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Wie wir entscheiden. (01/2020)

Vom Bauchgefühl beim Aktienkauf.

Text: Yvonne Vahlensieck

Auch wenn wir es gern glauben mögen: Wirtschaftliche Entscheidungen fällen wir nicht immer mit Vernunft. Mehr und mehr zeigt sich, dass unsere Emotionen ebenfalls eine massgebliche Rolle spielen.

Illustriertes Portrait von Dr. Armando Meier. (Illustration: Studio Nippoldt)
Dr. Armando Meier. (Illustration: Studio Nippoldt)

Soll ich ein Haus kaufen oder lieber weiter zur Miete wohnen? Soll ich meine Ersparnisse in Aktien anle­gen? Kann ich es mir leisten, mein Arbeitspensum zu reduzieren? Wie Menschen über solche Fragen entscheiden, ist ein wichtiges Forschungsgebiet der Wirt­schaftswissenschaften. «Nur wenn man dieses Verhalten versteht, ist es möglich, wirtschaftliche Prognosen zu treffen», sagt der Mikroökonom Dr. Armando Meier, der an der Universität Basel promo­viert hat und gerade einen Post-Doc-Auf­enthalt an der Universität Chicago absol­viert. «In der Gesamtheit haben solche kleinen Entscheidungen auch Auswirkun­gen auf grössere Entwicklungen in der Wirtschaft.»

Umfrage mit 30 000 Menschen

Es ist schon lange bekannt, dass Men­schen in wirtschaftlichen Angelegenhei­ten nicht immer rational handeln. Oft sind es auch die Gefühle, die den Aus­schlag geben. Dies zeigen unter anderem Laborversuche zur Risikobereitschaft: Für solche Experimente versetzen die Forschenden ihre Versuchspersonen künstlich in den gewünschten Gefühlszu­stand – etwa, indem sie ihnen mit einem Horrorfilm Angst einjagen oder sie mit Musik in eine glückliche Stimmung ver­setzen. Anschliessend wird die Risikobe­reitschaft mithilfe einer Glücksspielsimu­lation gemessen. Allerdings ergeben sol­che Versuche je nach gewählter Methode manchmal widersprüchliche Resultate.

Deswegen ergänzen Mikroökonomen wie Armando Meier die Laborexperi­mente mit Daten aus dem alltäglichen Leben. Die Grundlage dafür sind grosse Umfragen, wie das in Deutschland durch­geführte sogenannte Sozio-oekonomische Panel. Hierfür werden seit 1984 jährlich die gleichen Personen zu ihren wirt­schaftlichen Verhältnissen, zur Lebenszu­friedenheit und zu vielen weiteren The­men befragt. In gewissen Jahren gaben die Teilnehmenden auch Auskunft über ihren aktuellen Gefühlszustand sowie über ihre Risikobereitschaft und Geduld. «Anhand dieses grossen Datensatzes konnte ich anschauen, wie sich die Emo­tionen der Menschen im alltäglichen Kon­text auswirken, und so die verschiedenen Hypothesen überprüfen», sagt Meier. Für seine Analyse standen ihm etwa 170 000 Angaben von über 30 000 Personen zur Verfügung.

Wer glücklich ist, riskiert mehr

Konkret untersuchte Meier, wie die Ge­fühle Glück, Angst und Wut die Risikobe­reitschaft und Geduld beeinflussten. Es zeigte sich, dass sowohl Glück als auch Wut dazu führen, dass die Menschen eher bereit sind, etwas zu riskieren. Angst da­gegen bewirkt das Gegenteil und macht vorsichtiger. Ein glücklicher (oder wüten­der) Mensch wagt also wahrscheinlich eher etwas Neues als jemand, der gerade ein traumatisches Erlebnis hinter sich hat. So liesse sich beispielsweise erklären, warum ein Terroranschlag vorüberge­hend negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat – die Menschen haben Angst und scheuen vor neuen In­vestitionen zurück.

Auch die Geduld ist von den Gefühlen abhängig: Während ein Glücksgefühl die Geduld erhöht, stufen sich wütende oder ängstliche Menschen eher als ungeduldig ein. Auch dies kann sich auf wirtschaftli­che Entscheidungen auswirken: Während ein geduldiger Mensch eher in langfris­tige Geldanlagen investiert, stösst ein ungeduldiger Mensch wenig einträgliche Wertpapiere schnell wieder ab.

Selbsteinschätzung von Gefühlen

In einer weiteren Analyse konnte Meier nachweisen, dass die Gefühle das Verhal­ten beeinflussen und nicht umgekehrt: «Theoretisch könnte es ja auch sein, dass sich zuerst die Risikobereitschaft und dann dadurch erst die Emotionen än­dern.» Deshalb sah sich Meier die Daten von Menschen genauer an, die im Befra­gungszeitraum einen Elternteil oder ein Kind verloren hatten. Ein solches Ereignis führte dazu, dass sich die Personen weni­ger glücklich fühlten und auch die Risiko­bereitschaft abnahm. Dieser zeitliche Verlauf weist darauf hin, dass tatsächlich die Änderung der Gefühle die Ursache für die Verhaltensänderung war.

Obwohl seine Analysen auf subjekti­ven Selbsteinschätzungen der Befragten beruhen, hält Meier die Ergebnisse für robust: Wie Untersuchungen anderer For­schungsgruppen gezeigt haben, stimmt die Selbsteinschätzung von Gefühlen ge­nerell sehr gut mit der Wirklichkeit über­ein. Ausserdem hat Meier zahlreiche wei­tere Korrekturen vorgenommen, um den Einfluss anderer Faktoren wie etwa Ver­mögensverhältnisse oder gesundheitliche Probleme auszuschliessen. Insgesamt kommt er zum Schluss, dass Gefühle für Risikohaltung und Geduld eine grössere Rolle spielen als bisher gedacht – vergli­chen mit der Altersgruppe und der Zuge­hörigkeit zu einer sozialen Schicht schei­nen sie sogar recht wichtig zu sein.

Über die dabei zugrunde liegenden psychologischen Zusammenhänge ist laut Meier noch recht wenig bekannt: «Die Psychologen haben zwar schon einige Experimente in dieser Richtung gemacht und verschiedene Hypothesen aufgestellt, doch bis jetzt widersprechen sich viele der Resultate noch.» Eine der vorgeschla­genen Hypothesen besagt beispielsweise, dass sowohl Glück als auch Wut ein Ge­fühl von Kontrolle vermitteln, was zu ei­ner Erhöhung der Risikobereitschaft führt.

Mehr Neinstimmen bei Regen

Auch wenn die Mechanismen noch nicht genau geklärt sind, sollten Wirtschafts­wissenschaftler den Effekt von Emotio­nen also nicht unterschätzen. Das bestä­tigt auch die Studie, die Meier im Rahmen seiner Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Alois Stutzer an der Univer­sität Basel in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Lukas Schmid an der Universität Luzern angefertigt hat. Darin untersuchte er den Zusammenhang zwischen dem Wet­ter und dem Ergebnis von Volksabstim­mungen in der Schweiz, und zwar zwi­schen den Jahren 1958 und 2014. Es zeigte sich dabei, dass die Bevölkerung bei Re­gen eher mit Nein – also für den weniger risikoreichen Status quo – stimmt als bei trockenem Wetter.

Dieser Effekt beruhte nachweislich nicht darauf, dass bestimmte Wählergruppen bei Regen nicht wählen oder abstimmen gehen. Auch einige andere mögliche Faktoren liessen sich ausschliessen. Für Meier und Stutzer ist die plausi­belste Erklärung deshalb, dass Regenwet­ter die Wählenden in schlechte Stim­mung versetzt und ihnen dadurch die Lust vergeht, mit ihrer Jastimme grosse und risikoreiche Veränderungen herbei­zuführen. Ohne den Einfluss von solchen wettergesteuerten Gefühlen wäre so man­che knappe Abstimmung anders ausge­gangen – und die politische und wirt­schaftliche Entwicklung der Schweiz hätte bei anderem Wetter an den Abstimmungswochenenden möglicherweise ei­nen anderen Lauf genommen.


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