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Hüben und drüben. (02/2023)

Ohne Abgrenzung kein Leben.

Texte: Yvonne Vahlensieck, Grafiken: Marina Bräm

Biologische Membranen waren eine wichtige Voraussetzung für erste Lebewesen. Dann bahnte die Zusammenarbeit über diese Grenzen hinweg den Weg für höhere Organismen.

Ab ca. 4,5 Mrd. Jahren

Illustration freischwimmender organischer Moleküle und Membranbausteine
1: Ursuppe

Ursuppe: Organische Substanzen wie Aminosäuren oder Lipide bilden die Grundlage unseres Lebens. Wie und wo diese entstanden sind, ist umstritten – durch UV-Strahlung, Vulkangase oder Asteroideneinschläge? In einer schleimigen Ursuppe, in Gesteinen oder nahe an warmen Quellen in der Tiefsee?

Vor ca. 4,3 Mrd. Jahren

Illustration von Membranbläschen, die organische Moleküle umschliessen
2: Protozellen

Protozellen: Aufgrund ihrer wasserabweisenden Eigenschaften lagern sich Lipide spontan zusammen und bilden Membrankügelchen. Die darin eingeschlossenen organischen Substanzen reagieren miteinander, die Produkte reichern sich an. Daraus entwickeln sich mit der Zeit lebensnotwendige Prozesse.

Vor ca. 4 Mrd. Jahren

Illustration einzelliger Organismen ohne Zellorganellen
3: Einzeller ohne Organellen/Zellkern (Prokaryoten)

Einzeller ohne Organellen/Zellkern (Prokaryoten): Die Zellen weisen nun die Merkmale des Lebens auf: Sie pflanzen sich durch Teilung fort und geben ihr Erbgut weiter. In die Membran eingelagerte Eiweisse importieren und exportieren kontrolliert Substanzen und nehmen Reize aus der Umwelt auf.

Vor ca. 2 Mrd. Jahren

Illustration einzelliger Organismen mit Zellkern und Zellorganellen
4: Zellen mit Organellen (Eukaryoten)

Zellen mit Organellen (Eukaryoten): Das Innere von Zellen höherer Lebewesen hat eine komplexere Struktur mit membranumschlossenen Organellen wie Zellkern, Endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat und Mitochondrien.

Kooperation trotz Abgrenzung.

Während das Innere von Bakterien einer riesigen Fabrikhalle ähnelt, in der alle biologischen Prozesse stattfinden, sind Zellen von Pilzen, Pflanzen und Tieren in verschiedene Spezialwerkstätten aufgeteilt: In voneinander abgetrennten Räumen – Organellen genannt – laufen unterschiedliche Arbeitsvorgänge ab. Das bringe Vorteile, sagt die Zellbiologin Anne Spang vom Biozentrum der Universität Basel: «Bestimmte Prozesse können dadurch separat voneinander ablaufen und kommen sich gegenseitig nicht in die Quere.»
Ein Blick durchs Mikroskop zeigt, dass trotz der Abgrenzung ein reger Verkehr zwischen den verschiedenen Abteilungen in der Zelle herrscht: Ständig schnüren sich kleine Bläschen von den Membranen ab, wandern durch das Zellinnere und verschmelzen mit einem anderen Kompartiment oder der äusseren Membran. Solche Bläschen schleusen beispielsweise Eiweisse nach ihrer Produktion an ihren Funktionsort.
«Lange Zeit hat sich die Zellbiologie auf diese linearen Transportvorgänge konzentriert», so Spang. «Jetzt stellt sich heraus, dass alles viel dynamischer ist.» So kommt es beispielsweise zwischen Vesikeln und verschiedenen Organellen immer wieder zu ultrakurzen Berührungen, bei denen Eiweisse zwischen den Kompartimenten ausgetauscht werden. Von den Forschenden wird dieser Prozess als «Kiss and Run» bezeichnet.

Vor ca. 800 Mio. Jahren

Illustration mehrerer Gewebeschichten mit unterschiedlichen Zelltypen
5: Mehrzeller

Mehrzeller: Mehrere Zellen formen einen Organismus, für verschiedene Aufgaben bilden sich spezialisierte Zelltypen und Gewebe. Die beteiligten Zellen müssen dafür stabil zusammenhaften. Damit der Organismus als Ganzes funktioniert, braucht es interne Kommunikation, etwa durch Botenstoffe.

Zusammenhalt über Grenzen hinweg.

Eine wichtige Voraussetzung für den Sprung vom Einzeller zum mehrzelligen Lebewesen war, dass Zellen zusammenhaften, um ein zusammenhängendes und stabiles Gewebe zu bilden. Eine zentrale Rolle für die Widerstandskraft von menschlichen Geweben spielen sogenannte Desmosomen, die wie Klettverschlüsse zwischen den Zellen wirken.
«Desmosomen haben sich wahrscheinlich erst sehr spät, beim Übergang des Lebens vom Wasser zum Land, entwickelt», sagt der Anatom Volker Spindler vom Departement Biomedizin der Universität Basel. «Sie verleihen stark beanspruchtem Gewebe wie etwa der Haut eine besonders hohe Stabilität.» Was passiert, wenn diese Stabilität wegfällt, zeigt beispielsweise die Pemphigus-Erkrankung: Die Haut von Betroffenen wirft unzählige Blasen und löst sich ab. Die Immunzellen des Körpers greifen nämlich die Desmosomen an – und benachbarte Hautzellen verlieren die Haftung aneinander.
Mit seiner Arbeitsgruppe erforscht Spindler deshalb die Funktionsweise der Desmosomen, um den Weg für Therapien zu bahnen. Neben Pemphigus untersucht sein Team auch die Mechanismen hinter einer oft tödlich verlaufenden Herzkrankheit, der arrhythmogenen Kardiomyopathie. Auch hier sind defekte Desmosomen der Auslöser, wie Spindlers Team zeigen konnte. «Ohne den Zusammenhalt durch Desmosomen ist der Herzmuskel der starken mechanischen Belastung einfach nicht gewachsen.»

Heute

Illustration künstlicher Membranbläschen
6: Synthetische Vesikel

Synthetische Vesikel: Was die Natur schon seit rund 4 Mrd. Jahren kennt, bauen Forschende heute nach: Künstliche, von Membranen umschlossene Bläschen dienen in der Medizin beispielsweise als schützende Hülle bei mRNA-Impfstoffen.

Frachtcontainer en miniature.

Wirkstoffe gelangen im Körper besser ans Ziel und bleiben stabiler, wenn sie in eine schützende Hülle verpackt sind. Solche Minicontainer entwickeln Forschende heute nach dem Vorbild der Natur: Zellen verwenden Membranbläschen beispielsweise in ihrem Inneren zum Transport.
Cornelia Palivan und ihr Team am Departement Chemie bauen solche Vesikel nach und verleihen ihnen nützliche Eigenschaften: Durch den Einsatz von spezifischen Polymeren konnten sie Membranbläschen so optimieren, dass sie stabiler sind und nicht verklumpen – und somit noch besser als schützende Hülle für Wirkstoffe dienen können. Eine Version der Vesikel ist so beschaffen, dass sie ihre Fracht durch Veränderung des pH-Wertes der Umgebung «auf Kommando» freigeben. Hilfreich ist das beispielsweise für künftige Krebstherapien, da das direkt benachbarte Gewebe eines Tumors einen geringeren pH-Wert aufweist als gesundes Gewebe. Ein weiterer Ansatz besteht darin, mehrere Miniaturcontainer mit unterschiedlichen Enzymen darin quasi als «Mini-Fabrik» miteinander zu koppeln, sodass sich damit natürliche Reaktionskaskaden vereinfacht nachahmen und besser verstehen lassen.
(Text: Angelika Jacobs)


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