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Wie wir entscheiden. (01/2020)

Wie wir entscheiden.

Welche Option wähle ich am besten? Soll ich dabei ein Risiko eingehen oder lieber nicht? Entscheidungen treffen wir lebenslang – doch die wenigsten sind uns auch bewusst.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

Attraction Effect

Nehmen Sie an, Sie wollen einen Fernseher kaufen und sind gerade hin- und hergerissen zwischen einem günstigen, einfachen und einem teuren Hightechgerät. Erweitert man die Auswahl um einen weiteren günstigen Fernseher, der aber deutlich schlechter als der erste günstige Fernseher ist, werden Sie den ersten günstigen Fernseher wählen. Nimmt man stattdessen einen weiteren teuren Fernseher hinzu, der aber deutlich schlechter als der erste teure Fernseher ist, dann werden Sie den ersten teuren Fernseher vorziehen. Nach klassischen ökonomischen Entscheidungstheorien darf das aber nicht passieren. Der Attraction Effect beschreibt, wie die Hinzunahme einer dritten Option die Entscheidung zwischen zwei anderen Optionen beeinflusst.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

Aversion gegen Ambiguität

Die Forschung unterscheidet zwischen Risiko und Ambiguität. Risiko ist Unsicherheit bei bekannten Wahrscheinlichkeiten. So ist es im Roulette einfach, die Gewinnwahrscheinlichkeit zu berechnen. Ambiguität ist Unsicherheit bei unbekannten Wahrscheinlichkeiten, etwa beim Poker, weil ich nicht weiss, welche Karten die anderen Spieler in der Hand haben. Man kann nun zeigen, dass Menschen Ambiguität noch mehr scheuen als Risiko. Die Aversion gegenüber Ambiguität lässt sich im Alltag sehr gut beobachten, zum Beispiel bei der Automiete: Menschen versuchen eine Selbstbeteiligung bei Mietwagen zu vermeiden, obwohl ein Schadensfall eher unwahrscheinlich ist. Der Grund ist, dass man eben nicht genau weiss, wie wahrscheinlich ein Unfall ist.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

Gedächtnis-Bias

Ich sitze im Büro und überlege, wo ich Mittag essen möchte, ohne dass ich die Restaurants vor Augen habe – ich muss sie mir also aus dem Gedächtnis abrufen. In dieser Situation haben Menschen eine Präferenz für Optionen, an die sie sich besser erinnern. Wenn ich also klare Erinnerungen an den Schnellimbiss um die Ecke habe, dann ist es auch wahrscheinlicher, dass ich mich dafür entscheide, selbst wenn ich diese Option gar nicht so sehr mag. Dafür gibt es mindestens zwei Erklärungen. Erstens: Wenn ich mich nicht gut an eine Sache erinnere, dann vermute ich, dass sie nicht so gut sein kann. Zweitens: Wenn ich mich an eine Sache nicht mehr gut erinnern kann, bin ich mir auch nicht ganz sicher – es ist also eine unsichere Option. Und Unsicherheit und Ambiguität mögen Menschen nicht.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

Gut Gelaunte entscheiden grosszügiger

Wer positiv gestimmt ist, entscheidet nicht optimal, wie Forschende der Universität Basel herausfanden. Untersucht wurden dabei sogenannte
sequenzielle Entscheidungen, die im Alltag häufig vorkommen, etwa bei Wohnungskauf oder Jobsuche. Man bekommt nacheinander Angebote, die man annehmen oder ablehnen kann. Bei solchen Entscheidungen hängt die Qualität der Wahl eng damit zusammen, wie viele Angebote begutachtet werden. Wer zu wenig lang sucht, riskiert, das vielleicht beste Angebot zu verpassen. Wer seine Wahl aber aufschiebt, kann seine Chance ebenso
verspielen, weil einem dann ein anderer zuvorkommt. Je besser gelaunt die Probanden waren, desto schneller akzeptierten sie eine Option. Bei Älteren trat dieser Effekt häufiger auf als bei Jüngeren.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

Spielerfehlschluss

Bei vielen Entscheidungen zeigt sich, dass es Menschen schwerfällt, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Wenn zum Beispiel beim Roulette die Kugel mehrfach auf Rot gerollt ist, nehmen viele an, dass es wahrscheinlicher wird, dass mal das andere Ereignis eintritt – also Schwarz. Aber das ist natürlich falsch, denn jedes Ereignis ist unabhängig vom vorherigen. Dennoch fällt es schwer, diesen Fehlschluss zu vermeiden. Eine Studie hat gezeigt, dass offenbar Torhüter beim Penaltyschiessen diesen Fehler machen: Nachdem zwei oder drei Schützen hintereinander nach links geschossen haben, springen die Torhüter meistens nach rechts, weil sie denken, dass der nächste doch mal nach rechts schiessen muss. Aber die Schützen schiessen gar nicht häufiger nach rechts.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

10-10-10-Modell

Bei Entscheidungen kann es hilfreich sein, sich selbst zu fragen, wie man in zehn Minuten, zehn Monaten und zehn Jahren über die anstehende Entscheidung denken wird. Tragen Sie dazu auf der Basis aller bekannten Fakten alle wichtigen Aspekte zusammen, die für die Entscheidungsfindung wesentlich sind, und überdenken Sie sie auf ihre Auswirkungen. Sind Sie in zehn Jahren froh, diese Entscheidung getroffen zu haben? Oder bringt sie Sie nicht dahin, wo Sie in zehn Jahren stehen möchten? Solche Fragen sind vor allem bei der Berufs- und Partnerwahl wichtig. Einige Entscheidungen können sich zuerst als falsch herausstellen, aber langfristig die richtigen sein. Diese Methode hilft dabei, sich kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen vor Augen zu führen.

(Illustration: Christina Baeriswyl)
(Illustration: Christina Baeriswyl)

Abilene-Paradox

Schweigen interpretieren wir häufig als Zustimmung. Dies mit dem Effekt, dass im Extremfall alle schweigen und glauben, die andern seien dafür –
in Wahrheit aber alle das Gegenteil wollen. Manche Entscheidungen sehen nur so aus, als würden sie auf einem Konsens basieren. Eigentlich sind sie aber auf falsche Wahrnehmungen zurückzuführen und enden deshalb in einem Verhalten, das der ursprünglichen Absicht zuwiderläuft. Entdeckt hat das Paradox US-Professor Jerry Harvey nach einer Reise mit seiner Frau und den Eltern in seine Heimatstadt Abilene. Jemand hatte die Fahrt vorgeschlagen in der Annahme, dass die anderen Abwechslung bräuchten. Alle willigten ein, weil sie glaubten, die anderen seien ebenfalls dafür. Nach der Rückkehr aber stellte sich heraus: Eigentlich wären alle lieber zu Hause geblieben.


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