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Leben in Stadt und Land (01/2018)

Aussen vor und nicht dabei.

Text: Rainer Greifeneder und Selma Rudert

Es ist schmerzhaft, von anderen ausgeschlossen zu werden. Vor allem dann, wenn man nicht weiss, warum.

Prof. Rainer Greifeneder und Dr. Selma Rudert sind beide Forscher an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel.
Prof. Rainer Greifeneder und Dr. Selma Rudert sind beide Forscher an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel.

Ausgeschlossen zu sein schmerzt. Egal, ob von Freund oder Feind, egal, ob real oder subjektiv vorgestellt. Gleichermassen, wie es immer wehtut, wenn man die Hand ins Feuer hält, so tut es immer weh, wenn man ausgeschlossen ist. Das sei wie ein Reflex, heisst es in der Forschungsliteratur. Und obwohl der Körper bei sozialer Ausgrenzung unbeschadet bleibt, sind die gleichen Hirnareale aktiv wie bei physischem Schmerz.

Die meisten Menschen berichten, selbst schon einmal ausgegrenzt und ausgeschlossen gewesen zu sein, beispielsweise auf dem Pausenhof oder im Arbeitsleben. Manche Menschen berichten sogar, sehr häufig aussen vor zu sein. Dies hat negative Konsequenzen sowohl für die Ausgeschlossenen als auch für die ausschliessenden Gruppen.

Ein sehr drastisches Beispiel mögen jugendliche Amokläufer an Schulen sein, von denen die meisten zuvor über eine lange Zeit hinweg marginalisiert waren. Aber auch in Unternehmen entsteht Schaden, wenn ausgeschlossene Personen weniger motiviert sind, Symptome einer Depression entwickeln oder ein unternehmensschädigendes Verhalten an den Tag legen.

Warum führt sozialer Ausschluss zu Schmerz? Dabei zu sein, ist ein zentrales menschliches Bedürfnis. Evolutionär gesehen, boten Gruppen Schutz und ermöglichten Arbeits- und Wissensteilung. Mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe stiegen die Chancen auf Überleben und Prosperität; wer hingegen auf sich alleine gestellt war, hatte ein hartes und häufig kurzes Leben. Aus diesem Grund, so die Literatur, sind Menschen hochgradig sensibel für Anzeichen, die auf einen drohenden sozialen Ausschluss hinweisen. Die erlebten Gefühle von Bedrohung und Schmerz sind wie ein Warnsignal, das dem Individuum die dringende Notwendigkeit zum Handeln anzeigt. Interessanterweise muss es dabei zu einem aktiven Ausschluss gar nicht kommen; Schmerz wird auch dann empfunden, wenn man von anderen ignoriert wird oder auch nur meint, ignoriert zu werden.

Gründe für sozialen Ausschluss gibt es viele. Viele Menschen nehmen niederträchtige Motive an und denken beispielsweise an Hänseleien in der Schule. Manch einer denkt auch an sadistische Personen, die sich am Schmerz der Ausgeschlossenen freuen

Ein zweiter Grund für sozialen Ausschluss ist aus Sicht der Ausschliessenden nobler: Gruppen, Institutionen und Gesellschaften sind selbst Überlebensrisiken ausgesetzt und sichern das gute und zielführende Zusammensein ihrer Mitglieder durch gemeinsame Normen und Gesetze. Früher wie heute wird sozialer Ausschluss daher eingesetzt, um Fehlverhalten in Bezug auf gemeinsame Regeln zu sanktionieren und somit den Erhalt der Gruppe nicht zu gefährden. Das gilt in grossen wie den kleinsten Gruppen, zum Beispiel wenn Eltern ein Kind alleine auf sein Zimmer schicken, weil es mit Essen um sich geworfen hat.

Ein dritter, sehr häufiger Grund für sozialen Ausschluss sind soziale Rollen und Hierarchien. Die Rektoratskonferenz der Universität Basel ist beispielsweise den Rektoratsmitgliedern sowie den Dekanen und Dekaninnen vorbehalten, während alle anderen Mitglieder der Universität ausgeschlossen sind. Dieser soziale Ausschluss schmerzt typischerweise nicht, weil er durch die organisatorische Rolle der Beteiligten begründet ist. Gleichermassen schmerzt es typischerweise die Managementebene eines Unternehmens nicht, wenn sie von Sitzungen des Betriebsrats ausgeschlossen ist.

Interessant ist bei rollenbezogener Ausgrenzung, dass die ausgeschlossenen Personen faktisch nicht dabei sind, sie aber trotzdem keine Schmerzen empfinden. Die Analogie vom Griff ins Feuer kommt hier also an ihre Grenzen. Sozialer Schmerz ist damit doch anders als physischer Schmerz, weil Menschen keine direkten Rezeptoren für sozialen Ausschluss haben, sondern die jeweilige Situation in ihrem Kopf konstruieren müssen. In diese Konstruktion greifen andere Gedanken wie Rollenzugehörigkeiten vermittelnd ein und verhindern die Entstehung von Schmerz.

Ein vierter Grund für sozialen Ausschluss ist Unkenntnis, beispielsweise über die Existenz oder Fähigkeiten einer Person. Ein Zeitarbeitender in einem Unternehmen ist vielleicht deswegen nicht zum Grillabend eingeladen, weil sich die Organisatoren der Existenz der Person nicht bewusst sind; einer Kollegin im Homeoffice bleiben vielleicht Informationen vorenthalten, die auf dem Gang ausgetauscht werden; eine französischsprachige Mitarbeiterin fühlt sich beim Mittagessen ausgeschlossen, weil ihre beiden Berner Kolleginnen unbedacht in Mundart wechseln.

Diese vierte Form von Ausschluss ist typischerweise nicht beabsichtigt, tut aber ironischerweise besonders weh: Wer ignoriert wird, fühlt sich wie Luft und damit in der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz bedroht. Vor diesem Hintergrund zeigen beispielsweise Studien, dass es angenehmer ist, eine unhöfliche Absage zu erhalten als gar keine. Denn die unhöfliche Absage erkennt zumindest die Existenz der eigenen Person an und erlaubt es, der eigenen Wut Luft zu machen; wer jedoch keine Absage erhält, war offenbar noch nicht einmal diesen Aufwand wert.

Für das Verhalten von Aussenstehenden ist es entscheidend, welchen der obigen Gründe sie in einer spezifischen Situation annehmen. Werden niederträchtige Gründe angenommen, so sympathisieren Beobachtende mit der ausgeschlossenen Person und wollen ihr helfen. Wird hingegen die Aufrechterhaltung von sozialen Regeln als Grund für den Ausschluss erkannt, sympathisieren Beobachtende mit den Ausschliessenden und unterstützen die ausgeschlossene Person nicht. Allerdings liegen die Gründe für sozialen Ausschluss nur selten so klar auf dem Tisch wie hier. Stattdessen sind in vielen alltäglichen Situationen den Beobachtenden die Gründe für sozialen Ausschluss nicht bekannt, beispielsweise, weil sie erst im Verlauf des Geschehens dazukamen. In solchen Fällen entscheidet häufig eine einfache Regel über Sympathie und Unterstützung: Sind sich Opfer und Täter ähnlich, zum Beispiel in Bezug auf ihr Aussehen, so wird von bestrafendem Ausschluss ausgegangen. Unterscheiden sich Opfer und Täter jedoch, werden niederträchtige Motive angenommen.

Alle, die absichtlich andere ausschliessen, sollten sich bewusst sein, wie sehr dies schmerzen kann. Diese Erkenntnis ist besonders wichtig für Ausschliessende, die es eigentlich im Sinn der Gruppe gut meinen, wie beispielsweise Eltern. Es tut Kindern wie Erwachsenen weh, wenn sie auf «ihr Zimmer» gehen müssen oder ignoriert werden. Es hilft aber auch, sich über die Konsequenzen nicht absichtlichen Ausschlusses bewusst zu werden und diesem vorzubeugen. Eine transparente Informationspolitik und Kultur nach innen und aussen ist ein wichtiger Beitrag, den Organisationen hierzu leisten können.

Rainer Greifeneder ist seit 2012 Professor für Sozialpsychologie an der Universität Basel. Er studierte in Mannheim und an der University of Virginia (USA) Sozial- und Wirtschaftspsychologie.

Selma Rudert hat in Psychologie doktoriert und ist Postdoktorandin und Assistentin im Fachbereich Sozialpsychologie der Universität Basel.

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