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Familien im Wandel. (02/2020)

Liebesdienste bis zum Schluss.

Text: Angelika Jacobs

Bei chronischen und degenerativen Krankheiten sind es meist Partnerinnen oder Töchter, welche die intensive Pflege der Betroffenen übernehmen. Medizinethiker Christopher Poppe hat eine Gruppe von pflegenden Angehörigen befragt, um mehr über ihre Situation und Bedürfnisse zu erfahren.

(Foto: Thanasis Zovoilis/Getty Images)
(Foto: Thanasis Zovoilis/Getty Images)

Wer die Pflege von Familienangehörigen übernimmt, kann an seine Grenzen kommen. Ein Extremfall ist die Palliativpflege, wenn ein Familienmitglied an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt. Rund 100 bis 150 Personen pro Jahr erhalten in der Schweiz die Diagnose für diese schwere Erkrankung des Nervensystems, die nach und nach zu einer vollständigen Lähmung des Körpers führt. Vor einigen Jahren machte im Internet der Ice Bucket Challenge international auf diese Erkrankung aufmerksam: Prominente und Privatpersonen gossen sich kübelweise eiskaltes Wasser über den Kopf und spendeten für die Forschung an Medikamenten.

Die bisher zugelassenen Wirkstoffe gegen ALS können das Fortschreiten der Krankheit jedoch nur verlangsamen und das Leben um wenige Monate verlängern. Ein Heilmittel ist noch nicht gefunden. «Nach der Diagnose geht es derzeit einzig um die Frage, wie man die Lebensqualität der Erkrankten möglichst lange erhalten kann», erklärt Doktorand Christopher Poppe. Dabei stehen zum Beispiel auch ethische Fragen rund um künstliche Ernährung und Beatmung im Raum.

Der Psychologe, der unter der Leitung von PD Dr. Tenzin Wangmo am Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel seine Doktorarbeit über die Palliativpflege von ALS-Betroffenen schreibt, richtet den Fokus seiner Forschung auf jene, die den Löwenanteil dieser Pflege leisten: auf die mehrheitlich weiblichen Angehörigen in der Familie. «Die bestehenden Unterstützungsangebote richten sich – berechtigterweise – an die Betroffenen. Die Angehörigen gehen etwas unter.»

Immer einen Schritt hinterher

Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass ALS in der Regel recht schnell voranschreitet. «Viele pflegende Angehörige erzählen, dass sie der Krankheit immer einen Schritt hinterherhinken», so Poppe. «Wenn der bestellte Rollator kommt, braucht es vielleicht schon einen Rollstuhl. Oder der Umbau des Hauses kommt nicht hinterher.»

Die detaillierte Auswertung aus den Interviews, die er mit je rund einem Dutzend derzeit Pflegenden, ehemaligen Pflegenden und Pflegefachkräften aus der Deutschschweiz geführt hat, steht zwar noch aus. Tief beeindruckt hätten ihn jedoch die Liebesdienste, welche die pflegenden Angehörigen – meist Ehepartnerinnen oder Töchter – für die Betroffenen leisten. «Das ist eine unfassbar intensive Zeit mit einer sehr engen Pflegebeziehung.»

Pragmatismus statt Traurigkeit

Überraschend fand Poppe, dass die Angehörigen bis zum Tod des betroffenen Familienmitglieds psychologische Betreuung für sich selbst als sekundär betrachten und kaum in Anspruch nehmen. «Vermutlich bleibt ihnen auch gar nicht die Zeit, sich über ihre eigene Belastung und ihr Empfinden gross Gedanken zu machen», sagt der Forscher. Dafür würde sprechen, dass bei vielen nach dem Tod des Familienmitglieds eine besonders starke Trauerreaktion folgt. Erst dann ist Zeit, sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden, und die zuvor beiseitegeschobene Traurigkeit bricht sich Bahn.

Während die Pflege noch andauert, stehen vielmehr praktische Fragen im Mittelpunkt, wie die Organisation von technischen Hilfsmitteln oder auch, wie genau man das Schmerzmittel verabreichen muss. Begrüssenswert empfanden die Befragten daher vor allem auch den Aufbau von mobilen Palliativpflege-Teams, die Angehörige zu Hause in der Pflege unterstützen und gerade in der letzten Phase der Erkrankung wertvolle Anleitungen geben können.


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