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Geschichtsumdeutung per Dekret

Panzer der russischen Armee bei einer Militärparade in Moskau.
Der «Tag des Sieges» der Roten Armee über Nazi-Deutschland ist Anlass für pompöse Militärparaden. (Foto: Adobe Stock)

Der russische Präsident Wladimir Putin schreibt die Vergangenheit um, wie es ihm passt: Im Vorfeld des Jahrestages des Sieges über NS-Deutschland erklärt er den Krieg gegen die Ukraine einmal mehr zur Fortsetzung des heroischen Kampfs der Sowjetunion gegen die Nazis und den Westen. Forschende der Universität Basel ordnen diese Strategie ein.

26. Februar 2025 | Jonas Frey

Panzer der russischen Armee bei einer Militärparade in Moskau.
Der «Tag des Sieges» der Roten Armee über Nazi-Deutschland ist Anlass für pompöse Militärparaden. (Foto: Adobe Stock)

Mitte Januar rief Wladimir Putin 2025 per Dekret zum Jahr des «Verteidigers des Vaterlandes» aus: Am 9. Mai jährt sich der Sieg der Roten Armee über NS-Deutschland zum 80. Mal. In seinem Erlass verknüpft Putin allerdings die Feier zum 80. Jahrestag des Sieges im «Grossen Vaterländischen Krieg» mit den «Heldentaten der Teilnehmer der militärischen Spezialoperation», also dem Krieg gegen die Ukraine. In einem Beitrag des russischen TV-Senders Perwy Kanal erwähnt er nicht nur die Vorbereitungen zum Jahrestag, sondern betont auch die Bewahrung der «historischen Wahrheit» – ein Begriff, der seit 2020 in der russischen Verfassung festgeschrieben ist.

Im Beitrag kommen weitere Historiker und Politiker zu Wort. Unter anderem beschuldigen sie Polen, falsche historische Narrative über den Zweiten Weltkrieg zu verbreiten und sowjetische Denkmäler abzureissen. An anderer Stelle behaupten sie, dass mit der «Spezialoperation» in der Ukraine heute derselbe Gegner bekämpft werde wie vor 80 Jahren: der Nationalsozialismus. Der Beitrag endet mit Bildern von nationalsozialistischen Symbolen in der Ukraine.

Der Krieg war nie vorbei

In diesen Monaten läuft eine grossangelegte Kampagne des russischen Kulturministeriums zum 80. Jahrestag des Sieges. Dass dabei immer wieder Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine genommen wird, passt in die bisherige Geschichtspolitik des Putin-Regimes. Diese zielt stets darauf ab, aus vergangenen Herrschaftsansprüchen Russlands eine Zwangsläufigkeit für die Gegenwart abzuleiten. Gerade zum runden Siegesjubiläum wird deshalb die Erzählung propagiert, dass Russland sich in einem grossen Krieg mit dem «kollektiven Westen» befinde.

«Das heutige Narrativ in Russland lautet: 1945 sei der Krieg nicht zu Ende gewesen. Heute führe man ihn zu Ende. Man befreie die Ukraine von Nazis, wie man 1945 Europa von den Nazis befreit habe», sagt Prof. Dr. Benjamin Schenk. Der Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel forscht zu Geschichtspolitik und imperialer Nostalgie in Russland.

«Lange war der Slogan ‹Nie wieder› in Russland präsent, wenn es um die Erinnerung an den Grossen Vaterländischen Krieg ging», sagt Schenk. «Inzwischen wurde dieser Slogan fast gänzlich von der Losung ‹Wir können es wiederholen› abgelöst.» Das zeige, wie sich die Erinnerung an den Tag des Sieges am 9. Mai verändert habe. «Das heutige historische Narrativ sieht den Krieg nicht mehr in seiner tragischen Dimension. Es geht nicht mehr vorwiegend um die Opfer, sondern vor allem um die Sieger.»

Insbesondere in Ostmitteleuropa habe man den Sieg der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg nicht als Befreiung, sondern als Beginn einer neuen Besatzung wahrgenommen, so der Osteuropahistoriker. «Menschen in Polen oder im Baltikum nehmen die Losung ‹Wir können es wiederholen› als die Drohung eines sich neoimperial aufstellenden Russlands wahr.» Der Grund dafür lässt sich aktuell auf dem TV-Sender Perwy Kanal beobachten, der über die Befreiung polnischer Städte durch die Rote Armee vor 80 Jahren und die angebliche revisionistische Umdeutung dieser Ereignisse in Polen berichtet.

Dazu passt, dass der Stalinismus unter Putin eine positive Umdeutung erfahren hat. In den Schulbüchern wird Josef Stalin als «effektiver Manager» bezeichnet, der das Land erfolgreich modernisiert und im Krieg zum Sieg geführt habe. Der Hitler-Stalin-Pakt taucht dagegen nicht mehr auf, denn das könnte ein schlechtes Licht auf den «Grossen Vaterländischen Krieg» werfen und dem Narrativ schaden, dass Russland auch heute gegen den Nazismus kämpft.

Pompöse Jahresfeiern

Die Mischung aus heroischem Siegerkult und neoimperialem Anspruch wird jeweils am 9. Mai in Moskau besonders deutlich. Zwischen 1945 und 1989 gab es in der Sowjetunion nur vier Paraden zum «Tag des Sieges». Unter Putin findet die pompöse Militärparade dagegen mittlerweile jedes Jahr statt.

«Vor allem im Stalinismus herrschte ein starkes Helden-Narrativ. Der Sieg galt als ein Resultat der Handlungen Stalins», sagt Kira Valter. In ihrer Dissertation an der Universität Basel befasst sie sich mit der staatlichen Erinnerungskultur der Sowjetunion an den Krieg. Dabei analysiert sie unter anderem Reden, die zwischen 1945 und 1987 zum Jahrestag des Kriegsendes gehalten wurden. In diesen wurde der Sieg im Zweiten Weltkrieg oft als Grundlage für jeden weiteren Sieg in der Zukunft interpretiert. Im Grunde ging es dabei immer um den Konflikt mit dem Westen, so Valter.

Das zeige sich auch heute, wenn Putin den Krieg gegen die Ukraine als einen gegen die Nato darstellt, sagt Benjamin Schenk: «Das stellt diesen Krieg in eine lange Reihe von Kriegen, in denen Russland auf westliche Angriffe reagierte und gesiegt hat.» Schaue man den ganzen Tag Staatsfernsehen und höre immer wieder die Geschichte, dass sich das wiederholen werde, fange man an sie zu glauben.

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