht in der Annahme, dass Medien eine grosse Macht über Politik haben. Belege dafür finden sich in der Geschichte US-amerikanischer Präsidentschaftswahlen.
Der Kanadier Marshall McLuhan, der in den 1960er-Jahren den Grundstein der Medientheorie legte, verweist in seinem Werk immer wieder auf die US-Präsidentschaftswahl von 1960, die sich nicht nur politisch, sondern auch medienhistorisch als Zäsur erwies. Nach den Nominierungsparteitagen hatte der republikanische Kandidat Richard Nixon laut Umfragen mit sechs Prozentpunkten vor dem demokratischen Kandidaten John F. Kennedy gelegen.
Ein noch junges Medium sollte diese Verhältnisse ändern: Das Fernsehen konnte sich Anfang der 1950er-Jahre in den USA so schnell etablieren, dass 1960 bereits 90 Prozent der amerikanischen Haushalte einen Fernseher besassen. Fast alle diese Haushalte verfolgten am 26. September 1960 die Liveübertragung des ersten Fernsehduells zwischen Nixon und Kennedy, drei weitere Fernsehduelle folgten bis zur Wahl am 8. November 1960.
Kennedy war der erste echte TV-Politiker, der das neue Medium zu nutzen wusste. Laut McLuhan war das Image von Kennedy das eines schüchternen jungen Sheriffs, Nixon hingegen sei im Fernsehen wie der Rechtsanwalt einer Eisenbahngesellschaft aufgetreten, der Verträge aushandelt, die nicht im Interesse der kleinen Leute sind.
Diese Wirkung vor der Kamera beruhte auf mehreren Faktoren: Nixon lehnte es vor der ersten Debatte ab, sich schminken zu lassen, sein Gesicht wirkte faltig und müde, Bartstoppeln und glänzender Schweiss waren auf dem Bildschirm deutlich zu erkennen. Sein hellgrauer Anzug verschwamm mit dem Hintergrund des Fernsehsets.
Kennedy dagegen trug einen kontrastreichen dunkelblauen Anzug, das Make-up liess sein Gesicht dynamisch und cool aussehen. Ohne die Fernsehduelle hätte vermutlich Nixon das Rennen gemacht, denn bei den Kennedy-Nixon-Debatten hatten jene, die sie am Radio hörten, den Eindruck einer klaren Überlegenheit Nixons.
Es war Nixons Verhängnis, dass Kennedy im Fernsehen nicht mehr wie ein Politiker aussah, sondern wie ein gewöhnlicher, gutaussehender Mann, dem man vertrauen konnte. McLuhan hatte richtig erkannt, dass in der politischen Kommunikation das Medium entscheidender für die Wirkung einer Botschaft ist als deren tatsächlicher Inhalt.
Wahlsieg vor Wahrheit.
Rund 50 Jahre später konnte Barack Obama Kennedys Coup wiederholen. Schon 2008 gewann der zuvor relativ unbekannte Senator die Präsidentschaftswahl unter anderem durch geschickte Nutzung der sozialen Medien und gilt seither als erster Social-Media-Präsident der Geschichte. Am Ende seiner ersten Amtsperiode lag er jedoch laut Umfragen hinter dem republikanischen Kandidaten Mitt Romney zurück.
Das Blatt wendete sich ein weiteres Mal, weil sein Wahlkampf-Team dank selbstentwickelter Software erstmals das sogenannte Micro-Targeting einsetzen konnte. Dabei werden Daten, die man durch Telefonanrufe und Hausbesuche erheben konnte, mit Informationen aus Social-Media-Kampagnen, aus öffentlichen Datenbanken und Statistiken kombiniert und in eine sehr grosse Datenbank eingespeist. Auf dieser Grundlage lässt sich ein Support-Index für jeden einzelnen registrierten Wählenden erstellen und noch unentschlossene Wechselwählende lassen sich gezielt mit politischen Botschaften adressieren.
Kaum überraschend, hat auch dieser mediale Wandel in der Beziehung zwischen Politik und Medien eine Schattenseite, denn Micro-Targeting kann selbstverständlich auch genutzt werden, um gezielt Desinformationen über politische Kandidaten und Ereignisse zu verbreiten. Genau das geschah wenige Jahre später und gilt als eine der entscheidenden Ursachen für den überraschenden Wahlsieg von Donald Trump 2016. Wie sich die US-Wahlen 2024 im Angesicht neuer Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz gestalten werden, bleibt abzuwarten.
Widersprüche gilt es auszuhalten.
Die enge Kopplung zwischen Politik und Medien kann man unterschiedlich bewerten. Medien können einer politisch desinteressierten Öffentlichkeit entgegenwirken, indem sie populäre Bilder, Geschichten und Personen aufgreifen, die politische Probleme allgemeinverständlich veranschaulichen. Damit können sie auch Leute erreichen, die sich aus dem politischen Diskurs eigentlich verabschiedet haben, jedoch zum Beispiel auf sozialen Medien aktiv sind oder fernsehen.
Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass in inszenierten Bildern und Reden der Eindruck eines politischen Handelns entsteht, das auf der Ebene der Realpolitik nicht eingelöst wird, sondern in der Symbolpolitik steckenbleibt. Charismatische Spitzenpolitiker erhalten durch die Medien zudem einen grossen Einfluss und sind dadurch nur noch lose an die Beschlüsse und Richtlinien ihrer Parteien gebunden. Man kann das begrüssen oder bedauern, ändern kann man es nicht.
Medienkommunikation ist immer inszeniert, auch jene, die sich als adäquater begreift als andere Formen der Vermittlung. Es gilt daher mit den Widersprüchen in der Vermittlung von Politik leben zu lernen, sie nicht als toxisch oder tragisch zu begreifen, sondern mit der Realität der Medien reflexiv und intelligent umzugehen. Kommunikative Verzerrungen gleichzeitig zu analysieren und auszuhalten, gehört zum Kernbestand des demokratischen Diskurses über den Zusammenhang von Medien und Politik.
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