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Familien im Wandel. (02/2020)

«Wie sag ich’s der Familie?»

Interview: Angelika Jacobs

Manchmal steckt hinter einer Krebserkrankung eine genetische Veranlagung. Doch Betroffenen fällt es schwer, die Blutsverwandten zu informieren, dass sie ebenfalls Träger desselben Krebsgens sein könnten. Prof. Dr. Maria Katapodi untersucht, wie man die Informationskette an die Verwandten unterstützen könnte.

UNI NOVA: Frau Katapodi, nehmen wir an, ich würde an Krebs erkranken. Muss ich mir Sorgen machen, dass meine direkten Verwandten ebenfalls ein erhöhtes Krebsrisiko haben?

MARIA KATAPODI: Das kommt auf den Typ von Krebs und Ihr Alter bei der Diagnose an. Etwa bei 10 Prozent der Krebsarten gibt es bekannte genetische Risikofaktoren, bei weiteren 20 Prozent vermutet man solche. Bei bestimmten Warnsignalen würden die behandelnden Mediziner Ihnen nahelegen, einen Gentests durchführen zu lassen.

UNI NOVA: Welche Warnsignale sind das?

KATAPODI: Etwa wenn die Erkrankung in relativ jungem Alter auftritt, also vor dem 50. Lebensjahr, sowie wenn der gleiche Typ Krebs Jahre später erneut auftritt oder früher schon Mitglieder eines Familienzweigs daran erkrankt sind. Stellt sich bei Ihrem Gentest heraus, dass Sie ein Krebsgen tragen, sollten Sie Ihre Blutsverwandten darüber informieren, damit diese sich ebenfalls beraten lassen können. Aber nur ein Bruchteil der Verwandten erhält solche Informationen.

UNI NOVA: Wie hoch ist diese «Dunkelziffer»?

KATAPODI: Genaue Zahlen gibt es dazu noch nicht, daran forschen wir. Aber es gibt Schätzungen aufgrund früherer Studien. Bei genetischem Risiko für Brust- und Eierstockkrebs erhalten nur rund 30 Prozent diese Information. Beim Lynch-Syndrom, das mit einem hohen Risiko für Dickdarmkrebs einhergeht, sind es sogar nur 15 Prozent.

UNI NOVA: Wie kommt es zu diesen tiefen Anteilen?

KATAPODI: Dahinter stecken mehrere Gründe, einer davon ist mangelnde Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern. Mit manchen Verwandten steht man womöglich schon lange nicht mehr in Kontakt oder kennt sie kaum. Die schlechte Vernetzung von Gesundheitseinrichtungen ist ein weiterer Faktor. Wir sind mit einer Studie namens «Cascade» daran, die genauen Gründe herauszufinden und Möglichkeiten zu entwickeln, die Verwandten besser zu erreichen und aufzuklären.

UNI NOVA: Gibt es schon erste Ergebnisse?

KATAPODI: Ja, zum Beispiel die Erkenntnis, dass es die meisten Patientinnen und Patienten als ihre eigene Verantwortung betrachten, ihre Familie zu informieren. Sie wollen das nicht an ihre Ärztin oder ihren Arzt delegieren. Aber die Frage «Wie sag ich’s der Familie?» ist für viele schwierig.

UNI NOVA: Wie lässt sich diese Hürde überwinden?

KATAPODI: Eine Möglichkeit ist, diese Information durch einen Stellvertreter innerhalb der Familie kommunizieren zu lassen. Oft übernimmt die Mutter diese Rolle. Über sie und weitere weibliche Verwandte kann dann eine Informations-«Kaskade» entstehen.

UNI NOVA: Aber wenn sich keine solche Stellvertreterin findet?

KATAPODI: Laut unseren Befragungen empfindet eine Mehrheit eine vertrauenswürdige, webbasierte Plattform als gute Option, um die Kommunikation mit der Verwandtschaft zu erleichtern. Eine solche entwickeln wir daher im Rahmen einer zweiten Studie namens «Dialogue». Damit stehen wir noch am Anfang, aber wir befragen derzeit Mitglieder von Familien mit genetischer Krebsveranlagung, um herauszufinden, wie wir Ihnen personalisierte Informationen zur Verfügung stellen können.

UNI NOVA: Womöglich wollen die Verwandten aber gar nicht wissen, dass sie ein Risikogen tragen.

KATAPODI: Ob sie sich testen lassen, ist natürlich ihre Entscheidung. Viele haben Angst vor den möglichen Konsequenzen eines Befunds. Zum Beispiel fürchten sie, man würde sie zu einer präventiven Operation drängen. Sie erinnern sich bestimmt an Angelina Jolie, die sich wegen ihres genetisch stark erhöhten Risikos für Brust- und Eierstockkrebs für diesen Schritt entschieden hat.

UNI NOVA: Die Angst vor einem solch radikalen Eingriff ist verständlich.

KATAPODI: Aber ein Gang zur genetischen Beratung bedeutet nicht, dass im nächsten Schritt die OP folgt. Einer 25-Jährigen mit erblichem Eierstockkrebsrisiko würde man nicht dazu raten, sich die Eierstöcke entfernen zu lassen und damit vorzeitig die Menopause auszulösen. In diesem Fall sind regelmässige Untersuchungen die bessere Option. Mit einer 45-Jährigen kann man über eine präventive OP zumindest diskutieren. Ich kann nur dazu raten, sich von einer vertrauenswürdigen Quelle fundiert beraten zu lassen, beispielsweise einer spezialisierten Beratungsstelle für genetisch bedingte Erkrankungen und Veranlagungen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.


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