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Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit (01/2015)

«Europa im Rucksack, Afrika als Sparringspartner, die Welt im Visier.»

Antonio Loprieno

Afrika an einer europäischen Universität.

Die Universität, wie wir sie kennen, ist eine eminent europäische Institution – «europäisch» natürlich nicht in dem Sinne, dass es in den anderen Kontinenten keine Universität gäbe; auch nicht in dem Sinne, dass europäische Universitäten besser, genuiner oder offener wären als ihre amerikanischen oder asiatischen Entsprechungen, was schon durch einen schnellen Blick auf reichlich vorhandene empirische Indikatoren widerlegt wird. «Eminent europäisch» ist die Universität vielmehr deshalb, weil die Entwicklung jener besonderen Form des Zugangs zum Wissen, die wir mit dem Prädikat «universitär» versehen, durch die sequenzielle Einwirkung dreier kultureller Brüche in der europäischen Kulturgeschichte ermöglicht wurde.

Verursacht wurde die erste Zäsur, die zur Gründung der mittelalterlichen Universität als theologischer Schule führte, durch die Einbindung der aristotelischen Philosophie in die christliche Scholastik. Der zweite Bruch war die humanistische und frühneuzeitliche Gliederung des Wissens in Bereiche, welche weitgehend unseren heutigen Fakultäten oder Disziplinen entsprachen und sich an der Ausbildung gesellschaftlicher Eliten (Richter, Pfarrer, Mediziner, Literaten usw.) orientierten. Die neuzeitliche Aufklärung führte schliesslich zur dritten Zäsur, jener zwischen weltanschaulichem und wissenschaftlichem Wissen, und damit zur Kristallisierung der modernen Universität.

Liegt also die Herkunft der konstitutiven Elemente der Universität eindeutig in der europäischen Sozial- und Geistesgeschichte, so hat sich das daraus entstandene Produkt als derart attraktiv erwiesen, dass es – insbesondere in seiner angelsächsischen Variante – auch von Wissenstraditionen in Afrika und Asien übernommen wurde, die von unterschiedlichen kulturellen Prämissen ausgegangen waren.

Eine Universität wie unsere ist also in die europäische Wissensgeschichte eingebunden. Impliziert aber diese europäische Einbindung zugleich auch eine eurozentrische Auslegung der Dialektik mit anderen Wissenstraditionen? Zum einen ist eine Schweizer Universität unausweichlich eurozentrisch, weil unsere akademischen Institutionen – in einem gewissen Sinne sogar mehr als jene anderer europäischer Länder – durch ihre finanzielle Abhängigkeit von kantonalen Verhältnissen eine starke Orientierung an lokalen Erwartungen pflegen. Auf der anderen Seite bemühen sich gerade Schweizer Universitäten um eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Vielfalt menschlicher Erfahrung in historischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht.

Die Globalisierung der Welt stellt für die Universität als prototypischen Ort der Wissensproduktion eine Herausforderung dar: Soll man die tradierten Studieninhalte dem globalisierenden Wandel unterziehen? Oder soll man vielmehr unserem eigenen Verständnis von Wissen und Wissenschaft zum Durchbruch in anderen, für uns wissenschaftlich, gesellschaftlich oder ökonomisch interessanten Regionen der Welt verhelfen?

Das richtige Rezept setzt sich wahrscheinlich aus einer dosierten Mischung beider Aspekte zusammen. Die klassische Form des Umgangs mit fremden Traditionen in der humboldtschen Universität war die «orientalistische». Der orientalistische Zugang besteht darin, eine fremde Hochkultur (ob der Antike oder der Gegenwart) gemäss europäischen hermeneutischen Kategorien zu untersuchen und dadurch in den disziplinären Kanon der Universität zu integrieren: die Islamwissenschaft als Disziplin, welche die kulturellen Merkmale des (meistens historischen) Islam kodifiziert und studierbar macht; die Sinologie als Fach für das universitäre Studium von Schrift, Sprache oder Religion des (meistens historischen) ostasiatischen Raumes usw. Paradigmatisches Beispiel dieses Verständnisses an der Schnittstelle von Eurozentrismus und Xenophilie ist die an unserer Universität besonders sichtbare Ägyptologie.

Durch den Verlust der Deutungshoheit des europäischen und nordamerikanischen Weltbildes hat jedoch der orientalistische Zugang seine hegemonische Deutungshoheit über das Fremde verloren. Einerseits können wir uns einer Auseinandersetzung mit den enzyklopädischen Erwartungen einer immer globaler werdenden Scientific Community von Forschenden und Lernenden nicht entziehen, einschliesslich deren vermehrtem Gebrauch der (pseudo-)englischen Lingua franca der Wissenschaft. Andererseits bietet uns gerade die partielle Aufhebung lokaler Konventionen die einmalige Chance, die Stimme unserer Universität – und somit indirekt, aber nicht weniger deutlich unsere wissenschaftlichen und weltanschaulichen Inhalte und Werte – in der globalisierten Welt zu verorten. Aber die globalisierte Welt ist sehr gross: Irgendwo muss man anfangen, insbesondere in einer akademischen Kultur, in der Wettbewerb und Innovation grossgeschrieben sind. Dafür bietet sich für die Universität Basel auf geradezu natürliche Art der afrikanische Kontinent an, zumal die einzige an der Universität Basel vertretene orientalistische Disziplin, die Ägyptologie, eine alte afrikanische Kultur untersucht. Wir wollen uns der überragenden Bedeutung der grossen asiatischen Länder und Kulturen auf Weltebene nicht verschliessen, auch hier – etwa im Falle Chinas – von der Internationalisierung der Wissenschaft profitieren und den Namen, die Werte und die Leistungen unserer Universität sichtbarer gestalten. Aber den Schwerpunkt unserer Bemühungen um eine global wirksame Universität Basel legen wir auf Afrika.

Neben dem ägyptologischen Fokus auf der Antike sind nämlich an unserer Universität mehrere wissenschaftliche Verbindungen mit Afrika etabliert, die auf verschiedene historische Formen der Auseinandersetzung mit diesem Kontinent zurückgehen. Von den pietistischen Vorhaben der Basler Mission abgeleitet ist etwa im theologischen Bereich die früher als «Missionstheologie», jetzt als «Christentum in Afrika» bezeichnete Untersuchung der Kontakte zwischen Europa und Afrika in der Verhandlung religiöser Werte. Explizit nicht als eurozentrisch haben sich im sozialwissenschaftlichen Bereich die Ethnologie und – auch dank intensiver Kontakte mit Stiftungen oder Sammlungen – die African Studies etabliert, was schliesslich zur Identifizierung unserer Universität als geeignetes Leading House für die nationale Koordination von Forschungsprojekten mit Südafrika führte. Zentral in dieser Hinsicht – wie überhaupt für das Gedeihen der Forschungszusammenarbeit mit verschiedenen afrikanischen Ländern – war und ist die enge Verzahnung zwischen unserer Universität und dem Swiss Tropical and Public Health Institute, das einen Leuchtturm unserer globalen Positionierung auf naturwissenschaftlichem und medizinischem Gebiet darstellt. Aus diesem fruchtbaren Boden historischer Kontinuität und wissenschaftlicher Neuentwicklung ist schliesslich auch der Wille nach enger und intensiver Zusammenarbeit mit der University of Cape Town im Bereich der Urban Studies entstanden – dem vielleicht sichtbarsten Zeichen unseres nachhaltigen Engagements auf dem globalen Parkett.

Europa im Rucksack, Afrika als Sparringspartner, die Welt im Visier: So möchten wir unseren Forschenden und unseren Studierenden einen zeitgemässen Wirkungshorizont anbieten, in dem sie immer wieder auch den schwierigen, unvermeidlichen Kompromiss zwischen der Lokalität, die uns trägt, und der Globalität, die wir tragen, üben und verinnerlichen.

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