x
Loading
+ -
Osteuropa – Von Kostümen, Konflikten und Kulturräumen (02/2015)

Mit Ingenieurskunst zu neuen Lösungen in der Medizin

Martin Hicklin

Das jüngste Departement der Universität ist das erste auf Boden des Kantons Baselland: In Allschwil, unmittelbar neben dem Schweizer Innovationspark Nordwestschweiz, suchen 60 Forschende nach innovativen Lösungen für medizinische Probleme.

Innovation in Baselland: Prof. Philippe Cattin und sein Team entwickeln am Department of Biomedical Engineering in Allschwil Lösungen für medizinische Probleme. (Foto: Universität Basel, Basile Bornand)
Innovation in Baselland: Prof. Philippe Cattin und sein Team entwickeln am Department of Biomedical Engineering in Allschwil Lösungen für medizinische Probleme. (Foto: Universität Basel, Basile Bornand)

Quer über den runden Tisch im neuen Department of Biomedical Engineering (DBE) in Allschwil schmiegt sich das Modell einer feingliedrigen Wirbelsäule. Wirbel reiht sich an Wirbel, aus Zwischenräumen münden in gelben Stummeln die Nerven. Ein delikates Bauwerk, an dem so viel hängt und wo man leicht Schaden anrichten könnte. Etwa wenn es darum geht, zur Stabilisierung eine dicke orthopädische Schraube einzudrehen. Es gilt, sie im richtigen Winkel zu setzen, mit exaktem Tiefgang und ohne die heiklen Strukturen zu verletzen.

Philippe Cattin demonstriert, wie das geht, dreht das Modell, setzt ein Werkzeug an mit Schraubenhalter und Quergriff. Am Schaft steckt ein kleines Kästchen. Es enthält Kreisel, Kompass und Beschleunigungsmesser. Sie erlauben mit einfachen Mitteln bei jeder Bewegung eine genaue Positionierung. Ganz ohne Einsatz von Röntgenstrahlen. «Mit diesem Gerät können wir dem Chirurgen ein Werkzeug in die Hand geben, das exaktes Navigieren erlaubt und einen Bruchteil dessen kostet, was bisher für ein Leitsystem ausgegeben werden musste. Zudem ersparen wir dem Patienten die Strahlenbelastung», freut sich Philippe Cattin.

Der Professor für Medizinische Bildanalyse ist der erste Vorsteher des neuen Universitätsdepartements DBE. Preisgünstig wird das Ganze, weil massenhaft hergestellte, aber hochentwickelte Elemente aus der Smartphone-Industrie genutzt werden.

Die «Navi-Pen» ist ein typisches Produkt des DBE: «Wir versuchen, mit Ingenieurskunst den Medizinern beizustehen », sagt der 48-Jährige. Wenn möglich mit einfachen Mitteln. So wird auch ein 300-fränkiges Android-Tablet zum Navigationsinstrument während Operationen ausgebaut.

Mit 40 Jahren war Philippe Cattin an die Universität Basel berufen worden, um eine vom mäzenatischen Unternehmer Hansjörg Wyss gestiftete Professur für medizinische Bildanalyse auszufüllen. Gleich am Anfang hatte er 2007 ein Medical Image Analysis Center gegründet, dem er noch heute vorsteht und das, wie andere Einheiten (siehe Kasten), nun Teil des DBE geworden ist.

Für seine Aufgabe ist Cattin bestens qualifiziert: An der ETH hatte er in Robotik doktoriert und anschliessend in Elektrotechnik und im Computer Vision Labor geforscht. «Eine ideale Kombination für meine heutige Aufgabe», sagt Cattin.

Seine Laufbahn könnte als Vorbild dienen. Nach einer Lehre als Physiklaborant bei der ABB in Baden hatte er über die Fachhochschule den Weg in die ETH gefunden – und war immer Spitze gewesen. Vom Lehrabschluss über den Bachelor bis zum Master an der ETH gewann er zu jeder Prüfung einen Preis im ersten Rang. Von Lehre und Handwerk profitiert er noch immer: «Ich stelle mir gern ab und zu ein benötigtes Teil selber her.»

In verschiedenen Projekten wird in Cattins Feld nach Möglichkeiten gesucht, Therapien mit gleichzeitiger Bildgebung zu stützen und räumliche Orientierung zu verschaffen. Man versucht etwa durch Modellierung von durch Atmung bewegter Organe Eingriffe präziser und zum Beispiel Bestrahlungen ärmer an Kollateralschäden zu machen. Anderseits sind verschiedene Projekte mit Partnern an den Spitälern am Laufen, die sich mit raffinierten Bildgebungsmethoden etwa dem Rückenmark, den Problemen kindlicher Lungen oder geschädigten Nervenzellen zuwenden.

So besteht eine enge Verbindung mit der Gruppe für medizinische Bildanalyse, die in der zum Universitätsspital gehörenden MIAC AG Weltruf in der Beurteilung von Multiple-Sklerose-Bildern erlangt und hochpräzise Werkzeuge geschaffen hat. Diese Gruppe ist an vielen klinischen Studien von MS-Medikamenten beteiligt.

Starker Partner im DBE und für frühen Schub verantwortlich ist der Kieferchirurg Hans-Florian Zeilhofer. Er hatte schon nach seiner Ankunft aus München mit Techniken experimentiert, die bei Eingriffen bessere Orientierung verschaffen, und Projekte vorangetrieben, die chirurgische Probleme lösen halfen. Bereits 2004 gründete Zeilhofer als Pionier ein Hightech Research Center HFZ am Unispital. Der Bayer hatte schon berufsbedingt gute Beziehungen zur Medtech-Branche. Im HFZ wurde an der Entwicklung von Robotern gearbeitet und die Idee verfolgt, Laser als Präzisionsschneider für Knochen zu verwenden.

Ein Roboter namens «Carlo»: Das Computer Assisted Robot-guided Laser Osteotome schneidet Knochenfragmente höchst präzise.
Ein Roboter namens «Carlo»: Das Computer Assisted Robot-guided Laser Osteotome schneidet Knochenfragmente höchst präzise.

Ein Roboter namens «Carlo» (Computer Assisted Robot-guided Laser Osteotome), der präzise Knochenfragmente nach Plan schneiden kann, wird gegenwärtig von der Spin-off-Firma AOT marktreif gemacht. Neben dem Laserphysiker Alfredo Bruno und dem Chirurgen Philipp Jürgens gehören auch Cattin und Zeilhofer zu den Gründern. Das System eines von einem Roboter gesteuerten Laser-Knochenschneiders soll nun in einem «MIRACLE» getauften Forschungsprojekt so miniaturisiert werden, dass es sich für minimal invasive «Knopfloch»-Einsätze eignet. Das ebenfalls von Philippe Cattin und Hans-Florian Zeilhofer geleitete Projekt wird über fünf Jahre von der Werner- Siemens-Stiftung mit 15,2 Millionen Franken unterstützt. Erforscht werden soll im Projekt auch, wie man Knochendefekte durch im 3-D-Drucker hergestellte Metallstrukturen decken könnte.

In Allschwil geht die Saat früher Initiativen auf. Das Department of Biomedical Engineering kann seine Herkunft auf die Gründung eines Schwerpunkts Klinische Morphologie und Biomedical Engineering CBME in der Medizinischen Fakultät 2005 zurückführen, ein Jahr nach Zeilhofers HFZ-Start. Kurz darauf hatten die Medtech-Unternehmer Hansjörg Wyss (damals Synthes) und Thomas Straumann jeweils eine Professur gestiftet.

60 Forschende suchen hier nach Innovation: Das Department of Biomedical Engineering in Allschwil.
60 Forschende suchen hier nach Innovation: Das Department of Biomedical Engineering in Allschwil.

Cattin startete als Wyss-Professor mit Bildanalyse, den Straumann-Lehrstuhl für Materialwissenschaften in der Medizin übernahm Bert Müller und gründete das Biomaterials Science Center. Beide sind nun Mitglied des DBE. 2014 beschloss die Universitätsleitung ein Department of Biomedical Engineering und damit einen Medtech-Schwerpunkt mit Potenzial industrieller Ausgründungen zu schaffen.

Dass dies im Schweizer Innovationspark Nordwestschweiz in Allschwil startet, hat viel Logik in sich. In Allschwil sind nun die neuen Labors gleich neben dem kreativ gestapelten Firmensitz der Actelion bezogen. Vorerst über 60 Köpfe werden hier auf 3000 Quadratmetern neuer Infrastruktur forschen und entwickeln. Weitere Professuren werden geschaffen, bereits drei Firmen sind als Spin-offs entstanden. Gut möglich, dass dieser Start als Glücksfall in die regionale Geschichte eingehen wird.

Philippe Cattin studierte an der Fachhochschule in Brugg/Windisch Computer Sciences und machte seinen Master an der ETH Zürich, wo er 2002 am Institut für Robotik promovierte. 2007 gründete er das Medical Image Analysis Center an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Seit 2014 leitet er das neu geschaffene Department of Biomedical Engineering.

Im Department of Biomedical Engineering arbeiten folgende Institute und Spezialitäten zusammen: Biomaterials Science Center, Biomechanics, Clinic of Radiology and Nuclear Medicine, Institute of Forensic Medicine, Medical Image Analysis Center, Medical Laser Physics, Medical Robotics, Musculoskeletal Research, Oral Health Technologies, Pneumology Research Group, Quantitative Bio medical Imaging, Radiological Physics und Tissue Engineering Technologies. Mit dem Universitätsspital Basel als auch der Universitätskinderklinik besteht eine enge Zusammenarbeit

nach oben