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Älter werden (02/2018)

Der Schleier, eine Straftat?

Text: Tobias Ehrenbold

Die Schweiz stimmt bald darüber ab, ob die Verhüllung des eigenen Gesichts bestraft werden soll. Der Basler Rechtswissenschaftler Bijan Fateh-Moghadam hat die Argumente der Initiative geprüft. Sein Fazit: Ein generelles Verhüllungsverbot lässt sich nicht mit der liberalen Bundesverfassung vereinbaren.

Repressive Kleidervorschriften stehen im Gegensatz zur freiheitlichen Bundesverfassung: Frau mit Niqab. (Bild: Victoria Jones, Keystone/Press Association Images)
Repressive Kleidervorschriften stehen im Gegensatz zur freiheitlichen Bundesverfassung: Frau mit Niqab. (Bild: Victoria Jones, Keystone/Press Association Images)

Über kein Kleidungsstück wird in Europa so kontrovers debattiert wie über Gesichtsschleier, die manche Frauen muslimischen Glaubens tragen. Ob Burka und Niqab aus dem öffentlichen Leben verbannt werden sollen, sei in Europa noch vor gut zehn Jahren eine rein hypothetische Frage gewesen, erinnert sich Prof. Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Professor für Grundlagen des Rechts und Life-Sciences-Recht an der Universität Basel. Kaum jemand habe sich damals für das Verhältnis von Religion und Strafrecht – neben dem Biomedizinrecht eines seiner Forschungsfelder – interessiert. Kurz darauf waren «Burka-Verbote» nicht nur in aller Munde, auch die Renaissance staatlicher Kleiderordnungen wurde in mehreren westlichen Demokratien zur Tatsache.

Während es in Frankreich oder Österreich bereits gilt, wird in der Schweiz voraussichtlich 2019 über ein nationales «Verhüllungsverbot» abgestimmt. Geht es nach der entsprechenden Volksinitiative, sollen die Trägerinnen und Träger eines Gesichtsschleiers unter Strafe gestellt werden. Ob die Argumente der Initianten für ein Verhüllungsverbot aus rechtswissenschaftlicher Perspektive haltbar sind, hat Fateh-Moghadam untersucht. Er sagt: «Für mich als Strafrechtler stehen folgende Fragen im Vordergrund: Wer oder was soll durch das Verhüllungsverbot geschützt werden? Ist es erforderlich, um das freie und friedliche Zusammenleben in der Schweiz zu garantieren?»

Muslima sind keine Hooligans

Die Volksinitiative folgt dem Vorbild des Kantons Tessin. Dort wurden in den ersten zwei Jahren seit Inkrafttreten insgesamt 37 Personen angezeigt; darunter über 30 vermummte Sportfans und weniger als fünf Frauen, die einen Gesichtsschleier trugen. Für Fateh-Moghadam belegen die Zahlen aus dem Tessin einerseits die geringe Relevanz, die Burka und Niqab im öffentlichen Leben der Schweiz haben. Anderseits sieht er sich an die Plakate erinnert, mit denen das Initiativkomitee für seine Sache geworben hat. Diese zeigten eine voll verschleierte Frau neben einem vermummten Hooligan mit einem Molotowcocktail in der Hand. Eine höchst problematische Assoziation, die eine religiöse Gruppe diskriminiere, wie Fateh-Moghadam findet.

Für das Problem der Vermummung an Demonstrationen oder Sportveranstaltungen sei ein Verhüllungsverbot zudem unnötig, da es dazu bereits Regelungen im Sicherheitsrecht gebe. Die problematische Verbindung von Muslima und Hooligans lege das Kalkül der Initiative offen: Der muslimische Glaube soll zu einer Volksgefahr stilisiert werden. Hier gehe es schlicht um rechte, populistische Stimmungsmache und nicht um die Suche nach Lösungen für reale gesellschaftliche Folgeprobleme der Migration.

Bestrafung des Opfers?

«In der Tat ist es ein berechtigtes Anliegen, dass der Staat da eingreift, wo Frauen gezwungen werden, einen Schleier zu tragen», stellt Fateh-Moghadam klar. «Das ist völlig eindeutig, denn dann sind die Rechte der betroffenen Frau beeinträchtigt: ihre Willensentschliessungsfreiheit, ihre Religionsfreiheit, ihre Freiheit, sich so darzustellen, wie es ihr entspricht. «Aber», so fügt der Rechtsprofessor an, «die Nötigung zur Verschleierung ist bereits strafbar.»

Absurd sei nun, dass sich das Verbot gegen die vermeintlich zum Tragen eines Gesichtsschleiers genötigte Frau richte. «Gerade wenn ich annehme, dass Frauen gezwungen werden, einen Gesichtsschleier zu tragen, macht das keinen Sinn. Denn es würde Frauen bestrafen, die von ihrem Mann oder sonstigen Dritten genötigt werden, den Schleier zu tragen.» Wenn sich das Strafrecht gegen das Opfer wende, werde es in sich widersprüchlich.

Das Tragen eines Gesichtsschleiers im öffentlichen Raum kommt in der Schweiz nicht nur selten vor, es gibt auch keine Studien, die nahelegen, dass verschleierte Frauen zu ihrer Kleidung gezwungen wurden. «Die überwiegende Zahl der betroffenen Frauen scheinen den Gesichtsschleier freiwillig aus religiösen Gründen zu tragen», sagt Fateh-Moghadam. «Darunter gibt es Konvertitinnen, also zum Beispiel Schweizerinnen, die sich zu orthodoxen Formen des Islam bekennen.» Da könne man kaum annehmen, sie würden zum Tragen des Schleiers gezwungen. Weil sich das Verbot auch und gerade gegen diese Frauen richte, verletze es deren Religions- und Selbstdarstellungsfreiheit.

Toleranz oder Neutralität?

Es sei erfreulich, wie klar sich der Bundesrat in seinem indirekten Gegenentwurf zur freiheitlichen Verfassung bekannt habe, findet Fateh-Moghadam. Denn letztlich gehe es bei der Initiative weniger um den Tatbestand der Verhüllung als um das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Religion. «Ich beobachte, dass sich die Grundlage des Religionsverfassungsrechts schrittweise verschiebt. Leider geht die Tendenz rückwärts.» Ideengeschichtlich sei folgende Achse zu beobachten: von religiösen Rechtsordnungen, in denen repressiv gegen Minderheiten vorgegangen wurde, über eingeschränkte Toleranzkonzeptionen bis hin zum modernen Konzept der Neutralität des Staates.

Er sei ein Verfechter der Neutralität, stellt Fateh-Moghadam klar. Es sei eine Errungenschaft, dass Fragen über die richtige Religion und Weltanschauung ganz der Zivilgesellschaft überlassen sind. Dieses Konzept sei nun aber durch den rechtspolitischen Vormarsch der Toleranz bedroht. Anders als es die alltagssprachliche Intuition vermuten lässt, bedeute Toleranz in der Rechtsordnung nämlich einen Rückschritt. Das Verhüllungsverbot oder die bereits angenommene Minarett- Initiative seien Beispiele für einen Staat, der selbst einen religiös-weltanschaulichen Standpunkt einnimmt und sagt: Wir sind tolerant gegen religiöse Minderheiten, aber unsere Toleranz hat Grenzen – und die legen wir jetzt fest.

Rückkehr der Religion

In diesem Sinn bedeute Toleranz als Rechtsprinzip die Rückkehr zu einem religiös- weltanschaulich definierten Staatsverständnis. Mit der freiheitlichen, religiös- weltanschaulich neutralen Konzeption der Bundesverfassung liessen sich repressive «Toleranz-Gesetze» wie ein Verhüllungsverbot indes nicht vereinbaren. «Die Initianten behaupten, dass der Schleier nicht zur Schweizer Kultur gehöre», sagt Fateh-Moghadam: «Aber was eine Kultur ausmacht, ist gerade, dass sie nicht darauf angewiesen ist, mit den Mitteln des Rechtszwangs durchgesetzt zu werden. Wenn es zur gelebten Tradition der Schweiz gehört, das Gesicht nicht zu verhüllen, dann wird sich diese Tradition auch ohne Verbot durchsetzen.»

Bijan Fateh-Moghadam lehrt und forscht als Professor für Grundlagen des Rechts und Life-Sciences-Recht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel.

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