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Familien im Wandel. (02/2020)

Zwischen alten Normen und neuen Wünschen.

Text: Samanta Siegfried

Wie lassen sich Familie und Beruf vereinbaren? Mit dieser Frage ringen heute Mütter wie Väter. Warum es uns dabei so schwerfällt, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen, wird am Fachbereich Gender Studies erforscht.

Laut einer Studie des UNO-Kinderhilfswerks Unicef von 2019 belegt die Schweiz punkto Vereinbarkeit von Familie und Beruf europaweit den letzten Platz. Und obwohl sich das Konzept Familie heute im Wandel befindet, leben noch über 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung in Kleinfamilien.

Warum das so ist und wie sich das gesellschaftliche Rollenverständnis von Familie gegenwärtig verändert, dazu forscht Dr. Diana Baumgarten, Familiensoziologin und Geschlechterforscherin am Fachbereich Gender Studies der Universität Basel. «Heute haben beide Geschlechter gleichermassen mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu kämpfen», sagt Baumgarten. Allerdings stelle sich das Problem für Frauen und Männer spiegelverkehrt dar: «Während Frauen darum ringen, die Familie mit dem Beruf zu vereinbaren, ringen Männer darum, den Beruf mit der Familie zu vereinbaren.»

Die Forscherin bezeichnet das gegenwärtige Ideal der Mutterschaft als die «in Teilzeit berufstätig engagierte Mutter, die für das Kind hauptverantwortlich ist». Für den Vater lasse sich das Ideal hingegen als «emotional involvierter, präsenter Ernährervater» umschreiben.

Die Gründe für dieses Spannungsfeld seien unterschiedlich. «Die Geschlechterforschung sieht die Ursache nicht ausschliesslich in strukturellen oder in individuellen Bedingungen», sagt Baumgarten. «Vielmehr müssen beide Herangehensweisen in die Forschung miteinbezogen und in einer Wechselwirkung beobachtet werden.»

Männliche Karriereorientierung

Eine starke Prägung sieht die Forschung in historischen Entwicklungen. Mit dem Aufstieg des Bürgertums in westlich geprägten Gesellschaften entstand ein bestimmtes Ideal, das die Vorstellungen von Familie bis heute bestimmt: das der bürgerlich-patriarchalen Kleinfamilie. Es ist gekennzeichnet durch die Trennung von Erwerbs- und Familienleben und eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Die Erwerbsarbeit wird zur männlichen, die Familie zur weiblichen Sphäre. «Auch wenn der Umgang mit traditionellen Geschlechter- und Familiennormen heute flexibler ist, sind diese weiterhin wirkmächtig», resümiert Baumgarten.

Zum Beispiel die Vorstellung, dass Männer ausser Haus Erfolg haben und Frauen in der Familie. «Für Männer ist eine Vollerwerbs- und Karriereorientierung nach wie vor ein wichtiger Teil ihrer Identität», sagt Baumgarten. Gehe diese verloren, komme es auch zu einer Erschütterung auf psychischer Ebene, und es dränge sich die Frage auf: Wo bekomme ich noch Sinn und Anerkennung her? «Diese Vorstellungen sind tief in unserer Identität verwurzelt», so Baumgarten. «Wir können nicht einfach sagen: Das nehmen wir jetzt weg.»

Dass es die Väter sind, die die ökonomische Verantwortung für die Familie tragen, werde bis heute nicht nur gesellschaftlich gefordert, sondern in der Regel erwarten das auch die Frauen von ihren Partnern sowie die Männer von sich selbst. Das zeigte eine Befragung von 30-jährigen Frauen und Männern im Rahmen eines Forschungsprojekts am Zentrum Gender Studies: Zwar will die Mehrheit der befragten Frauen nach der Familiengründung ihre Berufstätigkeit fortsetzen – wenn auch in einem Teilzeitpensum. Jedoch führt kaum eine Frau die finanzielle Notwendigkeit als Grund für eine kontinuierliche Berufstätigkeit an. Das heisst: Geht es um ihre ökonomische Absicherung, verlässt sich die Mehrheit der Frauen auf ihre Partner.

Diese Erwartung spiegle sich bereits beim Kinderwunsch der Männer wider: So ist für Männer die Familiengründung viel stärker mit ihrem sozioökonomischen Status und der Fähigkeit verbunden, das Familieneinkommen sichern zu können. Gleichzeitig lasse sich seit einiger Zeit ein Wandel weg vom bürgerlichen Familienideal feststellen. «Ein Vater, der seine Kinder nur abends und am Wochenende sieht, das wollen viele Männer heute nicht mehr sein», stellt Baumgarten fest.

Arbeitswelt für Frauen wenig attraktiv

Dieses Nebeneinander von alten Anforderungen und neuen Wünschen an die Vaterschaft bringt die Väter in den derzeit gelebten Widerspruch: So geben beispielsweise neun von zehn Väter an, sie würden ihre Erwerbsarbeit gerne reduzieren; doch nur einer von zehn Vätern reduziert seine Erwerbsarbeit tatsächlich, um mehr Zeit für die Familie zu haben.

Frauen wiederum definieren sich heute vermehrt über den Beruf und haben vor der Geburt immer häufiger eine gefestigte berufliche Identität. Aber, sagt Baumgarten: «Das Ideal einer guten Mutter, die vollumfänglich die Verantwortung für die Familie trägt, ist weiterhin sehr dominant.» Gleichzeitig würden sich viele Frauen über ihre Mutterschaft definieren. «Frauen verstehen Familie oft als einen eigenen Gestaltungsraum, in dem sie ihre eigene Chefin sind – anders als im Beruf.» Sie stelle sozusagen einen privaten Rückzugsort gegenüber einer durch Konkurrenz und Fremdbestimmung strukturierten Arbeitssphäre dar. Spätestens hier offenbaren sich die strukturellen Probleme unserer Gesellschaft. Denn, so Baumgarten: «Viele Frauen sehen als Alternative nur schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs.»

Öffentliche Debatte fehlt

In ihren Studien weist die Forscherin darauf hin, wie realisierbar Teilzeit für Väter und kontinuierliche Erwerbstätigkeit für Mütter in den einzelnen Berufsbranchen heutzutage sind. Ihr Fazit: «Während viele Väter, die Karriereeinbussen befürchten, Vereinbarkeitsmassnahmen erst gar nicht in Anspruch nehmen, arrangieren sich Frauen meist damit, ihre beruflichen Ambitionen zurückzuschrauben und sich mit geringeren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten zufriedenzugeben.» Um das zu ändern, brauche es neben der Möglichkeit zur Kinderbetreuung auch eine andere Arbeitszeitpolitik jenseits einer Allzeit-Verfügbarkeit.

Dringend notwendig wäre laut Baumgarten eine öffentliche Debatte über das Thema. «Familie wird hierzulande sehr stark im Privaten verhandelt.» Auch die Interviews mit den 30-jährigen Frauen und Männern hätten gezeigt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als individuelle Verantwortung wahrgenommen wird. Das habe zur Folge, dass derzeit in der deutschsprachigen Schweiz kaum Vorstellungen einer Verantwortlichkeit von Staat und Gesellschaft für eine gelebte Gleichstellung existieren. «Dadurch werden gesellschaftliche Visionen und Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen kaum gedacht oder gar gefordert», sagt Baumgarten. Das wiederum habe einen Mangel an Vorbildern zur Folge, was das Durchsetzen echter Gleichheit in hohem Masse individualisiere.

Dabei hätte eine gelebte Vereinbarkeit von Familie und Beruf laut Baumgarten nur Vorteile: «Kinder profitieren davon, zwei gleichwertig ansprechbare Eltern zu haben, Eltern profitieren davon, sich in beiden Bereichen auszukennen und sich austauschen zu können – und verlieren auf lange Sicht den Beruf nicht aus den Augen.»


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