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Rechner der Zukunft (02/2017)

Wie Schneeflocken entstehen

Text: Yvonne Vahlensieck

Kalte Temperaturen allein genügen nicht. Damit sich Schneeflocken bilden, braucht es häufig auch biologische Partikel als Eiskeime. Nach solchen Teilchen suchen Basler Forschende der Umweltgeowissenschaften auf dem Jungfraujoch wie im nördlichsten Norwegen.

Forschungsstation: Das Sphinx-Observatorium auf dem Jungfraujoch. (Bild: Peter Stein/Shutterstock)
Forschungsstation: Das Sphinx-Observatorium auf dem Jungfraujoch. (Bild: Peter Stein/Shutterstock)

Die meisten Fahrgäste, die mit der Bahn hinauf zum Jungfraujoch im Berner Oberland fahren, wünschen sich am Ziel blauen Himmel und Sonnenschein. Nicht so die Umweltforscherin Claudia Mignani: Sie hofft auf dichte Wolken, Schnee und Temperaturen im Minusbereich. Denn genau diese Wetterbedingungen braucht die Doktorandin für ihr Forschungsprojekt, bei dem sie herausfinden will, wie eigentlich der Schnee entsteht.

Diese Frage ist nur scheinbar einfach zu beantworten, denn aus reinem Wasser können sich Eiskristalle erst ab –36° C bilden. Dass Wolkentröpfchen trotzdem auch bei wärmeren Temperaturen gefrieren können, liegt an winzigen Teilchen in der Luft wie Staub, Russ, Pilzsporen und Bakterien. Diese Partikel dienen als sogenannte Eiskeime, an die sich beispielsweise Wasser aus den Wolken anlagern kann und dabei gefriert. «Die so entstandenen winzigen Eiskristalle wachsen auf dem Weg zum Boden weiter heran und fallen schliesslich als Schneeflocken zur Erde», erklärt Mignani.

Ziel der Wissenschaftlerin ist es, die Häufigkeit und Beschaffenheit von Eiskeimen genauer zu untersuchen. Die hochalpine Forschungsstation auf dem Jungfraujoch ist dafür ein idealer Ort: «Hier sind wir mitten in den Wolken und können die Eiskristalle genau dort sammeln, wo sie gebildet werden.» Die Möglichkeit dazu bietet sich oft, denn die Forschungsstation befindet sich fast die Hälfte der Zeit in den Wolken.

Winzige Partikel finden

Trotz dieser guten Voraussetzungen ist es nicht einfach, Eiskeime zu finden und zu analysieren: Sie sind nicht nur mikroskopisch klein, sondern treten auch relativ selten auf. «Nicht jede Schneeflocke enthält einen Eiskeim», sagt Emiliano Stopelli, der dazu ebenfalls eine Doktorarbeit an der Universität Basel verfasst hat. Durch eine sogenannte Eismultiplikation können auch Schneeflocken entstehen, die keinen Eiskeim enthalten. «Dies geschieht zum Beispiel, wenn beim Zusammenstoss von zwei Eisstückchen kleine Splitter abbrechen, aus denen dann neue Eiskristalle wachsen», so Stopelli. Nach seinen Feldmessungen schwankt die Konzentration der Eiskeime am Jungfraujoch je nach Wetterbedingungen und Jahreszeit zwischen weniger als einem bis zu mehreren hundert Eiskeimen in einem Kubikmeter Luft.

Deshalb haben die Basler Umweltwissenschaftler eine neue Methode entwickelt, mit der sie eine grosse Anzahl an Schneeproben schnell auf Eiskeime testen können: Dafür fängt Mignani die frisch gebildeten Schneeflocken in speziell geformten Behältern auf und versiegelt sie in Plastikbeuteln. Später kühlt sie die inzwischen geschmolzenen Proben in einem Wasserbad wieder langsam auf Minusgrade ab und erfasst, bei welcher Temperatur sie gefrieren. «So können wir die Proben identifizieren, die Eiskeime enthalten, welche in dem von uns analysierten Temperaturbereich aktiv sind», so Mignani. Anhand der Ergebnisse dieser Analyse und unter Einbezug weiterer Faktoren kann sie dann die Konzentration der Eiskeime in der Luft berechnen.

Bakterien als Eiskeime

Bei ihren Untersuchungen konzentrieren sich die Forschenden auf Temperaturen zwischen 0 und –15 °C. In diesem Bereich sind Teilchen biologischer Herkunft wie Pollen, Sporen, Bakterien und Bodenpartikel als Eiskeime aktiv. «Wir glauben, dass biologische Partikel bei diesen wärmeren Temperaturen am besten einen Niederschlag auslösen können. Nach unseren Ergebnissen am Jungfraujoch kann dies sehr häufig entlang von Wetterfronten geschehen», meint Stopelli.

Es ist aber noch wenig darüber bekannt, welche dieser biologischen Eiskeime in der Atmosphäre dominieren. Deshalb versucht Mignani, die in der Luft umherschwirrenden Teilchen genauer zu identifizieren. Dazu saugt sie die Luft wie mit einem Staubsauger durch einen Partikelsammler, in dem die Teilchen auf einer dünnen Silizium-Scheibe hängen bleiben. Diese Scheiben werden anschliessend unter Bedingungen, die eine Eisbildung ermöglichen, langsam abgekühlt: «Dort, wo sich Eiskeime auf der Scheibe befinden, bilden sich kleine Eiskristalle. Diese Stellen schauen wir uns dann stark vergrössert mit einem Rasterelektronenmikroskop an, um die einzelnen Eiskeime zu identifizieren.»

Falls es sich bei den Eiskeimen um lebende Bakterien handelt, ist es manchmal auch möglich, diese im Labor zu vermehren und mit einer DNA-Analyse die genaue Art zu bestimmen: So ist es Stopelli gelungen, aus mehreren Schneeproben Kulturen des Bakteriums Pseudomonas syringae heranzuziehen. Von dieser pflanzenschädlichen Bakterienart ist vor allem die Landwirtschaft betroffen, denn sie befällt Nutzpflanzen wie Sojabohnen, Rüben und Weizen. Mikrobiologen spekulieren darüber, dass die Bakterien mit den Wolken weite Strecken zurücklegen, dann als Eiskeim in Schneeflocken zur Erde fallen und sich so weiterverbreiten könnten. Diese Annahme hält Stopelli für möglich: «Es ist spannend zu sehen, dass die Bakterien mehrere Tage oder Wochen in grossen Höhen bei kalten Temperaturen und hoher UV-Strahlung überleben können.»

Globale Zusammenhänge

Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse glauben die Umweltwissenschaftler, dass die biologischen Partikel bei der Bildung von Niederschlägen eine nicht unwesentliche Rolle spielen: «Unsere Grundlagenforschung trägt dazu bei, die Bildung von Eis in Wolken besser zu verstehen. Dies ist sehr wichtig, da Eis die Eigenschaften von Wolken verändert, was wiederum das Wetter und das Klima beeinflusst», sagt Mignani. Bis jetzt fliesst die Verteilung und Häufigkeit der biologischen Eiskeime nur sehr bedingt in die Berechnung von Klimamodellen ein, denn die Herkunft der biologischen Eiskeime ist kaum bekannt. Deshalb reist Mignani für ihr Forschungsprojekt auch mehrmals in die arktische Region: Im Observatorium Haldde am nördlichsten Zipfel Norwegens packt sie dann ebenfalls ihre Geräte aus, um Luft-und Schneeproben zu sammeln. Wenn sie jeweils dort ist, wünscht sie sich persönlich manchmal auch einen klaren Himmel. Denn dann bekommt sie mit etwas Glück ein Nordlicht zu sehen.


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