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Osteuropa – Von Kostümen, Konflikten und Kulturräumen (02/2015)

«Big Public Data» als Gefahr

Prof. Markus Schefer

Ist «Big Public Data» eine Chance oder eine Gefahr für die Gesellschaft? Was kann die Forschung mit den vom Staat erfassten Daten machen? Wann beginnt die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu leiden? Zwei Meinungen zum Umgang mit Daten der öffentlichen Verwaltung.

Prof. Markus Schefer. (Illustration: Studio Nippoldt)
Markus Schefer ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht.

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung garantiert jedem Menschen, selber darüber bestimmen zu können, wem er welche persönlichen Angaben offenbart. Dies gilt insbesondere gegenüber dem Staat. Dieser darf persönliche Daten von Menschen nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen sammeln, bearbeiten oder weitergeben. Damit gewährleistet das Grundrecht dem Einzelnen die Möglichkeit, selber über jene Identität zu bestimmen, mit welcher er in der öffentlichen Auseinandersetzung wahrgenommen werden will. Meine öffentliche Person soll Ausdruck meiner Autonomie sein.

In seiner bisherigen Ausprägung war der grundrechtliche Schutz in wesentlichem Masse von der Art der infrage stehenden persönlichen Angaben abhängig: Je tiefer die infrage stehenden Angaben Einblick in die Persönlichkeit der betroffenen Person geben, desto höher sind die Schranken für den Staat, sie zu erheben, zu bearbeiten oder weiter zu geben. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erscheint vor diesem Hintergrund primär als Recht auf Datenschutz; so denn auch seine Bezeichnung in der Grundrechtecharta der EU.

Big Data stellt dieses Konzept grundlegend infrage. Zunächst verändert Big Data den Zusammenhang zwischen der Bekanntgabe persönlicher Angaben durch den Einzelnen und der Kenntnis persönlicher Eigenschaften durch Dritte, insbesondere auch den Staat. So wurde in einem konkreten Fall dargelegt, dass die in öffentlich zugänglichen Forschungsdatenbanken abgelegten anonymisierten Gensequenzen mithilfe weniger weiterer Daten konkreten Personen zugewiesen werden konnten. Dies erlaubt es Dritten, persönliche Angaben über eine Person zu kennen, die dieser unter Umständen nicht bekannt sind.

Staatliche Kenntnis einer persönlichen Eigenschaft fusst vor diesem Hintergrund nicht mehr zwingend darauf, dass der betroffene Einzelne entsprechende Angaben offengelegt hat. Verfügt der Staat über eine grosse Menge unterschiedlichster Angaben über Menschen, erlaubt es ihm Big Data, daraus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf Eigenschaften und Verhaltensweisen einzelner Bevölkerungsgruppen oder gar Einzelner zu schliessen. So kann heute die Polizei mit Big Data jene Gebiete eingrenzen, in denen die Wahrscheinlichkeit von Einbrüchen erhöht ist. Dies erscheint wenig problematisch. Wie wäre es aber, wenn die Polizei in den so bezeichneten Risikogebieten Personen auf öffentlichem Grund auch ohne konkreten Verdacht anhält?

Agiert der Staat einer Gruppe von Menschen gegenüber allein aufgrund signifikant erhöhter Wahrscheinlichkeiten eines bestimmten Verhaltens, orientiert er sich letztlich an Stereotypen. Im Kontext von Big Data sind diese nicht Ergebnis gesellschaftlicher Meinungsbildung, sondern des Einsatzes von Algorithmen, die Korrelationen transparent machen. Dies ändert jedoch nichts Grundsätzliches daran, dass staatliche Handlungen gegenüber Einzelnen allein deshalb, weil sie einem Stereotyp entsprechen, ein Potenzial der Herabwürdigung in sich tragen.

Markus Schefer ist seit 2001 Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Basel. Nach dem Studium in Bern und einer Vertiefung an der UC Berkeley und an der Georgetown University, Washington, promovierte er an der Universität Bern.

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