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Osteuropa – Von Kostümen, Konflikten und Kulturräumen (02/2015)

Auch ein leerer Bauch studiert nicht gern

David Herrmann

Mangelernährung und Wurminfektionen verringern die Leistungsfähigkeit von Schulkindern in Südafrika. Die Wirksamkeit einfacher Gegenmassnahmen wird jetzt erforscht.

«Bitte tun Sie das nicht!» Eindrücklich schildert Uwe Pühse, wie ihn der Rektor einer Primarschule in Port Elizabeth (Südafrika) vor einem schweren Fehler bewahrt hat. Und dabei wollten Pühse und sein Forschungsteam die Schuler doch nur bitten, für den Sporttest am nächsten Tag ihre Sportkleider mitzunehmen. «So was besitzen die meisten Kinder aber nicht. Aus Scham wären sie deshalb gar nicht zur Schule gekommen und der Test hätte nicht stattfinden können.»

Pühse ist Professor für Sportwissenschaft am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit (DSBG) der Universität Basel. Er leitet zusammen mit Professor Jürg Utzinger vom Schweizerischen Tropen und Public-Health Institut (Swiss TPH) das vom SNF finanzierte DASH-Projekt (Disease, Activity and Schoolchildren’s Health).

In Port Elizabeth untersuchen ein Forscherteam vom DSBG und Swiss TPH sowie von der Nelson Mandela Metropolitan University die Auswirkungen von parasitären Wurminfektionen und Mangelernährung auf körperliche Fitness, kognitive Leistungsfähigkeit und psychosoziale Gesundheit von rund 1 000 Kindern an acht Schulen. Alle Schulen liegen in Gegenden mit extremer Armut und hoher Arbeitslosigkeit. So viel zu den Fakten.

Wirklich greifbar wird die Bedeutung des Projekts aber erst dann, wenn Uwe Pühse von seinen Erfahrungen erzählt. «Wenn die Schüler am Montag zur Schule kommen, war für viele das Schulessen am Freitag die letzte Mahlzeit.»

Vertrauen ermöglicht tiefe Einblicke in die Gesundheit

Und trotzdem: Betrachtet man Bilder von den Kindern in den Schulen, scheint es fast, als gehe es ihnen gut. Bestimmt wischt Professor Rosa Du Randt diesen Eindruck vom Tisch: «Man sieht es den Kindern in ihren Schuluniformen nicht an, aber die meisten hinken in ihrer Entwicklung im Vergleich mit Gleichaltrigen an besseren Schulen hinterher. Viele sind HIV positiv und leiden an parasitären Wurminfektionen und anderen chronischen Krankheiten.»

Du Randt ist Direktorin der School of Lifestyle Sciences an der Nelson Mandela Metropolitan University in Port Elizabeth und gemeinsam mit ihrer Kollegin Prof. Cheryl Walter Co-Leiterin des Projekts. Mit ihrem Team schlagen sie die Brücke zwischen den Kulturen. Was in der Schweiz selbstverständlich ist, gilt in Südafrika nicht. Und umgekehrt herrschen in Südafrika Zustande, die man sich in der Schweiz nicht vorstellen kann. Immer wieder bekriegen sich Drogenbanden mit schweren Waffen; auch in unmittelbarer Nachbarschaft der Schulen. Wer hier sicher arbeiten und erfolgreich forschen möchte, braucht Vertrauenspersonen, die die lokalen Eigenheiten kennen.

Bruce P. Damons wurde unlängst zum Rektor des Jahres in Südafrika gewählt. Er leitet die Sapphire Road Primary School und ist Teil des Forschungsteams. Mit seinen Einsichten in den Alltag der Menschen vor Ort und seinen Anregungen wirbelte er das Forschungsdesign, das Pühse, Utzinger und ihr Team in Basel entwickelt hatten, ziemlich durcheinander. Gemeinsam erstellten sie einen Plan, wie die Forschungsziele erreicht und gleichzeitig Stolz und Lebensbedingungen der Teilnehmer respektiert werden können.

Für Uwe Pühse ist klar: «Ohne Bruce wären wir niemals so weit gekommen. Er ist unser Mann an der Front, der vermittelt und auch den Eltern in ihrer lokalen Sprache erklären kann, warum die teilweise sehr persönlichen Untersuchungen wichtig sind und worum es uns geht.»

Langzeit-Untersuchungen für nachhaltige Veränderungen

Bis 2016 werden in einem zweistufigen Vorgehen verschiedene Gesundheitsdaten der Schüler erhoben. Einerseits wird in einer Querschnittstudie analysiert, in welchem Umfang sie von Infektionskrankheiten und Parasiten betroffen sind, welchen Effekt diese auf ihre körperliche Fitness und kognitive Leistungsfähigkeit haben und wie sich die Ernährung auf die Gesundheit auswirkt. Die Kinder werden klinisch untersucht, anthropometrisch vermessen und sie geben Stuhl- und Urinproben ab, die auf bestimmte Erreger und Parasiten hin getestet werden.

Andererseits untersucht das Forschungsteam längsschnittlich über die Zeit, wie sich gezielte schulbezogene Interventionsmassnahmen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Schuler auswirken. In einem Zeitraum von anderthalb Jahren werden die Kinder immer wieder auf Krankheitsstatus, körperliche Fitness, kognitive Leistungsfähigkeit und psychosoziale Gesundheit untersucht.

Parallel werden in der Hälfte der Projektschulen gezielte Massnahmen umgesetzt: Die Lehrpersonen werden fit gemacht für Sportunterricht und Bewegungsforderung, die Schuler werden entwurmt und anderweitig medizinisch versorgt, der Speiseplan in den Schulen überarbeitet, Kinder und Schulpersonal in persönlicher Hygiene geschult und das Schulgelände bewegungsfreundlich umgestaltet. Das Projekt sieht aber vor, dass nach Abschluss auch die übrigen Kontrollschulen berücksichtigt werden. Für Du Randt ist klar: «Der Erfolg des Projekts erklärt sich dadurch, dass alle Beteiligten gleichermassen profitieren.» (siehe auch Interview unten).

Professor Rosa Du Randt besuchte im Rahmen des DASH-Projekts ihre Kollegen am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel. UNI NOVA hat sie getroffen.

UNI NOVA: Professor Du Randt, wie viele Forschungsprojekte mit vergleichbarer internationaler Beteiligung haben Sie momentan in Ihrem Departement?

ROSA DU RANDT: Aktuell nur eines – das ist aber weder vom Umfang noch von der Bedeutung her mit dem DASH-Projekt zu vergleichen. Der Austausch mit der Universität Basel ist extrem wertvoll für uns. Nicht nur wissenschaftlich, auch für unsere Mitarbeitenden und Studierenden. Die Möglichkeit, hierher zu kommen und an diesem Projekt zu arbeiten, ist für alle ein Riesengewinn.

UNI NOVA: Und umgekehrt: Wie profitieren die Schweizer Kollegen?

DU RANDT: Ihr Blick auf Afrika verändert sich. Sie sehen die extreme Vielfalt des Kontinents – im Guten wie im Schlechten. Und sie lernen, dass die Menschen trotz der extremen Armut ihren Stolz behalten haben. Es ist deshalb wichtig zu verstehen, dass man die Dinge nicht für sie, sondern mit ihnen macht.

UNI NOVA: Und dieses Verständnis, dass Sie das Projekt gemeinsam machen, ist die Basis für den Erfolg.

DU RANDT: Genau. Kommt dazu, dass die Basler Kollegen alleine niemals so weit gekommen waren. Wenn man auf die Menschen in den Townships zugeht, muss man gewisse Regeln beachten, um nicht beleidigend aufzutreten. Einige unserer Mitarbeitenden und Studierenden sind selbst dort aufgewachsen, sie kennen also die lokale Sprache und die Verhältnisse vor Ort. Das hilft uns enorm.

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