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Schöne Erholung – Neues aus der Schlafforschung (01/2016)

Schlaflos im Schlaflabor

Text: Yannik Sprecher

Die Nacht hatte ich mir unangenehmer vorgestellt – Elektroden am Kopf sind zwar ungewohnt, störten aber weniger als erwartet. Das Bett war bequem und die Betreuung liebenswürdig. Mehrere Wochen lang würde ich dort aber trotzdem nicht schlafen wollen. Eine Reportage aus dem Schlaflabor.

«Hier zeigen die Messwerte, dass du mit grosser Sicherheit schon geschlafen hast», sagt Franziska Rudzik am Morgen und zeigt auf eine Ansammlung von Linien auf dem Computerbildschirm, die für mich wenig Aussagekraft haben. Sie scheint etwas an meiner Einschätzung, spät eingeschlafen zu sein, zu zweifeln.

«Sleep State Misperception» lautet eine mögliche Erklärung für die Abweichung von subjektiv empfundenem Schlaf und objektivem Befund der Hirnwellen. So haben manche das Gefühl, die ganze Zeit wach gewesen zu sein, auch wenn sie bereits leicht geschlummert hatten. Sie neigen dazu, ihre Schlafzeit insgesamt zu unterschätzen, erklärt die Doktorandin am Zentrum für Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel.

Ungewohnte Bedingungen

Genauso kam mir meine Nacht im Schlaflabor vor. Ich hatte das Gefühl, ständig an der Grenze zum Schlaf zu stehen, so ganz klappen wollte es aber nicht. Erstaunlicherweise hatte das nichts mit all den Elektroden zu tun, die an meinem Kopf befestigt waren.

In einer dreiviertelstündigen Prozedur hatte mir Franziska Rudziks Kollegin Laurie Thiesse diese am Schädel und im Gesicht montiert. Dazu werden zuerst der Kopf ausgemessen und die Stellen für die Messsonden markiert, die direkt auf die Kopfhaut geklebt werden. Kurze Zeit später wird die spezielle Klebemasse sehr hart und fühlt sich betonähnlich an. Die Befürchtung, die Sensoren oder die Kabel herauszureissen, bleibt trotzdem. Glücklicherweise bekam ich nur acht Elektroden verpasst, je nach Untersuchung sind es deutlich mehr. 128 oder gar 256 können es sein, sagt Laurie Thiesse.

Als Franziska Rudzik das Elektroenzephalogramm (EEG) meiner Nacht im Schlaflabor weiter nach vorne spult, stimmt sie mir doch zu: «Die Hirnwellen zeigen regelmässig Phasen der Aktivierung, ein sogenanntes Arousal – irgendetwas hat deinen Schlaf immer wieder oberflächlicher werden lassen oder dich gar aufgeweckt.» Und das, obwohl ich mich gut auf die Nacht im Zentrum für Chronobiologie vorbereitet hatte: Ich war die zwei vorangehenden Abende extra spät ins Bett gegangen, um auch wirklich müde zu sein.

Dass Probanden in der ungewohnten Umgebung zumindest zu Beginn wenig Ruhe finden, ist nicht ungewöhnlich. Viele von ihnen bleiben eine oder gar zwei Wochen in den unterirdischen Räumen der UPK und haben so genug Zeit, sich mit den Betten (bequem) und den Raumverhältnissen (gewöhnungsbedürftig) vertraut zu machen. Diese Versuchsteilnehmer müssen noch besser auf die Elektroden aufpassen, da sie nur alle drei Tage neu befestigt werden.

Überraschende Position

Ich hatte erwartet, mit Betonmasse in den Haaren, Pflasterstreifen im Gesicht und Kabel bis zur Hüfte keine bequeme Lage zu finden. Daran, mich vorsichtig drehen zu müssen, gewöhnte ich mich jedoch schnell, die Elektroden auf dem Kopf störten kaum. Trotzdem brauchte ich bis tief in die Nacht, bis ich endlich richtig eingeschlafen war.

«Hier sieht man eine schöne REM-Phase», sagt Franziska Rudzik und deutet auf eng beieinanderliegende, symmetrische Ausschläge in der Aufzeichnung der Augenelektroden. Der REM (Rapid Eye Movement)-Schlaf ist durch schnelle Augenbewegungen gekennzeichnet. «Aber dass man hier, um 4.30 Uhr, noch eine längere Tiefschlafphase sieht, ist ungewöhnlich.» Ich musste wohl die fehlende Erholung der vorigen Stunden kompensieren. Da ich schon als Kind regelmässig sehr schlecht schlief – und jetzt noch oft Mühe habe, einzuschlafen –, war das wenig überraschend. Viel mehr erstaunten mich die Bilder der Nachtsichtkamera, die zeigten, dass ich mich in der Nacht auf den Rücken gedreht hatte. Und das, obwohl ich zum Einschlafen ausschliesslich auf der Seite liege und mich vor allem deshalb vor einem Beinbruch fürchte, weil ich dann wochenlang auf dem Rücken schlafen müsste.

Genauso wenig könnte ich mir vorstellen, wochenlang in den sterilen Räumen des Schlaflabors zu leben – erst recht nicht, wenn mein innerer Tagesrhythmus durch Lichtveränderung manipuliert oder mein Schlaf durch künstlichen Verkehrslärm gestört würde. Ansonsten sind die Bedingungen aber einwandfrei: Es ist sehr ruhig, das Bett komfortabel und die Betreuung liebenswürdig. Franziska Rudzik übernachtete für mein Laborerlebnis ebenfalls in den Räumlichkeiten der UPK, obwohl sonst keine Probanden anwesend waren. Dafür durfte sie den Morgenappell bestimmen – sie hatte einen ganzen Tag mit Arbeit an ihrem Doktoratsprojekt vor sich. «Du hättest definitiv noch länger schlafen können», meint sie nach dem Studium meiner Hirnwellenaufzeichnung und gibt damit meine allmorgendlichen Gedanken wieder.

Guter Schlaf im vollen Bett

Normale Laborschläfer erhalten täglich drei Mahlzeiten, sie dürfen das Gelände des Schlaflabors schliesslich nicht verlassen, um die Studienergebnisse nicht zu verfälschen. Ich tauschte das Frühstück und den damit verbundenen Aufwand für die Doktorandinnen gegen die Möglichkeit, direkt nach einer Dusche nach Hause gehen zu können. Das warme Wasser entfernte die Klebemasse erstaunlich gut, auch wenn das sanfte Ankleben sicher angenehmer gewesen war als das Auswaschen – obwohl sehr wasserlöslich, blieb der Beton immer wieder in den Haaren hängen.

Anders als viele sagen, schlafe ich immer ausgezeichnet, wenn ich neben meiner Freundin im Bett liege. «Das ist sehr interessant», findet Franziska Rudzik. «Du solltest herausfinden, wieso du neben ihr besser abschalten kannst. Vielleicht kannst du das Wissen, dass jemand da ist, ja auch auf eine andere Weise hervorrufen.» Wahrscheinlich beruhigt mich ihre Nähe tatsächlich, vielleicht liegt es auch (zumindest teilweise) daran, dass ich an Abenden, die ich mit ihr verbringe, nicht bis spät vor den Bildschirmen von Unterhaltungsmedien und dem von ihnen verströmten blauen Licht sitze. Nach dem Abschluss ihrer Doktorarbeit möchte Franziska Rudzik sich mit der Erforschung der Ursachen von Schlaflosigkeit beschäftigen. Vielleicht könnte ich dann ihr erster Proband sein – im Schlaflabor würde ich es jedenfalls noch einmal aushalten.


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