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Bild und Freiheit (01/2017)

Fotografie – Abbild der Natur oder Kunst?

Text: Christoph Dieffenbacher

Mit der Massenproduktion von Bildern und deren Auswirkungen beschäftigen sich mehrere Basler Forschungsarbeiten – am Beispiel der Fotografie. Das Medium aus dem 19. Jahrhundert ist heute für viele immer noch keine Kunstform.

Wir werden jeden Tag mit Bildern konfrontiert, bewegten wie unbewegten, im privaten und öffentlichen Raum. In den Medien begegnen wir ihnen, mit unseren Smartphones schiessen wir stündlich weltweit Millionen von Fotos, speichern, zeigen und verschicken sie weiter. Und schon bald können wir unsere Körper selbst in den Bilderwelten der virtuellen Realität bewegen.

Bildern werde, gerade im Rahmen künstlerischer Praxis, häufig ein emanzipatorischer Wert zugestanden, stellt die Kunsthistorikerin Eva Ehninger fest: «Sie können Tabus brechen und zur Reflexion führen, zum Beispiel um die Gesellschaft neu wahrzunehmen und sich damit aus Normen und traditionellen Werten zu befreien.» Die Inhaberin der Laurenz-Assistenzprofessur für Zeitgenössische Kunst an der Universität Basel bis Februar 2017 – heute Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin – meint aber, dass die Geschichte der Fotografie Anlass gibt, diese vermeintliche emanzipatorische Macht des Bildes kritisch zu diskutieren.

Fotografien wurde eine besondere Beziehung zur Realität zugeschrieben, sie galten – und gelten häufig bis heute – als objektive, ungefilterte Abbilder ihrer Umwelt: «Diese vermeintliche ‹Natürlichkeit› des fotografischen Bildes macht sie besonders attraktiv für ihre politische oder ideologische Vereinnahmung. Fotografien können emanzipatorisch wirken, aber sie können ebenso als Instrumente der Normierung oder Kontrolle eingesetzt werden», sagt Ehninger.

Apparat statt Künstlerhand

Ob Fotos überhaupt Kunst sind, war seit der Erfindung dieser bildgebenden Technik ein Streitpunkt in der Fachwelt. Als Geburtsjahr der Fotografie gilt 1839, als in Paris die erste Daguerreotypie vorgestellt wurde. Die frühen Zeitgenossen nahmen die Fotografie massgeblich als eine naturwissenschaftliche Entdeckung wahr. Die neue Technik hatte für sie einen hohen Wahrheitsgehalt: Die Bilder stellten sich ja von selbst her, hiess es, sie seien eine Nachahmung der Natur. Als «Selbstevidenz» bezeichnet diese Vorstellung Doktorand Paul Mellenthin: «Nicht mehr die Hand des Künstlers hat das Bild geschaffen, sondern ein Apparat.» Das Foto als Abbild der Welt, das ohne die Vermittlung eines Künstlersubjekts entsteht – dies als ein weiterer Fortschritt in einer Zeit voller technischer Neuerungen.

Die ersten Fotografen in Frankreich und England mussten sich aus naheliegenden Gründen unbewegte Motive vor die Linse nehmen: Architektur, ruhende Objekte, archäologische Ansichten, Stillleben. Die Herkunft der Fotografie aus den Naturwissenschaften sei noch in den ersten Mikroskop- oder Sternaufnahmen zu sehen, erläutert Ehninger. Bürger wollten mit Fotos auch ihren Besitz festhalten, Politiker Kriege dokumentieren. Rasch wurde die Porträtfotografie populär. Ein neuer Beruf entstand, weite Geschäftsfelder taten sich auf, der Massenmarkt kündigte sich an: Die «Knipser»-Kameras wurden gegen Ende des Jahrhunderts kommerziell vertrieben und für den Mittelstand erschwinglich. Die Anleitungen gaben nicht nur vor, wie man zu fotografieren hat, sondern auch, welche Motive sich dafür am besten eignen.

Die Queen fürs Album

«Bei einer derart stürmischen Entwicklung der Fotografie hinkte die Theoriebildung der Praxis weit hinterher», erklärt Ehninger. Ein Beispiel der Wirkung von Bildern hat sie selbst untersucht: die massenhaft verbreiteten Fotoporträts der britischen Königin Victoria (1819–1901). «Diese klassischen Herrschaftsrepräsentationen nutzten gleichzeitig den Wahrheitsanspruch an die Fotografie, um ein zeitgenössisches Bild der Monarchie zu produzieren», sagt die Kunsthistorikerin. So wurde die Königin in unterschiedlichen Lebensaltern und Kleidungen dargestellt, zuweilen auch als einfache Bürgerin: «Die kleinformatigen Porträts fanden sich bis in alle Winkel des Empires, wurden in Alben gesammelt und auch in Collagen weiterverwendet.» Eine solche riesige Verbreitung in der Bevölkerung hatten Ölgemälde nicht geschafft.

Als das Fotoporträt aufkam, wurde denn auch darüber nachgedacht, was die Fotografie im Vergleich mit der Malerei leisten kann. Die neue Technik habe man eindeutig als untergeordnet angesehen, sagt Ehninger. «Es hiess, dass die Porträtfotografie keinen künstlerischen Anspruch haben kann. Denn eine Persönlichkeit im Bild wiederzugeben, das könne nur von einem Künstler geleistet werden.» Doktorandin Olga Osadtschy, die ebenfalls zur Fotografiegeschichte forscht, ergänzt: «Es war ein stetes Suchen, ein Prozess, der stark von der technischen Entwicklung und manchmal auch vom Zufall bestimmt wurde.»

Macht und Missbrauch

Trotzdem reagierten zahlreiche Künstler empfindlich auf das neue Medium, darunter die Porträtmaler, die befürchten mussten, brotlos zu werden. In der Malerei, etwa dem Impressionismus, lassen sich fotografische Motive wie etwa der Ausschnitt oder die Serialität wiederfinden. Umgekehrt verstanden sich viele Fotografen als Künstler und versuchten, sich an malerische Vorbilder anzulehnen oder sie gar zu übertreffen: «Die Fotografie wollte sich durch ihre Nähe zur Kunst legitimieren», sagt Mellenthin. Als Folge kam um 1900 der sogenannte Pictorialismus auf: Die Fotografie sollte sich wieder der Malerei annähern, der Ästhetik eines gemalten Bildes – etwa durch technische Verfremdungseffekte wie Überbelichtung und Unschärfe.

Die massenhafte Entwicklung der Gebrauchsfotografie in Europa und den USA nach 1900 könne man sich als einen befreienden und demokratisierenden Prozess vorstellen, der aber auch eine Kehrseite habe, so Osadtschy. Mit dem Fotoapparat in der Hand konnte man auch Macht ausüben – Menschen aus sogenannten Naturvölkern wurden zu Tausenden als Objekte für ethnografische und anthropologische Studien missbraucht.

Erst spät im Museum

Eingeweihte wussten früh, wie einfach es ist, Bilder zu manipulieren, doch der Glaube an den besonders hohen Wahrheitsgehalt der Fotografien hält sich bis heute. Sie sind und waren immer wieder Träger von Ideologien und Propaganda aller Art. «Doch fotografische Bilder», so Mellenthin, «können genauso gut für wie gegen etwas stehen». Gebrauchszusammenhänge und Manipulationen verändern die Bedeutung eines Fotos entscheidend. Erst recht spät wurde problematisiert, dass gerade mit Fotos auch Täuschungen möglich werden. Die Macht der Fotografie, «wahre» Abbilder zu liefern, machte man sich in verschiedenen Bereichen zunutze.

Wann wurde die Fotografie zur eigenen Kunstform? Nicht jede Fotografie versteht sich als Kunst. Obwohl Fotoabzüge bereits im 19. Jahrhundert öffentlich ausgestellt wurden, kam die neue Bildtechnik noch lange nicht in den Kunstinstitutionen an. Die erste Ausstellung mit Fotos in einem Museum wurde 1937 im Museum of Modern Art in New York eröffnet. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich das neue Medium als eigenständige Kunstform durch. Mit welchem Anspruch und zu welchem Zweck Fotografien gemacht, gezeigt und konsumiert wurden und inwiefern sie diesem Anspruch jeweils gerecht werden, dies herauszuarbeiten sei, resümieren die drei Forschenden, eine Aufgabe der Kunst- und Bildwissenschaften, die dadurch auch unsere aktuellen Bildwelten einer kritischen Analyse unterziehen können.


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