x
Loading
+ -
Alles Lüge! (01/2024)

Familienglück 40 plus.

Text: Noëmi Kern

Späte Elternschaft birgt medizinische Risiken und soziale Herausforderungen. Welche Überlegungen machen sich Betroffene, ihr Umfeld und Fachleute aus dem Gesundheitswesen?

Schwangere über 40 betrachtet mit ihrem Partner ein Ultraschallbild ihres Babys
Elternschaft jenseits der 40 ist längst keine Seltenheit mehr. Für die Paare stellen sich neben medizinischen auch soziale Fragen. (Foto: AdobeStock)

Menschen in der Schweiz bekommen immer später im Leben Kinder. 1971 lag das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt des Kindes in der Schweiz bei 27,7 Jahren, Angaben zum Alter des Vaters fehlen. Im Jahr 2022 waren die Mütter bei der Geburt im Schnitt 32,3 und Väter 35,2 Jahre alt. Auch Frauen, die mit über 40 Mutter werden, sind längst keine Seltenheit mehr.

Gründe, die Familienplanung aufzuschieben, gibt es viele: im Berufsleben Fuss fassen, vielleicht Karriere machen, die Welt bereisen, sich noch nicht bereit fühlen für die grosse Verantwortung oder den oder die Richtige noch nicht getroffen haben.

Erst später Kinder zu bekommen, hat Vorteile: Man ist persönlich gefestigter, hat mehr Lebenserfahrung und viele sind finanziell besser aufgestellt. Doch mit zunehmendem Alter nimmt die Fruchtbarkeit ab und das Risiko für Komplikationen während der Schwangerschaft steigt bei Mutter und Kind. Die Fortpflanzungsmedizin kann Paare, bei denen es auf natürlichem Wege nicht klappt, bei der Familiengründung unterstützen, und Hebammen, Ärztinnen und Pfleger haben Erfahrung bei der Betreuung älterer Gebärender. Darüber hinaus gibt es soziale Aspekte von später Elternschaft. Neben rechtlichen Rahmenbedingungen der Reproduktionsmedizin und medizinischen Abwägungen stellt sich auch die Frage nach der gesellschaftlichen Norm. Ist eine eher späte Elternschaft zu verantworten?

Die Frage nach der Verantwortung.

Hier setzt ein Forschungsprojekt am Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel (IBMB) in Zusammenarbeit mit dem Bioethik-Institut der Universität Gent (Belgien) an. Nathalie Neeser, Doktorandin am IBMB, befragte Paare, die mittels Fortpflanzungsmedizin ihren Kinderwunsch erfüllen wollten oder bereits erfüllen konnten. Mindestens ein Elternteil war über 40 Jahre alt. Auch Kinder älterer Eltern sowie Gesundheitsfachpersonen kamen zu Wort. «Die Antworten sollen aufzeigen, wie eine Elternschaft jenseits der 40 in der Gesellschaft wahrgenommen wird. In den kommenden Jahren wird es solche Fälle wohl immer häufiger geben», sagt Neeser.

Bei der Abwägung von Risiken einer späten Elternschaft steht vor allem die Frau im Fokus. Aus medizinsicher Sicht ist das sinnvoll. Doch ethische und soziale Aspekte betreffen Männer genauso. «Die meisten befragten Paare waren sehr reflektiert und machten sich viele Gedanken dazu, was eine Elternschaft in ihrem Alter bedeuten könnte», sagt Neeser. Ob sie der Verantwortung, für ein Kind zu sorgen, überhaupt noch gerecht werden, und ob sie es bis ins Erwachsenenalter angebracht unterstützen können, beschäftigte viele. Sie stellten sich Fragen wie: Werden wir bestimmte Lebensabschnitte überhaupt noch miterleben können?

«Ein höheres Alter bei der Geburt des Kindes beschäftigte die Befragten zwar, viele von ihnen glaubten aber nicht, dass sie selbst schon zu alt dafür seien», erläutert Neeser. Argumentationen folgten dem Muster «ja, aber», zum Beispiel beim Blick in die Zukunft. So sagte ein interviewter Vater: «Es kann schon sein, dass man mit 70 nicht mehr so fit ist, aber ich treibe ja viel Sport und achte auch sonst auf meine Gesundheit.»

Die Frage, ob sie unangenehme Reaktionen aus dem sozialen Umfeld erfahren haben, verneinten denn auch die meisten. Die Aussage einiger befragter Frauen machte indes deutlich, dass in der Gesellschaft die Kinderfrage irgendwann als erledigt gelte. So berichteten mehrere Interviewpartnerinnen, dass Personen im Arbeitsumfeld und im Freundeskreis sich überrascht zeigten über die Schwangerschaft in ihrem Alter, da sie davon ausgingen, dass gar kein Kinderwunsch existiere. Eine Befragte glaubte sogar, dass sie nicht befördert worden wäre, wenn die Vorgesetzten gewusst hätten, dass die Familienplanung nicht abgeschlossen war.

Die doppelte Sandwichgeneration.

Und wie ist es für die Kinder, wenn ihre Eltern bereits älter sind? Die Befragung inzwischen erwachsener Betroffener zeigte: Sie fanden das grundsätzlich nicht schlimm, manche bemerkten allerdings, dass sie im Gegensatz zu Gleichaltrigen keine Grosseltern und schon gar keine Urgrosseltern hatten.

Die Generationenfrage stellt sich bei später Elternschaft ohnehin in mehrerlei Hinsicht. Zum einen können ältere Eltern ihre Kinder möglicherweise nicht in die Obhut der Grosseltern geben und sind umso mehr auf Kita-Plätze angewiesen. Zum anderen sind sie in einer Sandwichposition zwischen der Betreuung der eigenen Kinder und der eigenen Eltern. Ein Spannungsfeld, das sich auch auf die nächste Generation übertragen kann: Kommen die Kinder älterer Eltern ins Alter, in dem eine Familiengründung zum Thema wird, sind die eigenen Eltern vielleicht pflegebedürftig und sie müssen abwägen: Will ich in dieser Situation wirklich eigene Kinder oder warte ich noch? Das bedeutet auch, dass Paare, die spät Kinder bekommen, selber vielleicht nie Enkel haben. «Manchen Interviewten fiel es schwer, von der Vorstellung, Grosseltern zu werden, Abstand zu nehmen», so Neeser.

Technologie ist keine Garantie.

Von den gesellschaftlichen Entwicklungen betroffen sind auch Personen aus dem Gesundheitsbereich: Hebammen, Frauenärztinnen, Reproduktionsmediziner. Sie begleiten die Paare teilweise über Jahre, erleben ihre Hoffnungen und Enttäuschungen mit. «Sie berichteten in den Interviews sowohl von der grossen Freude, wenn es endlich klappt, als auch vom Leid jener Paare, deren Kinderwunsch trotz Fruchtbarkeitstherapie unerfüllt blieb. Und sie betonten, dass die Reproduktionsmedizin keine Garantie für ein Kind ist», sagt Nathalie Neeser. «Einige waren sogar der Meinung, dass die Betroffenen anstelle eines weiteren Behandlungszyklus eher eine Therapie bräuchten, um sich vom Kinderwunsch zu verabschieden.»

Bei allem, was die Befragten äusserten, kommt das Forschungsteam zum Schluss, dass sich unter anderem der Aufklärungsunterricht in der Schule ändern müsste: «Es geht dort zuerst einmal um die Empfängnisverhütung. Dass es auf der anderen Seite aber auch ein begrenztes Zeitfenster für eine Schwangerschaft gibt, kommt nicht zur Sprache.» Viele Paare seien überrascht gewesen, dass eine Schwangerschaft ab 35 als geriatrische Schwangerschaft gilt, obwohl man sozial gesehen in diesem Alter ja noch jung ist.

nach oben